Mit wenigen Ausnahmen sind der März und zunehmend auch der Februar vollwertige Frühlingsmonate aufgrund fehlender Nachtfröste und Schneedeckentage in den tiefen Lagen. Die Vegetationsentwicklung rückt im Kalender immer weiter nach vorne mit Kirschblüte Mitte März und Apfelblüte Anfang April in Gunstlagen. Nur eine Entwicklung hält damit nicht Schritt – im Gegenteil: Spätfröste und Schneefälle im April und sogar in der ersten Maihälfte haben in den letzten Jahren gar zugenommen. Dieser Artikel zeigt dies anhand der Häufigkeit von potenziell kalten Grosswetterlagen und dass auch 2024 trotz bisher rekordwarmem Frühling an dieser Entwicklung festhält.
Die jüngste Entwicklung ist offensichtlich: Kalte Winter gibt es so gut wie keine mehr, die letzten deutlich zu kalten Wintermonate waren der Januar 2017 mit ungefähr -4 Grad zur Klimanorm 1991-2020 in den Niederungen der Alpennordseite und der Februar 2018 mit ungefähr -3 Grad Abweichung zum langjährigen Mittel. Einen Märzwinter gab es zuletzt 2018 und 2013. Der Februar ist der aktuell am schnellsten sich erwärmende Monat des ganzen Jahres, auch der März erwärmt sich stetig. Nicht so hingegen der April, der stagniert nach einem fulminanten Steigerungslauf ab Mitte der 2000er Jahre bzw. ist sogar wieder in einem leichten Abwärtstrend befindlich. Ganz seinem Ruf der Launenhaftigkeit gerecht werdend, fällt der April in letzter Zeit mit enormen Ausreissern nach oben (2018, 2020) und nach unten (2021, 2023) auf. Oder noch typischer, er präsentiert in vielen Jahren bei unauffälligem Monatsmittel zwei völlig gegensätzliche Hälften, wobei oft die zweite Hälfte deutlich kälter ausfällt als die erste (2014, 2016, 2017, und auch 2024 will ins gleiche Horn blasen). Solche entgegen der Jahreszeit inverse Temperaturverläufe sind auf gehäufte Kälteeinbrüche in der zweiten Aprilhälfte und oft noch bis weit in den Mai (2019, 2020, 2021) zurückzuführen. Eine immer frühere Vegetationsentwicklung und trotzdem heftige Kälteeinbrüche in der Folge – die Herausforderungen für Natur und Landwirtschaft sind enorm.
Man kann mit gleitenden Mitteln bei der Durchschnittstemperatur arbeiten, oder mit ebensolchen bei Minimumtemperaturen und kommt dann aufgrund der Mittelungseffekte der sich stetig verschiebenden Kältephasen wie kürzlich ein prominenter Meteorologe zum Schluss, dass Singularitäten “Hafechäs” seien. Eine andere Vorgehensweise bietet die Statistik der Grosswetterlagen, zu dessen Zweck fotometeo Muriset in den letzten Jahren viel Fleissarbeit in den Aufbau einer entsprechenden Datenbank gesteckt hat. Die Häufigkeit aller antizyklonalen Wetterlagen mit Anströmung aus dem Sektor Nordwest bis Ost zeigt das Potenzial von Perioden mit schädlichen Nachtfrösten:
Hier fällt auf, dass das Potenzial klarer Nächte unter kalter Luftmasse vor allem vom 15. bis 20. April in den letzten 15 Jahren deutlich zugenommen hat: In jedem zweiten Jahr tritt eine solche Wetterlage auf. Immer noch in jedem dritten Jahr besteht diese Gefahr im Anschluss bis zum 26. April. Danach folgt zum Monatswechsel eine statistisch sehr geringe Wahrscheinlichkeit, um vom 3. bis 8. Mai noch mal in jedem dritten Jahr aufzutreten. Interessant ist auch, dass in der Periode 1994-2008 die Wahrscheinlichkeit von Spätfrösten am 12. und 13. Mai mit etwa 50 % am höchsten war, auch 1979-1993 war sie recht hoch, in den letzten 15 Jahren verschwanden die “Eisheiligen” hingegen fast völlig.
In obiger Grafik wurden nur weitgehend trockene Wetterlagen berücksichtigt, die das höchste Potenzial für mehrere aufeinanderfolgende Frostnächte aufweisen. Solche können aber auch auf den Rückseiten oder inmitten von zyklonalen Wetterlagen als einzelne Nächte auftreten, zudem bergen die feuchten Nordwest- bis Nordostlagen auch die Gefahr von Schneefällen bis in tiefe Lagen. In der folgenden Statistik haben wir diese Lagen zusätzlich auf die obigen draufgepackt:
Auch hier zeigt sich in jüngster Zeit eine deutliche Abnahme ab dem 7. Mai und eine relativ geringe Wahrscheinlichkeit von unter einem Drittel Ende April sowie vom 10. bis 12. April in den letzten 15 Jahren. Die Spitze der Wahrscheinlichkeit für einen Kälteeinbruch bildet der 20. April mit zehn Fällen in den letzten 15 Jahren, aber auch vom 1. bis 8. April, vom 16. bis 26. April sowie vom 2. bis 5. Mai liegt das Potenzial von Kältephasen bei über 50 %.
Angesichts dieser Statistiken erstaunt es nicht, dass 2024 genau diesem Muster entsprechend weitermacht: Verbreitet wärmster Februar seit Messbeginn, vielerorts wärmster bis drittwärmster März, zwei extrem warme Wochenenden im April mit pulverisierten Rekorden, frühesten Sommer- und gar Hitzetagen seit Messbeginn und einer Abweichung von +5 Grad zur Klimanorm 1991-2020 für die gesamte erste Aprilhälfte, was einem normalen Mai entspricht. Der phänologische Vollfrühling ist bis in mittlere Lagen um 800 Meter Tatsache und genau jetzt kommt das Unvermeidliche: Der kleine Rest von Kaltluft in der Arktis zielt exakt nach Mitteleuropa, die blockierenden warmen Hochs westlich und östlich lassen gar nichts Anderes zu:
Prognose der wöchentlichen Temperaturabweichung nach ECMWF, die sattblaue Zone bedeutet ein Minus zur Klimanorm von 3 bis 6 Grad (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht, Quelle: https://charts.ecmwf.int). Nach aktuellem Stand wird die gesamte zweite Aprilhälfte deutlich zu kühl, was das bis zur Monatsmitte aufgebaute Plus nahezu völlig abbauen dürfte (GFS Ensemble rechnet noch mit knapp +1 Grad als Monatsbilanz). Auch die erste Maihälfte trendet derzeit leicht ins Minus, und es würde aufgrund der in den letzten Jahren gehäuft auftretenden Persistenz von gestörten Zirkulationsformen nicht erstaunen, wenn wir bald auch hier mehr Blau in den Karten sehen werden. Schuld daran ist der deutlich zu warme Atlantik, der dort im Frühling stabile Hochs begünstigt. Die Kaltluft kann dann nur über Europa ausbrechen (Grosswettertyp Nordwest bis Nord) und die Ausgleichsbewegung mit enormen Warmluftmassen in Richtung Norden findet über Russland statt. Dieses für den Frühling typische Zirkluationsmuster wird in der Regel erst im Laufe des Juni abgelöst, man mache sich also auf etwas gefasst…
Verlassen wir die Spekulationszone und widmen wir uns der Mittelfrist, so zeigen sich am Beispiel von Bern folgende Wahrscheinlichkeiten in den nächsten zwei Wochen:
Der Median der Maximaltemperaturen erreicht erst zum 29. April wieder die Klimanorm, bis dahin bleibt es mehr oder weniger deutlich darunter. Das Potenzial für Nachtfröste ist dauerhaft vorhanden, angesichts der unsicheren Niederschlags- und Bewölkungsbalken muss man davon ausgehen, dass es immer wieder einzelne klare Nächte geben kann. Ab dem 21. April überwiegt beim Wind der Sektor Nordost, dann wird es besonders kritisch, weil damit in der Regel auch trockenere Luftmassen einfliessen. Aber auch schon davor ist die Wahrscheinlichkeit für schädliche Nachtfröste insbesondere in der Nacht auf Freitag den 19. und Montag den 22. April deutlich erhöht. Eine einzige Nacht mit Luftfrost von -2 Grad würde reichen, um an Obst- und Weinkulturen beträchtliche Schäden anzurichten.
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