Wenn das kein Grund zum Feiern ist: Nach vier Wochen trockener Bisenlage hat die Wetterlage umgestellt und beschert uns erstmals in dieser Saison subtropische Luftmassen aus Südwest. Wobei von einer Rückkehr zur „Normalität“ keine Rede sein kann: Die Blockierungslage, die seit Anfang Mai anhält, wird fortgesetzt. Allerdings ist das blockierende Hoch von Skandinavien etwas nach Südosten gerutscht, es verhindert vorerst noch ein paar Tage, dass das Tief im Westen bzw. der Trog durchmarschieren kann. Seine Vorderseite beschert uns die erste potenzielle Unwetterlage dieser Gewittersaison – bemerkenswert spät im Übergang zum letzten Junidrittel.
Beginnen wir wie gewohnt mit der Karte der Druckverteilung und der Windströmung in etwas mehr als 5000 m Höhe, um einen ersten Überblick zu bekommen:
Wir sehen das inzwischen schwächelnde Blockadehoch über Skandinavien, das in den vergangenen Tagen das Vorankommen des atlantischen Tiefs nach Osten verhindert hat. Dieses hat sich gezwungenermassen tief eingegraben und sich zu einem mächtigen Trog gewandelt. Die warme Vorderseite stützt den Höhenrücken, dessen Achse bereits seit Sonntag knapp östlich der Schweiz liegt. Bemerkenswert ist, wie weit nach Süden der Trog reicht und woher er die Luft holt, die uns in den höheren Luftschichten in diesen Tagen erreicht:
Schade, dass die Trajektorien nicht weiter als eine Woche zurück gerechnet werden können. Trotzdem wird klar, dass wir es hier mit einer Luftmasse aus der innertropischen Konvergenz (ITC) zu tun bekommen. So sah das Wasserdampfbild vor einer Woche in dieser Region aus:
Da wird also zumindest teilweise in gewissen Schichten Luft zu uns transportiert, die noch vor einer Woche in einem Gewittercluster des westafrikanischen Regenwaldes aufgestiegen ist. Gleichzeitig muss man bedenken, dass diese Luftmasse einen weiten Weg durch den Subtropen-Hochdruckgürtel genommen hat, der allerdings vom ostatlantischen Trog durchbrochen wurde. Auch sieht man an den Trajektorien der etwas tiefer gelegenen Luftschichten (grün und rot, entspricht etwa 4000 und 3000 m Höhe), dass da auch trockenere Luftmassen mitspielen. Man muss sich also die Schichtung etwa vorstellen wie eine Cremeschnitte mit feuchten (Vanillecreme) und trockenen (Blätterteig) Lagen, wobei die unterste Schicht ja immer aus Blätterteig besteht (entspricht den ausgetrockneten Böden nach fast vier niederschlagsfreien Wochen) und die oberste aus Zuckerguss (der ist meist weiss wie die Schleierwolken, die aktuell über uns hinwegziehen). Wie bei den Cremeschnitten gilt aber auch bei dieser Wetterlage: Je älter sie wird um so weicher (feuchter) werden die Blätterteigschichten, das wäre dann ab Mittwoch der Fall.
Dieser Ausflug in die Kulinarik soll nur verdeutlichen, warum sich die Modelle selbst bei der Kurzfrist extrem schwer tun: Alle drei bzw. sechs Stunden wird ein anderes Szenario gerechnet, mal sind die Gewitterlinien da, mal dort, mal gar nicht vorhanden. Und so rätseln wir am Montagmorgen immer noch darüber, was am Nachmittag und Abend in den Alpen und nördlich davon passieren wird. Hatte das französische Modell noch am Vorabend Gewitteraktivität über der Westschweiz gerechnet und liess den Osten fast trocken, ist es 12 Stunden später umgekehrt:
Das deutsche Modell wiederum will sowohl das Eine wie das Andere: Gewitter aus den zentralen und östlichen Voralpen heraus am Nachmittag und frühen Abend, den Cluster in der Westschweiz am späten Abend und in der Nacht:
Was macht man damit als Meteorologin? Erfahrung hilft bei solch widersprüchlichen Karten wenig, zumal die GWL Trog Westeuropa für ihre Mätzchen und Überraschungen bekannt ist. Wenn man aber weiterspinnt, was am Sonntag und in der Nacht zum Montag abgelaufen ist, wo die Gewitter von Lauf zu Lauf schwächer gerechnet wurden und am Schluss nur müdes Getröpfel übrig geblieben ist (abgesehen von einer kleinen, aber giftigen Zelle in der Nordschweiz), dann bleibt nur eine Conclusio übrig: Es wird was geben, aber vermutlich schwächer als modelliert, will heissen: Ein paar Gewitterzellen am Nachmittag aus den Voralpen heraus, und in welchem Zustand die Linie aus Frankreich am späten Abend in die Schweiz zieht, bleibt abzuwarten. Immerhin: Schwere Sturmböen werden derzeit nicht modelliert und auch die Niederschlagsmengen sehen nicht bedrohlich aus, bleibt noch die Frage nach Hagel, der könnte kleinräumig durchaus Schäden anrichten. Eher in der Westschweiz, falls die Gewitter in der Nacht dort gesund ankommen, weil dort der Höhenwind mächtig anzieht und die Scherung verstärkt.
