Steht jemand in einer Tiefkühltruhe und steckt den Kopf in den voll aufgeheizten Backofen, sagt er dann auch, es sei im Durchschnitt ganz gemütlich? Der April 2024 wird mit einer Abweichung von etwa +1 Grad zur Klimanorm 1991-2020 in Zukunft niemandem auffallen. Dabei gab es in diesem Monat vor allem eines nicht: So etwas wie Normalität. Die erste Hälfte war fünf Grad wärmer als normal, die zweite drei Grad kühler trotz noch mal drei warmen Tagen zum Ende. Zu Beginn Sommer mit pulverisierten Rekorden (über 30 Grad im Oberrheingraben am 6. April, fast 32 Grad in der Steiermark am 14.), dann fast zwei Wochen Winter mit Schnee bis in die Niederungen und verbreitet Frostschäden an Kulturen: Obwohl sich solche Aprilverläufe in den letzten Jahren gehäuft haben, hat 2024 noch mal eine Eskalationsstufe mehr gezündet. Zusätzliche Kuriosität: Dieser Monat war gleichzeitig verbreitet nasser und trüber als im langjährigen Mittel.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den April, erstellt am 01.04.2024, lautete wie folgt:
Durchs Band zeigen die Läufe eine extreme negative Geopotenzial-Anomalie über dem nahen Atlantik mit Kern zwischen den Azoren und Irland, die sich bis nach Westeuropa erstreckt. Gegenspieler ist eine ebenfalls beträchtliche positive Abweichung über Osteuropa, die sich nach Südwesten über Nordafrika hinweg in den subtropischen Atlantik fortsetzt. Daraus resultiert im Mittel eine Dominanz südwestlicher Höhenströmung, die durch West- und Südlagen unterbrochen werden kann. Das europäische Modell bastelt für das letzte Aprildrittel an einem Hochdruckblock über Nordeuropa – in den letzten zwei Jahrzehnten ein häufiges Muster im April, allerdings nicht mehr seit 2021, also fraglich und möglicherweise nur ein statistischer Bias des Modells, aber zumindest nicht ausgeschlossen.
Fast permanente Zufuhr subtropischer Luftmassen aus Südwest kann nur in einen deutlich zu warmen April in weiten Teilen Europas führen – insbesondere im eher hochdruckbestimmten Südosten, wo in etlichen Läufen Abweichungen in 2 m Höhe von 5 bis 8 Grad (!) gerechnet werden. Das Gefälle nach Westen und Norden ist allerdings stark: Nördlich der Tiefdruckzone wird häufig sibirische Kaltluft über Lappland aufs Nordmeer hinaus getragen, was die Temperaturgegensätze über dem Nordatlantik befeuert und die Tiefdruckentwicklung weiter fördert, daher die dort gerechnete Persistenz. Die um das Tief herumgeholte Kaltluft erreicht zumindest zeitweise auch Südwesteuropa, sodass dort mit einem durchschnittlichen bis leicht unterkühlten April gerechnet wird. Die mittleren Abweichungen am Boden dürften sich in Mitteleuropa von West nach Ost zwischen zwei und vier Grad bewegen, womit wir uns im Bereich der dritt- bis fünftwärmsten Aprilmonate (2011, 2014, 2020) befinden, wohl aber nicht in Reichweite der zwei dicksten Bretter (2007 und 2018). Rekorde sind am ehesten im Osten und nur dann möglich, wenn sich der Tiefdruckeinfluss aus Westen etwas zurückhält und mehr Sonnenschein als derzeit erwartet zulässt.
Die von Südwest nach Nordost verlaufende Frontalzone hinterlässt eine deutliche Spur beim Niederschlag: Von den Azoren über Westeuropa bis ins Baltikum ist die Wahrscheinlichkeit für einen ziemlich bis sehr nassen April hoch. Auch die Westalpen fangen bei südwestlicher Anströmung einen guten Teil ab, während die Signale im restlichen Alpenraum nicht eindeutig sind. Sollten sich West- und Südlagen in ungefähr ausgeglichenem Verhältnis zeigen, wird der Niederschlag auf der Alpennord- und -südseite ziemlich gerecht verteilt und dürfte sich um die langjährige Norm einpendeln, wobei aktuell die erste Monatshälfte nasser aussieht als die zweite. Tendenziell trockener sieht es im östlichen Alpenvorland sowie im Südwest-Lee der deutschen Mittelgebirge aus.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Das grossräumige Zirkulationsmuster wurde sehr gut erkannt: Hohes Geopotenzial südwestlich von Grönland und über Südosteuropa mit dazwischen liegender Tiefdruckrinne vom zentralen subtropischen Nordatlantik über die Britischen Inseln hinweg bis nach Skandinavien. Allerdings war diese negative Anomalie weniger ausdauernd als erwartet und daher die Abweichung über den Gesamtmonat deutlich schwächer. Grund dafür war die Nordwest- bis Nordlage vom 15. bis 25. April, die das hohe Geopotenzial in Skandinavien abgebaut und mit hohem Luftdruck über dem Nordatlantik die negative Anomalie zwischen der Iberischen Halbinsel und Grönland fast gänzlich aufgefüllt hat.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Auch hier zeigt sich wie beim Luftdruck ein sehr gut getroffenes Verteilungsmuster: Extreme Hitze im äussersten Südosten mit Peak von 6 bis 7 Grad Abweichung im Nordwesten Kasachstans und über dem Ural (was die sehr rasche Schneeschmelze mit verheerenden Überschwemmungen dort verursacht hat), allerdings nicht so weit in die Mitte Europas reichend wie prognostiziert. Die Nordlage ab Monatsmitte hat eine gewaltige Schneise in die Wärmeanomalie von Nordwesteuropa bis nach Algerien geschlagen. Auch das kalte Nordeuropa wurde in der Prognose gut erfasst, wenn auch vom Schwerpunkt her zu weit westlich. Hier hat die zehntägige Verschiebung des Troges nach Osten in der zweiten Monatshälfte mit hohem Luftdruck über dem Nordatlantik eine deutliche Milderung verursacht.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Passend zu den guten Prognosen bei der Druckverteilung war auch das grobe Muster beim Niederschlag nicht schlecht getroffen: Die nasse “Strasse” von den Azoren über die Britischen Inseln bis ins Baltikum ist eingetroffen, wenn auch ohne die extreme Ausbuchtung nach Galizien und Nordportugal. Nordwestlich und südöstlich dieser feuchten Zone schliessen sich die Gebiete mit unterdurchschnittlichen Niederschlägen an. Die Abweichungen in Mitteleuropa wurden sogar regional sehr gut getroffen: Verbreitet etwas nasser als normal, aber mit einem trockenen Streifen im oft föhnigen Alpenvorland und im Lee des Erzgebirges. Die komplexen regionalen Details entnimmt man besten den Karten der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Die neue Eskalationsstufe wurde bereits erwähnt, sie zeigt sich eindrücklich in der Statistik der Witterungs- und Grosswettertypen:
“Normal” temperierte Tage gab es nur als Ein- bis Zweitagesfliegen zwischen den Extremen, insgesamt deren acht. Zehn Tage müssen als “zu kalt” und zwölf Tage als “zu warm” eingestuft werden. Das Verhältnis nass/trocken liegt bei 17/13. Sehr gut abgebildet wird dieses krasse Verhältnis auch bei den Grosswettertypen: Elf Tage nordwestliche bis nördliche Anströmung stehen ebenfalls elf Tagen mit südlicher bis südöstlicher Anströmung gegenüber (der eine Tag GWT Ost ist durch die beginnende Südostlage am 30. April entstanden). Die restlichen acht Tage teilen sich eine südliche Westlage zum Monatsbeginn und die Hochdruckbrücke vom 10. bis 14. April.
Die Langfristprognose für den Mai findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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