Spielt das Wetter immer häufiger verrückt? Diese Frage wird nicht erst seit 2024 gestellt, wo der Frühling Ende Januar begann, der Sommer Anfang April Einzug hielt und sich der Winter in der zweiten Aprilhälfte für mehr als eine Woche noch mal so richtig gemütlich in Mitteleuropa einrichtet. Die Antwort ist einfach: Ja, es spielt sehr häufig verrückt, und hat es schon immer getan. Wäre dem nicht so, wäre ich nie auf die Idee gekommen, die Meteorologie zu meinem Beruf zu machen. Mein Interesse am “verrückten” Wetter wurde Mitte der 80er Jahre geweckt, als Kälterekorde im Winter noch Thema waren, Sommer-Unwetter die halbe Schweiz verwüsteten und die wärmsten Tage des Jahres erst Mitte September verzeichnet wurden. Ein Blick in die Temperaturstatistik der letzten 160 Jahre soll zeigen: Das Verrückte ist häufiger, als man denkt, und keinesfalls neu.
Für unsere Betrachtung wurden 160 Jahre homogenisierte Temperaturmesswerte von fünf Stationen gemittelt, welche die Niederungen der Deutschschweiz repräsentieren. Dabei wurde sowohl auf die geographische wie naturräumliche Verteilung geachtet: Die warme Nordwestschweiz ist ebenso vertreten wie die etwas höher gelegenen Nordstaulagen und die Föhntäler. Die satt rot und blau unterlegten Werte sind die heute gültigen Rekordmonate, -jahreszeiten und -jahre, pastellfarben unterlegt sind die jeweiligen Top 10. Farbige Zahlen heben Werte hervor, die zwar wegen der stetigen Klimaerwärmung nicht mehr in den Top 10 rangieren, aber für ihre Klimanormperiode herausstechen. Dazu gehören auch “Jahre ohne Sommer”, in denen der wärmste Monat keine 16 Grad im Mittel erreichte. Die eingerahmten Werte zeigen zur Jahreszeit verkehrte Temperaturverläufe und aussergewöhnliche Konstellationen auf. Diese werden weiter unten zusammengefasst.
Von den 160 Jahren weisen nur 24 keine besonderen Auffälligkeiten auf, also 15 %. Das letzte Jahr mit einer “weissen Weste” ist 2010, das der jüngeren Generation als Kaltjahr aufgefallen ist, jedoch 0.3 Grad über der Klimanorm 1961-90 lag. Aber auch mit -1.0 Grad gegenüber der aktuellen Normperiode 1991-2020 lag es gerade noch innerhalb der Standardabweichung, die damals als “normal” galt. Die zahlreichen Kaltperioden in diesem Jahr wurden so auf die Monate verteilt und innerhalb derer von Warmperioden ausgeglichen, dass kein Monat auffällig von der Norm ausscherte. Und trotzdem spielte das Wetter auch 2010 verrückt, was die tagesgenaue Auflösung des Temperaturverlaufs von MeteoSchweiz aufzeigt. Dieses Beispiel verdeutlicht die Grenzen von Auswertungen, die auf den willkürlich gewählten Kalendermonaten beruhen. Könnte man gleitende, also monatsübergreifende Anomalien berücksichtigen, würden noch etliche Kapriolen mehr zutage treten. Dies wäre möglich, würde die Politik in der Schweiz endlich bezüglich OpenData vorwärts machen. Bei der aktuellen öffentlich verfügbaren Datenlage wäre der Aufwand einer solchen Auswertung jedoch nicht zu leisten und der Betrag, der für die mittels Steuergelder erhobenen Messwerte zu entrichten wäre, für ein Kleinstunternehmen nicht verkraftbar. Aber zurück zum eigentlichen Thema…
Die auffälligsten Witterungsanomalien der letzten 160 Jahre nach Jahreszeiten gegliedert ergeben folgende Zahlen:
Beziehung Winter –> Vorfrühling:
– März kälter als Februar: 10 Fälle
– März kälter als Januar: 8 Fälle
– davon März kälter als Januar UND Februar: 2 Fälle
Verkehrte Temperaturverläufe Frühling:
– April kälter als März: 8 Fälle
– Mai kälter als April: 5 Fälle
– Juni kälter als Mai: 9 Fälle
Auffällige Sommer-Anomalien:
– Jahre ohne Sommer (wärmster Monat kälter als 16.0 Grad): 11 Fälle, letztmals 1965
– Juli kälter als Juni: 24 Fälle, davon Juni wärmster Monat des Jahres: 16 Fälle
– September wärmster Monat des Jahres: 1 Fall (1961)
– Juni kälter als September: 14 Fälle
Verkehrte Temperaturverläufe Herbst:
– September wärmer als August: 2 Fälle
– Oktober wärmer als September: 2 Fälle
– November wärmer als Oktober kam noch nie vor, was verdeutlicht, dass gröbere Kapriolen im Herbst deutlich seltener sind als zu den anderen Jahreszeiten
– Dezember wärmer als November: 13 Fälle
Besonderheiten, die aufgrund der Klimaerwärmung erstaunen:
– Die Wärmerekorde für Mai und Dezember haben beide seit 1868 Bestand, sind also Dinosaurier aus der Kleinen Eiszeit
– Inmitten einer extrem warmen Periode (Rekord-Juli) sticht der August 2006 als aussergewöhnlich kalt hervor
– Der Februar 2012 rangiert unter den 10 kältesten, obwohl es zum Ende des Monats bereits wieder mild wurde
Anomalien, welche die Erwärmung besonders verdeutlichen:
– Der Sommer 1911, inmitten von “Jahren ohne Sommer”, war der erste, der ein Mittel von 18.0 Grad erreichte. Der zweite folgte erst 1947, seit 2002 hingegen verfehlten nur deren sieben diese Marke, einige davon knappmöglichst, heute liegt das gleitende 30-jährige Mittel bei 18.3 Grad.