Naturgemäss wird die Prognose für den Dienstag und die Folgetage nicht einfacher, wenn schon die Kurzfrist derart unsicher ist. Versuchen wir es trotzdem. Im Hinterkopf haben wir die GWL Trog Westeuropa, also Grosswettertyp Süd, was meistens bedeutet: Im Westen ist mehr los als im Osten, denn dort kann noch der Föhn ein Wörtchen mitreden. Das tut er auch diesmal, vor allem am Dienstag, und dies für die Jahreszeit ungewöhnlich laut:
Das bietet uns die Gelegenheit, uns die oben erwähnte Cremeschnitte mal modellarisch anzuschauen:
Der Gitterpunkt dieses Vertikalprofils befindet sich irgendwo im zentralen Mittelland nördlich von Luzern. Trockene Grundschicht mit Föhn bis etwas über 2000 m hinaus, dann folgt eine feuchte Schicht, die theoretisch von der Grundschicht abgekoppelte Gewitterentwicklung auslösen könnte, wäre sie mächtig genug. Aber bereits ab 4000 bis etwa 7000 Meter ist es wieder viel zu trocken (gedeckelt), da wird wohl jeder Versuch verhungern, da nützt auch die extreme Geschwindigkeits- und Richtungsscherung nichts. Hagelmodelle zeigen potenzielle Korngrössen über 5 bis 8 cm, aber woher nehmen wenn die Feuchtigkeit fehlt? Dies gilt für die gesamte Alpennordseite östlich des Napf, da sind sich die Modelle auch weitgehend einig, dass es trocken bleibt. Anders im Westen: Hier feuchtet es genug an weil auch kein Föhn reinfunkt. Dass eine Gewitterzelle aus den westlichen Voralpen heraus bis über das Napfgebiet hinaus weit ins zentrale und östliche Mittelland aktiv bleibt wie von ICON-D2 im neuesten Lauf gerechnet, kann ich mir nicht vorstellen. Die Erfahrung bei dieser Wetterlage zeigt, dass die Gewitter eine steilere, nach NNE gerichtete Zugbahn nehmen und Rightmover in der Regel hinter dem Napf in der Föhnluft vertrocken. Wir merken uns also vor, dass am Dienstagnachmittag oder -abend heftige Gewitter mit potenziell grossem Hagel bis in die Region Bern und Basel ziehen können. Ob das Potenzial auch eingelöst wird, muss wie immer zeitnah beurteilt werden.
Dasselbe Spiel wiederholt sich wahrscheinlich am Mittwoch, wobei da noch nicht ganz klar ist, ob der Föhn nochmal genügend dagegen halten kann. Aktuell sieht es eher danach aus, dass dieser schwächer wird und Gewitter etwas weiter nach Osten vorankommen können. Da die Luftmasse dieselbe bleibt und auch der Höhenwind ähnlich aussieht, bleibt das Potenzial für Grosshagel und schwere Sturmböen bestehen. Überbordende Niederschlagsmengen sind eher nicht das Problem, weil die Zellen recht schnell ziehen.
Donnerstag ist dann (endlich!) Kaltfrontdurchgang angesagt:
Der tageszeitliche Ablauf ist auf drei Tage hinaus naturgemäss noch nicht gesichert, derzeit sieht es aber danach aus, dass der Luftmassenwechsel zur besten Tageszeit kommt. Vor allem GFS macht am Vormittag mit dem starken Tief über Frankreich noch einen veritablen Föhnsturm, bevor die Kaltfront um die Mittagszeit den Windsprung auf West bringt. In diesem Szenario wird es auf jeden Fall turbulent, vor allem windmässig. Das europäische Modell rechnet das Tief weniger stark und lässt es auch langsamer ziehen, der Föhnstoss wäre somit weniger stark und die Front geht erst gegen Abend durch. Das britische und das französische Modell sind noch später dran mit dem Kaltfrontdurchgang erst in der zweiten Nachthälfte zum Freitag. Entsprechend ist auch noch unklar, wie rasch sich die Lage am Freitag beruhigt: Bei der schnellen Variante setzt sich in der zweiten Tageshälfte mit Bise bereits trockenes Wetter durch, bei der langsamen bleibt der Freitag wohl mehr oder weniger verregnet. Eine deutliche Abkühlung (allerdings auf jahreszeit-übliche Normwerte) ist damit auf jeden Fall verbunden, bereits ab Sonntag rechnen die Ensembles aber wieder mit einem Temperaturanstieg über das langjährige Mittel.
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