Mit dem Übergang in ein neues Jahrzehnt tritt auch eine neue Klimareferenzperiode auf den Plan. Dass die Temperatur im Mittel der Jahre 1991-2020 gegenüber der alten Klimanorm 1961-1990 gestiegen ist, kann leicht belegt werden. So stieg die Temperatur im Flächenmittel Deutschlands über das ganze Jahr gesehen um 1.06 Grad. Ist das Wetter einfach wärmer geworden oder haben sich auch die Wetterlagen verändert? Wir gehen dieser Frage im Detail nach und betrachten dabei jede Jahreszeit aufgrund der Komplexität gesondert in einem separaten Beitrag. Teil 3: der Sommer, umfassend die Monate Juni, Juli und August.
Der Sommer ist jene Jahreszeit, die sich in den letzten 30 Jahren am stärksten erwärmt hat, nämlich um 1.28 Grad. Dabei entfallen 1.00 Grad auf den Juni, 1.39 auf den Juli und 1.46 auf den August (deutsches Gebietsmittel nach DWD). Der letzte Gesamtsommer mit einer Durchschnittstemperatur unter der Klimanorm 1961-1990 war ganz knapp 1996 mit einer Abweichung von -0.04 Grad. Um einen deutlich unterkühlten Gesamtsommer zu finden, muss man in Deutschland bis 1987 zurückblättern (-0.83 Grad), in der Schweiz gar bis 1980 (-1.06 Grad). Auffällig ist dabei, dass der Juni mit seiner vermeintlich geringsten Erwärmung sein letztes kühles Auftreten in der Schweiz im Jahr 1995 hatte (-0.74 zu 1961-90) und in den letzten Jahren vermehrt mit frühen hochsommerlichen Hitzewellen aufgewartet hat. Oder anders gesagt: Der Juni hat mit dem Erwärmungstrend gegenüber den anderen Sommermonaten zugewartet, holt aber seit dem letzten Jahrzehnt mächtig auf. Beim Niederschlag gibt es für den Gesamtsommer und für August keinen eindeutigen Trend, allerdings ist der Juni im deutschen Gebietsmittel um 10.7 % trockener geworden, während der Juli-Niederschlag um 12.4 % zugenommen hat.
Mit der Klassifizierung von Zirkulationsformen (ZF), Grosswettertypen (GWT) und Grosswetterlagen (GWL) haben wir ein praktisches Instrument, um den Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Witterung in Europa detailliert auf den Grund zu gehen. Seit 2012 führen wir kontinuierlich einen Wetterlagenkalender auf unserer Partnerseite orniwetter.info, die älteren Daten haben wir vom DWD bzw. dem PIK Potsdam übernommen. Unser Augenmerk richtet sich schwerpunktmässig auf die Entwicklung der letzten 20 Jahre gegenüber früheren Mittelwerten.
Als erstes betrachten wir die Veränderung der Grosswettertypen der letzten 20 Jahre zum Mittel seit 1881:
Auffällig ist die deutliche Zunahme von Wetterlagen aus dem Sektor Süd auf Kosten der Sektoren West bis Nord. Nur schon alleine dies erklärt den Temperaturanstieg im Sommer. Extrem ist der Anstieg bei den Südwestlagen: Die Zunahme von über 10 Prozentpunkten von 3.22 % im letzten Jahrhundert auf 13.48 % in den letzten 20 Jahren bedeutet mehr als eine Vervierfachung dieses GWT. Ebenfalls extrem ist die Abnahme von Nordlagen im Juni von ursprünglich 22.56 % auf heute noch 14.67 %. Der GWT Nord hatte in den Monaten April bis Juni sein statistisches Maximum im Jahresverlauf und ist somit eine typische Frühlingserscheinung. Mit dem starken Rückgang von Nordlagen verliert der Juni seinen Frühlingscharakter und wird nicht nur temperaturmässig zu einem vollwertigen Sommermonat. Etwas plakativ ausgedrückt kann man sagen: Die Schafskälte wird immer seltener, während Hitzewellen immer häufiger auftreten. Bemerkenswert ist auch, dass Westlagen in allen drei Monaten abnehmen, wenn auch auf nach wie vor relativ hohem Niveau. Wahrscheinlich verliert der August den zweiten Rang in der Häufigkeit von Westlagen im Jahresverlauf, definitiv wissen werden wir es im abschliessenden Bericht, wo die Statistik des Gesamtjahres zusammengefasst wird. Gehen wir noch etwas tiefer ins Detail und schauen uns die Veränderung der Grosswetterlagen an:
Zwei Dinge fallen hauptsächlich auf: Troglagen (TRW, TRM) nehmen deutlich zu, während West zyklonal signifikant abnimmt. Der Jetstream leiert also auch im Sommer immer häufiger aus, wie wir dies bereits im Winter festgestellt haben. Dieselbe Ursache hat die starke Zunahme von Südwestlagen (SWZ, SWA), sowie die Zunahme von Winkelwest (WW) und Südostlagen (SEZ, SEA). Wie schon im Frühling verzeichnen wir eine Verschiebung von Hochdrucklagen (HM) zur Hochdruckbrücke (BM), was als Folge der Zunahme von Troglagen logisch ist, wenn von den zunehmenden Trögen Tiefs in den Mittelmeerraum abtropfen und sich dahinter eine Hochdruckbrücke schliesst. Stabile Hochdruckgebiete über Mitteleuropa werden dadurch seltener. Interessant ist, dass jene beiden Grosswetterlagen (TRW und BM) stark zugenommen haben, welche für über die Hälfte aller Schwergewitter-Fälle auf der Alpennordseite verantwortlich sind (Maturaarbeit “Schwergewitter auf der Alpennordseite der Schweiz“, Kapitel 4.2). Es ist also kein Zufall, dass dieser Artikel gerade während einer Troglage über Westeuropa entsteht, bei der an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen Grosshagel in vielen Regionen Mitteleuropas auftritt. BM ist hingegen eher für wenig organisierte, langsam ziehende und daher hauptsächlich Starkregen und lokale Überflutungen sowie grössere Ansammlungen von kleinkörnigem Hagel verursachende Gewitter berüchtigt.
Bei der Entwicklung der Grosswetterlagen fällt auch auf, dass hauptsächlich zyklonale Lagen zu- und antizyklonale Lagen abnehmen:
Waren in den 1980er Jahren antizyklonale Lagen noch etwas häufiger als zyklonale, war das Verhältnis in den 90er Jahren genau ausgeglichen. Seither hat sich das Gewicht stark zugunsten der zyklonalen Wetterlagen verschoben (62:38 im Schnitt der letzten 20 Jahre). Im Winterhalbjahr würde eine solche Verschiebung mit einer starken Zunahme der Niederschläge einhergehen. Im Sommer ist die Sache wesentlich komplizierter: Hoch- und Tiefdrucklagen sind weniger stark ausgeprägt, es herrschen über weite Strecken Flachdrucklagen vor. “Zyklonal” bedeutet im Sommer also nicht zwingend tiefdruckbestimmt: Oft entscheiden nur geringfügige Konturen in der Windströmung oder kleinräumige Kaltlufttropfen darüber, ob eine Lage als zyklonal oder antizyklonal klassifiziert wird. So herrschen denn auch meistens nicht grossräumige Niederschlagsgebiete an Fronten wie im Winterhalbjahr vor, sondern durch Schauer und Gewitter charakterisierte lokale Schwerpunkte, wobei vor allem das Flachland häufig ausgespart wird. Eine These ist, dass die weiten flachen Gebiete Mitteleuropas im Sommer zunehmend trocken werden (verstärkt durch die höhere Verdunstung als Folge der Erwärmung), während z.B. Mittelgebirgslagen nasser werden. Dies wäre genauer zu untersuchen.