– Das gleitende 30-jährige Mittel für das Gesamtjahr bewegt sich auf die 10-Grad-Marke zu, nur noch sieben Hundertstel fehlen. Vor 1994 gab es aber kein Jahr >10 Grad.
Fazit: Nichts verdeutlicht so sehr den Unterschied zwischen Wetter und Klima wie die Wetterkapriolen: Diese finden fast jedes Jahr in irgend einer Form statt, während der langfristige Trend nur in eine Richtung geht. Und der April 2024 wird verdeutlichen, dass einzelne Monate eben nicht “Klima” sind, auch wenn sie von den meisten Wetterdiensten in ihren Rückblicken so benannt werden, sondern “Witterung”. Der April 2024 wird einer von vielen Monaten sein, der später in den Mittelwertstatistiken nicht weiter auffallen wird, weil die kalte zweite Monatshälfte nur ausgleicht, was die erste mit einer Abweichung von +5 Grad zur Klimanorm 1991-2020 überbordet hat. Dasselbe gilt natürlich auch für Niederschlagsanomalien, die wir hier aus Kapazitätsgründen noch nicht mal behandelt haben.
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Microwave am 25. April 2024 um 09:40 Uhr
Hoi Fabienne, danke für diese Auswertung! Deutlich, diese Häufung von rot gegen Schluss!
Bzgl. weiteren Auswertungen, welche Daten gibt es denn noch nicht frei, und wie würden diese genau helfen?
Grüsse – Microwave
Fabienne Muriset am 25. April 2024 um 18:14 Uhr
Hoi Microwave
Es geht um die Archivdaten auf Tagesbasis (Tagesmittel, TMax, TMin, Niederschlagssumme, Sonnenscheindauer) in einem bearbeitbaren Format. Von den einzelnen Messwerten (früher stündlich, seit diesem Jahrhundert 10-minütlich) wage ich noch gar nicht zu träumen, ist aber in Deutschland seit einigen Jahren frei verfügbar. Was man damit alles anstellen kann, dafür bietet die Seite https://www.mtwetter.de/ ein anschauliches Beispiel.
Grüsslis
Fabienne
Rainer Kirmse , Altenburg am 16. Juli 2024 um 18:52 Uhr
WETTER, KLIMA, WALD, UMWELT
Gedicht und Zustandsbericht
Wetter ist himmlische Wahrheit.
Der Wetterbericht bringt Klarheit
mit der Isobarenkarte,
Heiligtum der Wettersparte.
Azorenhoch und Islandtief,
der Wettergott treibt’s intensiv.
Die Omega-Wetterlage
macht Sommertage zur Plage.
Tornados, Hitze, Wassernot;
Feuer wüten in Wald und Flur.
Das Wetter gerät aus dem Lot,
Klimawandel zieht seine Spur.
Borkenkäfer in der Kiefer,
auch zur Fichte zieht Geziefer.
Statt sattes Grün und Waldeslust,
kranke Bäume und Förster’s Frust.
Profitgier lässt Wälder schwinden,
fördert weltweit Umweltsünden.
Die grüne Lunge des Planeten
in Gefahr, da hilft kein Beten.
Vielen Tieren Lebensraum,
für den Sauerstoff ein Quell,
für gesundes Klima essenziell;
das ist unser Freund, der Baum.
Jeder Baum, der zum Opfer fällt,
macht etwas ärmer uns’re Welt.
Der Mensch macht sich die Erde Untertan,
getrieben vom ewigen Wachstumswahn.
Autos werden größer, Straßen breiter,
die Wälder dagegen schrumpfen weiter.
Es ist höchste Zeit für uns, zu handeln,
endlich uns’ren Lebensstil zu wandeln.
Was nützt uns Wohlstand und alles Geld,
wenn am Ende kollabiert die Welt?
Man produziert und produziert,
plündert Ressourcen ungeniert.
Gewinnmaximierung ist Pflicht,
die intakte Natur zählt nicht.
Börsenkurse steh’n im Fokus,
Umweltschutz in den Lokus.
Plastikflut und Wegwerftrend,
man konsumiert permanent.
Nur unser ständiges Kaufen
hält das System am Laufen.
Unser westlicher Lebensstil
taugt nicht als Menschheitsziel.
Die Jagd nach ewigem Wachstum
bringt letztlich den Planeten um.
Das oberste Gebot der Zeit
muss heißen Nachhaltigkeit.
Statt nur nach Profit zu streben,
im Einklang mit der Natur leben.
Zu viele Buchen und Eichen
mussten schon der Kohle weichen.
Retten wir den herrlichen Wald,
bewahren die Artenvielfalt.
Kämpfen wir für Mutter Erde,
dass sie nicht zur Wüste werde.
Der Mensch, dieses kluge Wesen
kann im Gesicht der Erde lesen.
Er sieht die drohende Gefahr,
spürt die Erwärmung Jahr für Jahr.
Homo sapiens muss aufwachen,
seine Hausaufgaben machen.
Wir alle stehen in der Pflicht,
maßvoll leben ist kein Verzicht.
Teilen und Second Hand der Trend,
Repair vor Neukauf konsequent.
Bei allem etwas Enthaltsamkeit,
nehmen wir uns die Freiheit.😉
Das Klima schützen, Raubbau beenden,
das Anthropozän zum Guten wenden.
Ökonomie und Ökologie im Verein,
der blaue Planet wird uns dankbar sein.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen