Hätte jemand vor 40 Jahren behauptet, es werde in nicht allzu ferner Zukunft mal einen Juni geben, in dem zu zwei Dritteln die Luftmassen aus dem Sektor Nordwest bis Ost daherkommen und es trotzdem keinen deutlich zu kalten Tag gibt (Stichwort Schafskälte) und der Monat regional der zweitwärmste und der sonnigste seit Aufzeichnungsbeginn wird, man hätte ihm bestimmt den Vogel gezeigt. 2023 war es so weit, inzwischen zeigt uns das Klima den Vogel.
![](https://www.fotometeo.ch/wp-content/uploads/2023/07/20230703-1.jpg)
Niederschlagstreffer waren Glücksache: Oft vertrockneten die Gewitter wie dieses Exemplar über dem Jura am 10. Juni schon nach kurzer Zeit
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Juni, erstellt am 1. Juni, lautete wie folgt:
Der herausgepickte CFS-Lauf ist gut eingebettet in eine Serie von Läufen mit ähnlicher Konstellation, erst der allerletzte Lauf (31.05., 18z) weicht wieder etwas davon ab bzw. zentriert das Hoch dann gleich nach Mitteleuropa – jetzt auf diese neue Variante zu setzen, erscheint dann doch etwas riskant. Wir gehen also von einer Hochdruckanomalie aus, die sich von Südgrönland über die Nordsee und Mitteleuropa bis in den Nahen Osten erstreckt, wobei der Schwerpunkt zunächst vor allem im Seegebiet südlich von Grönland und Island liegt. Über dem Kontinent ist die Hochdruckbrücke nur schwach ausgeprägt und somit störungsanfällig, vor allem durch Austrogungen über Osteuropa. Eine ausgeprägte negative Druckanomalie nistet sich über den Azoren ein und erstreckt sich in abgeschwächter Form bis in den Mittelmeerraum. Insgesamt deutet sich an, dass wir auf einen zweigeteilten Monat mit völlig unterschiedlichen Charakteren zusteuern.
Über den gesamten Monat gemittelt trennt eine positive Temperaturanomalie quer durch Europa hinweg die negativen Anomalien in Nordeuropa und im Raum Azoren-Iberische Halbinsel-Nordwestafrika voneinander. Die positive Abweichung von 2-3 Grad in West- und Mitteleuropa wird in der ersten Monatshälfte vor allem durch Absinken und Erwärmung der Luftmasse im Hochdruckgebiet und durch hohe Sonneneinstrahlung erzeugt (was an der Nordsee naturgemäss weniger effektiv geschieht als im nördlichen Alpenvorland), es herrschen starke Tagesgänge mit eher kühlen Nächten und sehr warmen Tagen vor. In der zweiten Monatshälfte dürfte die Zufuhr warmer Luftmassen aus dem Sektor Südost bis Südwest diese Aufgabe übernehmen. Dazwischen besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich auch mal der eine oder andere Kaltlufttropfen von Skandinavien über Osteuropa nach Mitteleuropa verirrt, was dann wohl als Mini-Schafskälte interpretiert werden kann.
Beim Niederschlag scheint recht klar, dass alles nördlich der Alpen, besonders rund um die Nordsee, recht trocken bleibt – mal abgesehen von zufälligen lokalen Gewittertreffern vor allem in der Nähe von Mittelgebirgen. Der Alpenraum wird ungefähr normal nass gerechnet, was im Juni reichliche Niederschläge bedeutet, gehört dieser Monat doch in den meisten Regionen in Alpennähe zu den nassesten des Jahres. Aussergewöhnlich nass werden weite Teile Südeuropas gerechnet, wobei die Abweichungen in einem normalerweise trockenen Sommermonat dramatischer aussehen als sie in Wirklichkeit sind und bereits von einem einzigen Gewitter erzielt werden können. Ergiebig bis unwetterartig dürften die Niederschläge eher nur in den Gebirgsregionen ausfallen (Nordspanien, Südalpen, Apennin, Balkangebirge, Südkarpaten).