Wenden wir uns der Entwicklung der Grosswettertypen in den letzten 40 Jahren zu:
Hier wird der bereits erwähnte Abfall von Hochdruck- und Nordlagen im letzten Jahrzehnt ebenso deutlich wie die signifikante Zunahme von Südwest- und Südlagen. Letzteren wollen wir uns noch etwas näher zuwenden. Wie bereits eingangs erwähnt, muss der Temperaturanstieg im Sommer auf die deutliche Zunahme von Luftmassen aus südlichen Gefilden zurückzuführen sein, darüber kann es kaum zwei Meinungen geben. Schauen wir uns die GWT-Anteile der heissesten Sommer des letzten Jahrzehnts an:
Südwest- und Südlagen zusammen machten in diesen drei Hitzesommern (Definition min. 3 Grad über der Klimanorm 1961-90 in der Schweiz) insgesamt 39 % aller Wetterlagen aus. Norm 1881-2008 war knapp 11 %, das neue Mittel 2001-2020 liegt bei knapp 26 %. Dass es aber neuerdings auch ganz anders geht, zeigt der vierte Hitzesommer im Bunde, nämlich 2018:
In diesem Sommer gab es überhaupt keine Südwestlagen und nur 11 % Südlagen, was nur leicht über dem langjährigen Schnitt liegt. Stattdessen ungewöhnlich viele Hochdrucklagen und Luftmassen aus dem Sektor Nordwest deutlich über der Norm und aus Nord im langjährigen Mittel. Trotzdem unterscheidet sich die Durchschnittstemperatur des Sommers 2018 nur marginal von den anderen drei Hitzesommern. Grund dafür war eine völlig andere Vorgeschichte: 2018 war bereits der Frühling extrem hochdruckbestimmt, insbesondere in Nordeuropa. Landmasse wie auch Nord- und Ostsee heizten sich extrem auf, sodass im Sommer auch Luftmassen aus nördlichen Richtungen bei uns in Mitteleuropa ungewöhnlich warm eintrafen. Ist die Kombination aus Wärme, viel Sonnenschein, wenig Niederschlag und somit auch fehlender Verdunstungsabkühlung mal installiert, erhält sich dieses System von selbst – entsprechend hielt sich die aussergewöhnliche Wärme auch noch bis weit in den Herbst. Der Sommer 2018 war in jeder Hinsicht ein Extrembeispiel, das bisher nur ein vergleichbares Beispiel kennt, nämlich 2003. Man darf gespannt sein, inwiefern diese beiden Fälle Trendsetter waren.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Anteile der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat pro Jahrzehnt seit 1981
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Kurt Nadler am 3. November 2021 um 23:23 Uhr
danke für den wie immer interessanten bericht!
ad n-lagenabnahme.
wie passt “Der GWT Nord hatte in den Monaten April bis Juni sein statistisches Maximum im Jahresverlauf” mit den regelmäßig wiederkehrenden spätfrostlagen der letzten jahre zusammen, wo klassische trockenkaltluft aus n einströmt?
genügt die laienhafte hypothese, dass die schäden vor allem auf die verfrühte phänologie zurückzuführen sind?
vereinfacht müsste man denken: weniger spätfrühlingskaltluft – weniger spätfröste. vielleicht sind sie aber entgegen der landläufigen meinung eh weniger und nicht mehr geworden.
ad sommer-trockenhitze in der ebene:
wie weit meine region für das österreichische pannonikum repräsentativ ist, kann ich nicht umfassend beantworten, aber wenigstens der oso-grenzraum von ö. scheint die starke erwärmung einigermaßen durch erhöhten niederschlag abgemildert zu bekommen. noch dürren beispielsweise keine bäume und büsche auf den allerorts verbuschenden trockenrasenlebensräumen ab.
in https://www.zobodat.at/pdf/STAPFIA_0112_0147-0206.pdf, seite 148 oben hab ich laienhaft ein bissl auswertungsarbeit klimatologischer daten aus “unsren” messstationen geleistet, dies allerdings mit jahresmitteldaten – da wirds wärmer und feuchter. es wäre sicher lohnend, dies für jahreszeiten und speziell für den sommer gesondert zu machen.
