Egal wie beständig sich das Wetter im Frühling und Frühsommer präsentiert (und in diesem Jahr war es vier Wochen lang extrem): Unsere treue Leserschaft weiss, dass zum Monatswechsel Juni/Juli eine Umstellung erfolgen muss. Die gefühlt ewige Bisenlage ist seit über einer Woche Geschichte, das tropische Intermezzo auch schon wieder vorbei, und seit gestern Montagabend hat uns die atlantische Normalität wieder. Alles klar also für den Hochsommer? So einfach ist es leider nicht…
Ginge es nach all jenen, die sich einer modernen Auslegung der Siebenschläfer-Regel verweigern, so müsste es ab jetzt sieben Wochen lang gemässigt warm bis leicht unterkühlt und etwas unbeständig durch den Hochsommer gehen. Denn wie so oft in den letzten Jahren hat sich ziemlich genau zum Siebenschläfertag die nordhemisphärische Zirkulation vom meridionalen Frühlingsregime verabschiedet und das übliche zonale Sommerregime eingeleitet. Zonal bedeutet: Die Nordatlantische Oszillation NAO ist wieder positiv, irgendwo in der Nähe von Island befindet sich ein Tief, bei den Azoren ein Hoch, dazwischen fliessen mit einer relativ strammen Westströmung (ein paar flache Mäander dürfen sein), gemässigte atlantische Luftmassen nach Mitteleuropa:
So weit so normal, aus norddeutscher Sommersicht Klappe zu, Affe tot, der Süden darf hingegen hoffen. Ja, wenn es denn so einfach wäre…. Wer unsere Siebenschläfer-Prognose seit Jahren mitverfolgt, weiss aber (und für die neue Leserschaft sei es hier noch mal kurz erwähnt), dass der eigentliche Siebenschläfertag wegen der Kalenderreform von 1582 gemäss Sonnenstand nach hinten verschoben wurde. Um wieviele Tage genau, wissen wir nicht, weil der zeitliche Ursprung der Bauernregel nicht bekannt ist. Im Extremfall (d.h. die Regel wäre erst kurz vor der Kalenderreform entstanden) können es bis zu zehn Tage sein, wir gehen aber von einer etwas geringeren Verschiebung aus. Der für eine moderne Auslegung der Siebenschläfer-Regel relevante Zeitraum befindet sich also in der ersten Juliwoche. Wir müssen also – weil eine Siebenschäfer-Prognose von den Leuten am Siebenschläfertag gelesen werden will und nicht am 5. Juli – uns darauf stützen, was die verschiedenen Globalmodelle bis dahin erschnüffeln. Dabei brauchen wir nicht auf den exakten Wettercharakter eines bestimmten Tages in einer bestimmten Region zu schauen, sondern auf die grossräumige Verteilung von steuernden Druckgebieten, Hauptwindrichtungen und Luftmassenverteilung, was die Sache schon etwas erleichtert. Deshalb beginnen wir am besten mit dem gröbsten Geschütz, dem Ensemble der Regimes für den Nordatlantik und Europa:
Da sehen wir schon mal, dass es mit den sieben Wochen wie am 27. Juni nicht klappt: Wäre dem so, müsste das Diagramm bis zum Ende hin mehrheitlich grau sein. Interessant ist hingegen, dass sich genau zum relevanten Zeitraum Anfang Juli eine für die Jahreszeit typische positive nordatlantische Zirkulation einstellt (NAO+, blau). Gemäss Siebenschläfer-Regel müsste dieses “blaue Regime” bis zum Ende von den Ensemles stark gerechnet werden, was bedeuten würde: Mehrheitlich westliche Anströmung (kann auch mal etwas Südwest oder Nordwest sein), also der typische mitteleuropäische Sommer mit wechselhafter Witterung, abwechslungsweise sehr warme bis heisse und kühlere Phasen mit etwas Niederschlag dazwischen, aber nie lange stabil oder wochenlang verregnet. Doch was möchte das liebe Modell stattdessen: Es kennt die Siebenschläfer-Regel nicht und will ab Mitte Juli zurück ins Blocking-Regime, wie wir es im Mai und Juni fast permanent hatten. Wobei erwähnt werden muss, dass dieses “rote Regime” klassisch ein Hoch irgendwo über dem nordöstlichen Europa bedeutet, dieses aber auch mal etwas nach Süden (Mittel- oder Osteuropa) rutschen kann. Block ist also in den meisten Fällen Grosswettertyp Ost, kann aber auch mal Süd oder Hoch Mitteleuropa beinhalten. Wir stehen also am selben Punkt wie vor Jahresfrist, als wir davon ausgehen mussten, dass die Siebenschläfer-Regel in diesem Jahr nichts taugt, weil die Langfristmodelle für den Rest des Hochsommers etwas ganz Anderes rechnen als für Anfang Juli. Heute wissen wir: Es kam anders, der Siebenschläfer war auch 2022 eine Macht. Man darf selbstverständlich nie ausschliessen, dass 2023 eines der 25 % jener Jahre wird, in dem die Siebenschläfer-Regel nicht greift, es gibt aber Hinweise darauf, dass die Langfristmodelle diese Block-Geschichte überschätzen:
Hier sehen wir die Serie dieser zwei Mal pro Woche gerechneten Ensembles. Noch vor zehn Tagen (Latest-3) wollten die Ensembles nichts vom “blauen Regime” wissen: Der Anteil von NAO+ in den Läufen lag unter 25 %, ins Ensemble-Mittel (schraffierte kleine Felder am unteren Rand der Grafik) schaffte es blau an keinem Tag. In den folgenden Läufen (Latest-2, Latest-1) stiess blau immerhin schon an einzelnen Tagen auf über 40 % vor und schaffte es auch ins Ensemble-Mittel, und inzwischen stehen wir bei zwölf Tagen blau in der Prognose. Unser langjährig trainiertes Näschen signalisiert uns also: Das riecht verdammt stark nach Siebenschläfer und es würde nicht erstaunen, wenn sich dieses Blau in den nächsten Läufen noch weiter in den Hochsommer hinein frisst. Ein ganz normaler mitteleuropäischer Sommer also, wie oben geschildert? Muss nicht sein. Denn NAO+ kann auch längere Phasen des Grosswettertyps Südwest bedeuten, und von dort ist es nicht weit zum verwandten Trog Westeuropa, bereits zum GWT Süd gehörend. Was rechnen denn die Modelle um den 5. Juli? Bleiben wir zunächst beim selben Modell, das dieses “blaue” Ensemble-Mittel rechnet und gucken uns an, was sein Hauptlauf meint:
Hoppla, eine Südwestlage! Ob über Mitteleuropa zyklonal oder antizyklonal, lässt sich anhand dieser Einzelkarte nicht bestimmen.
Was rechnet das amerikanische Modell in seinem Hauptlauf für den 5. Juli?
Oh, doch nicht etwa auch eine Südwestlage? Etwas weniger steil als ECMWF, das ändert sich aber bereits am nächsten Tag, also Übergang von West auf Südwest.
Den Hauptlauf des kanadischen Modells für den 5. Juli schauen wir uns auch noch an, weil’s grad so Spass macht:
Welch Überraschung, eine Südwestlage 😉 Das Spiel könnten wir jetzt noch mit weiteren Modellen weiterführen, wollen aber den Blog nicht unnötig aufblähen, also müsst ihr es mir auch ohne weitere Karten glauben: Alle Modelle stehen auf den GWT Südwest um den 5. Juli und den Folgetagen. Die Siebenschläfer-Regel beruht ja hauptsächlich auf dem Umstand, dass die Lage des Jetstreams im relevanten Zeitraum massgeblich ist für den Fortverlauf des Hochsommers, also schauen wir uns den auch noch kurz an:
Hier wird die Südwestlage deutlich, auch dass Polarfrontjet und Subtropenjet sehr nahe beieinander zu liegen kommen sollen, der Subtropenjet zielt sogar direkt auf die Alpen. Man mache sich also auf heisse, zeitweise auch feuchte und unwetterträchtige Luftmassen gefasst. Und jetzt kommen wir noch mal auf die Hartnäckigkeit der Regime-Ensembles mit ihrem roten Block zurück: Steilt die Südwestströmung weiter auf bzw. dauert sie lange genug, stützt sie mit ihrer Warmluft einen Höhenrücken über Osteuropa – der neue Block ist geboren. Die “Umstellung” Mitte Juli wäre demnach keine eigentliche Umstellung, sondern eine logische Folge des Regimes um den 5. Juli herum. Ob diese Theorie auch in ein paar Tagen noch Gültigkeit hat, lest ihr am besten in der Monatsprognose auf orniwetter.info nach, die am 1. Juli um die Mittagszeit online geht.
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Thomas am 27. Juni 2023 um 13:07 Uhr
Seit Tagen sehnsüchtig erwartet und mit immer grösser werdendem Interesse gelesen – eine Siebenschläferprognose formuliert fast wie ein kleiner Wetterlagenroman. Wir sind gespannt, welchen Verlauf die “Geschichte” in diesem Hochsommer nehmen wird 😉
Vielen Dank wieder einmal für diese informative Analyse, Thomas
Valentin am 28. Juni 2023 um 21:20 Uhr
Vielen Dank für diese fundierte Analyse – das macht richtig Spaß und verdient viel Reichweite! Ich habe als stiller Leser in einem bekannten Wetterforum den dortigen Link gesehen und freue mich sehr, den Weg hierher gefunden zu haben. Werde das auch ganz sicher weitersagen 🙂
Zwar bin ich kein Profi, lese aber seit über 20 Jahren fast täglich die Karten der Wettermodelle, und muss leider sagen, dass der Verlauf insbesondere seit letztem Sommer schon sehr extrem gewesen ist. Allein die Persistenz von Hochdruck und Dürre seit Anfang Mai hat die Situation, auch in ökologischer Hinsicht, nochmal weiter zugespitzt. Es scheint seit einiger Zeit so, als ob alle Tiefdruckgebiete vom Atlantik und vom Nordmeer sich sofort auflösen, wenn sie auch nur Anlauf in Richtung Mitteleuropa bzw. v. a. Deutschland nehmen. Die üblichen, zyklonalen West- oder überhaupt mal anhaltende Tiefdrucklagen sind der absolute Ausnahmefall.
Umso interessanter finde ich, dass jetzt doch seit langer Zeit endlich mal stärker zyklonale und kühlere, potenziell regenreiche Szenarien zumindest etwa in gleicher Zahl gerechnet werden (GFS und auch EZ) wie weitere Hochdruckdominanz mit (sehr) hohen Temperaturen.
Wenn ich die großräumige Situation so betrachte, sehe ich durchaus große Ähnlichkeiten mit der Entwicklung Ende Juni/Anfang Juli 2021, als in Deutschland ein doch vergleichsweise kühler und regenreicher Hochsommer folgte. Letztes Jahr wirkte das Ganze doch (großräumig) insgesamt stabiler hochdruckdominiert.
Ich sehe derzeit u. a., dass der häufigere Tiefdruck über Osteuropa im Zusammenspiel mit doch stärkerer Zonalisierung vom Atlantik her (evtl. tragen die stark erhöhten Temperaturen im Nordatlantik sogar im Verlauf zu dieser Dynamik bei), der auch immer wieder nach Skandinavien übergreift, ein stabiles Blocking bei uns weniger wahrscheinlich macht als letztes Jahr.
Wie schätzt du als Experte aktuell die Chancen auf eine ähnliche Entwicklung wie 2021 ein? Wo siehst du die wichtigsten “kritischen” Punkte in den nächsten ca. 7-10 Tagen?
Vielen Dank für deine fantastische Arbeit und Einschätzung!
Fabienne Muriset am 30. Juni 2023 um 00:12 Uhr
Hallo Valentin
Zunächst freut es mich, dass auch nach 12 Jahren eigener Webpräsenz immer noch neue Interessierte den Weg dahin finden.
Der rekordwarme Nordatlantik ist nicht gerade hilfreich bei der Einschätzung des weiteren Jahresverlaufs. Einerseits fehlen die Erfahrung und andererseits haben auch die Wettermodelle ihre liebe Müh damit. Jedenfalls ist damit das Potenzial gegeben, dass West- bis Südwestlagen in diesem Sommer mehr Niederschläge bringen (wahrscheinlich in Form konvektiver Starkregenereignisse). Nicht ganz klar ist, wie die veränderten Temperaturunterschiede zwischen polarem und subtropischem Nordatlantik einerseits sowie zwischen Land und Wasser andererseits sich auf die Tiefdruckbildung auswirken werden. Eine ähnliche Konstellation wie 2021 sehe ich nicht, der Ablauf der Zirkulationsanomalien der letzten Wochen war schon ein anderer und jetzt stecken wir im Aufbau von El Niño, vor zwei Jahren war extreme La Niña am Ruder.
Meine Einschätzung, dass nach der aktuellen Westlage wieder vermehrt Südlagen und Trog Westeuropa zum Zuge kommen und den Hochsommer prägen werden, ist auch simple Statistik, beruhend auf den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Ich empfehle dazu diese Lektüre: https://www.fotometeo.ch/entwicklung-der-grosswetterlagen-verteilung-im-sommer-jun-jul-aug/
Beste Grüsse
Fabienne
Valentin am 4. Juli 2023 um 23:54 Uhr
Hallo Fabienne, herzlichen Dank für die ausführliche Antwort 🙂
Ich bin auch überrascht, dass ich nicht schon früher auf diese wirklich beeindruckende Seite gestoßen bin, aber freue mich jetzt umso mehr. Mehr Niederschlag in diesem Sommer wäre ja schon mal sehr erfreulich und auch dringend nötig für die hier in Deutschland schon wieder sehr durch Trockenheit gestresste Natur. Es ist mir natürlich klar, dass die letzten Wochen und Monate deutlich anders verlaufen sind als 2021 – dennoch sehe ich im Verlauf des “Siebenschläfer”-Zeitraumes insofern bedeutende Gemeinsamkeiten, als jetzt nach einem sehr heißen Juni (und v. a. in diesem Jahr starker Hochdruckpersistenz) doch über einen längeren Zeitraum feuchtere und kühlere Witterung, mit aktuell sogar recht starkem zyklonalen Einfluss vom Atlantik/Nordmeer her, dominiert hat. Das spricht “üblicherweise” tatsächlich eher für einen wechselhaften und potenziell auch “kühleren” Sommer (immer unter Berücksichtigung der leider vorherrschenden “Grunderwärmung”), wobei sicherlich abzuwarten ist, ob der “Sommer-Monsun” bzw. sich über Mitteleuropa ausbreitende Tröge so beständig (und auch im Verlauf weiter zunehmend) die Oberhand bekommen oder eben ähnlich zu liegen kommen, wie es 2021 über weite Strecken der Fall war. Insgesamt bin ich auf jeden Fall noch hoffnungsvoll, dass es sich eher in diese Richtung entwickeln könnte. Dies könnte auch bedeuten, dass die bevorstehende Hitze am und um das kommende Wochenende ein eher schnelles und evtl. auch mal nachhaltigeres Ende findet. Vor allem freue ich mich auf die spannenden Analysen, die uns hier sicherlich erwarten werden, und das sage ich natürlich auch begeistert weiter! Beste Grüße, Valentin