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die blockierte Zirkulation über dem Nordatlantik und Europa wurde von den Modellen gut erfasst. Das Hoch zwischen den Britischen Inseln und Skandinavien war allerdings persistenter und stärker als erwartet, bzw. lag etwas nach Osten verschoben. Die Brücke zum Nahen Osten bestand, allerdings schwächer ausgeprägt als prognostiziert. Sehr gut erfasst wurde die negative Anomalie über den Azoren und dem Mittelmeer. Diese Gemengelage bedeutete für Mitteleuropa, dass der Witterungsablauf für den gesamten Monat aussergewöhnlich präzise vorhergesagt werden konnte – bis auf den Westdurchbruch am allerletzten Tag.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 Meter Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Die Ostverschiebung des Hochdruckblocks hatte eine ebensolche der Warmluft zur Folge (Absinken im Hoch erwärmt die Luft in den mittleren Schichten) – statt über Grönland lag die höchste Abweichung über dem Nordmeer und Skandinavien, die Kaltluft wurde nach Nordrussland verdrängt. Auch über Westeuropa wurde die Wärmesumme durch das persistentere Hoch aufsummiert, hinzu kam effizientere Warmluftzufuhr aus Südwesten in der zweiten Monatshälfte mit zeitweise tropischen Luftmassen aus Westafrika (Grafiken dazu sind in der Gewittervorschau vom 19. Juni zu finden).
Die Abweichungen am Boden waren in West- und Nordeuropa relativ homogen verteilt, regional wurden um +4 Grad zur Vergleichsperiode 1991-2020 oder über +5 Grad zur Klimanorm 1961-90 erreicht, was in den meisten Regionen der zweite Rang bedeutet, entweder hinter 2003 oder 2019. In der Schweiz fehlen dem Juni 2023 in den Niederungen der Alpennordseite dann doch ganze 2.2 Grad zum Rekordhalter vor 20 Jahren. Auch wenn obige Karte wieder mal schlecht aufgelöst ist (z.B. beträgt die Abweichung in Vorarlberg immer noch mehr als +2 Grad und im Südtessin zwischen +1 und 1.5 Grad), so ist doch das deutliche Gefälle nach Südosten gut zu erkennen. Erst ganz im Osten Österreichs lag die Mitteltemperatur ziemlich genau im Schnitt von 1991-2020. Nicht zuletzt dank sehr ausgiebiger Besonnung wurden diese hohen Werte erreicht, vielerorts war 2023 der sonnigste Juni seit Aufzeichnungsbeginn, insbesondere im Westen Deutschlands und in der Nordschweiz.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Nicht nur rekordsonnig, sondern auch extrem trocken präsentierte sich der Juni 2023 in weiten Teilen Mitteleuropas. Mancherorts fielen nur wenige Tropfen, so etwa im Saarland um die 5 mm. Eine Ausnahme macht ein sehr nasser Streifen vom Harz bis in die Gegend von Berlin, wo die doppelte bis dreifache Menge des normalen Monatsniederschlags fiel – allerdings das meiste davon durch den Gewittercluster vom 22. auf den 23. Juni, also blieb es auch hier über weite Strecken des Monats knochentrocken. Abgesehen davon fielen die Niederschläge dort, wo sie in der Prognose gezeigt wurden: Im Süden Europas. Angesichts der hohen Abweichungen in Spanien erstaunt es, dass von dort keine Meldungen von Unwetterschäden in unsere Medien gelangten. Für die lokal extremen Unterschiede in Mitteleuropa empfehlen wir wie üblich den Blick auf die detaillierten Grafiken der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Ausser Tief und Südwest waren alle Grosswettertypen in diesem Juni vertreten, dennoch fällt das Übergewicht von Nord- und Ostlagen auf, welche etwas mehr als die gesamte erste Monatshälfte dominierten. Trotz elf Tagen mit Grosswettertyp Nordwest und Nord – früher Garant für die Schafskälte – war kein einziger Tag im untersuchten Gebiet signifikant unter der jahreszeitlichen Norm. Einzelne solcher Tage gab es nur im östlichen und nördlichen Mitteleuropa. Auch extreme Hitze war nicht mit von der Partie, vielmehr war dieser Juni geprägt durch permanent gemässigt bis hochsommerliche Temperaturen. So wurden z.B. an drei Stationen im Südwesten Deutschlands (Rheinfelden, Wutöschingen, Wolfach) 30 Sommertage (= TMax über 25 Grad) nur im allerletzten Moment durch den kühleren 30. Juni verhindert. Die Statistik weist zwölf feuchte Tage aus, was sich irgendwie mit dem markanten Niederschlagsdefizit beisst, sich aber durch lokale Gewitter – mal hier, mal da – erklären lässt. Meistenorts zogen an diesen „feuchten“ Tagen nur kümmerliche Reste von Gewittern oder Fronten durch und hinterliessen mit etwas Glück ein paar wenige Millimeter Regen – viel zu wenig für die durch permanenten Wind und Sonnenschein ausgetrockneten Böden.
Die Langfristprognose für den Juli findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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