Fabienne Muriset am 5. November 2021 um 15:23 Uhr
Servus Kurt und Danke für die Rückmeldung
Der Abschnitt, aus dem du zitierst, handelt ja vor allem von der Umwandlung des Monats Juni in einen zunehmend vollwertigen Sommermonat und die damit verbundene Abnahme von Nordlagen, die für den Frühling typisch sind. Dem Thema Vegetationsentwicklung und Spätfröste ist im Beitrag zum Frühling https://www.fotometeo.ch/entwicklung-der-grosswetterlagen-verteilung-im-fruehling-mar-apr-mai/ ein ausführlicher Abschnitt gewidmet.
Die Zunahme von Sommerniederschlägen (insbesondere in Form von Gewittern, wobei dazwischen lange trockene Phasen vorkommen können) im Burgenland bzw. im gesamten Südosten Österreichs wäre eine logische Folge der Zunahme von Südwestlagen, weil dadurch vermehrt vom Mittelmeer angefeuchtete Luftmassen zu euch gelangen. Ganz anders erlebt man dies im Weinviertel, wo insbesondere Kollegen aus der Region Hohenau und Dürnkrut von teils gravierenden Dürren in den letzten Jahren berichten. Sie liegen bei Südwestlagen im Lee der mächtigen Alpen, die weitaus mehr Feuchtigkeit aus der Luftmasse kämmen als bei den abnehmenden Westlagen von der Böhmischen Masse aufgehalten wurde. Die Zunahme von Südwestlagen auf Kosten von Westlagen zieht sich durch alle Jahreszeiten hindurch und so verwundert es nicht, dass sich dabei orographisch bedingt regional spürbare Veränderungen in Sachen Niederschläge ergeben. Ähnliche Berichte hört man z.B. auch aus Thüringen, Sachsen und Brandenburg, die nun häufiger im Lee der deutschen Mittelgebirge liegen. Gerade aus diesem Grund habe ich mich den Veränderungen der Häufigkeit der Wetterlagen gewidmet, weil Klimawandel nicht einfach nur aus steigenden Temperaturen besteht, sondern die Lage von steuernden Hochs und Tiefs verändert und somit auch die Strömungen der Luftmassen.
Liebe Grüsse
Fabienne
Kurt Nadler am 7. November 2021 um 08:29 Uhr
danke für die rückmeldung und den link!
an eine großwetterlagenabhängigkeit hab ich in diesem zusammenhang noch nicht gedacht gehabt!
aus täglichem vergleich diverser wetterwerte der großregion über viele jahre hinweg kann ich – ein wenig subjektiv – eins absolut bestätigen: die wesentlichsten niederschlagsereignisse bei uns betreffen ganzjährig “mediterrane luftmassen”, und da besteht immer ein starker gradient ca. WNW-wärts, der wien schon ganz anders ausschaun lässt und dann ab waldviertel überhaupt pause ist. ein sehr großer unterschied zu hohenau wär mir weniger aufgefallen,ich nehm deine info natürlich ernster als meinen “eindruck” (bei diversen grafiken nimmt halt innerhalb des niederschlagsblaus zum rand hin die intensität ab und man sieht dabei den unterschied nicht gebührlich), man kanns letztendlich klar an den riesigen unterschieden in den niederschlagsbezogenen klimastatistiken ablesen, wenn diese station ein drittel weniger abbekommt als wir.
eins scheint für unsre SW-NW-längsorientierte kleinregion zwischen karpaten und leithagebirge dazuzukommen: obwohl sie eben ist, scheint es doch etwas verstärkt konvektive effekte und / oder “staueffekte” zu geben. weiter NW oder SO sind die niederschläge nicht selten geringer (wie weit dies wiederum repräsentativ ist und für welche wetterlagen genau, kann ich aus meinen eindrücken nicht rausfiltern).