Es ist kompliziert mit der menschlichen Psyche. Noch vor zwei Jahren haben fast alle den kalten April verflucht, doch nun ist plötzlich alles anders: Weil der Winter keiner war, also keinen Schnee geliefert hat und auch sonst zu trocken war, wurde medial verbreitet, der April müsse nun ganz viel Regen bringen, um das aufgelaufene Defizit wettzumachen. Als ob ein kaputter Frühling flicken könne, was ein kaputter Winter verdorben hat. Klar, dem Grundwasser tut der viele Regen bestimmt gut, wird aber erkauft durch Übernässung und Fäule an der Oberfläche und verminderten Insektenflug, was eine schlechte Bestäubung der Obstbäume und anderer Kulturen zur Folge hat und in der Vogelwelt hungrige Insektenjäger zurücklässt. Zudem sind die niederschlagsreichsten Monate in Mitteleuropa Mai bis August – entscheidend ist also viel mehr, ob der Sommer liefert – fällt dieser trocken, war das ganze Sauwetter im April zwar nicht für die Katz, aber trotzdem umsonst.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den April, erstellt am 31. März, lautete wie folgt:
Der aus dem reichhaltigen Menü herausgepickte Lauf nimmt diesen Trend zum EAW auf – etwas Risiko muss sein. Er zeigt eine ausgeprägte Anomalie des Geopotenzials über ganz Nordeuropa, das sich von Ostgrönland bis Westrussland und von Spitzbergen bis nach Süddeutschland erstreckt, das Zentrum liegt über Südnorwegen. Gegenspieler ist eine etwas weniger starke, aber dennoch beachtliche Tiefdruckanomalie mit Zentrum über Tunesien, welche den gesamten Mittelmeerraum beherrscht und sich bis zum Alpenbogen erstreckt. Dominanter Grosswettertyp kann somit nur Ost sein, wobei in den ersten Apriltagen Nordost vorherrscht. Danach wird das blockierende Hoch wahrscheinlich immer wieder seinen Schwerpunkt leicht zwischen West- und Nordeuropa verlagern, sodass sich Nord- bis Ostlagen abwechseln, vielleicht nistet es sich auch für ein paar Tage über Mitteleuropa ein. West- bis Südlagen haben bei dieser Konstellation nur wenig zu melden.
Daraus folgt, dass sich an der Ostflanke des Blockadehochs von Nordosteuropa bis zum zentralen Mittelmeer häufig Luftmassen polarer Herkunft bewegen und für einen unterdurchschnittlich temperierten April sorgen. Unter dem Hoch erwärmt sich die Luft durch Absinken und überdurchschnittlichen Sonnenschein hingegen auf Werte über der langjährigen Norm. Diese warme Zone umfasst das gesamte Nordmeer und die angrenzenden Länder und reicht knapp bis zum Alpenraum. Am Boden ist somit für Mitteleuropa ein Gefälle von Nordwest nach Südost zu erwarten, das nur geringfügige Abweichungen um die Klimanorm 1991-2020 aufweist. Wahrscheinlich ein Plus werden die inneralpinen Lagen aufweisen, die vom Nord(-ost)stau in der ersten Aprilwoche etwas geschützt sind und daher viel Sonnenschein erwarten können. Am Alpennordrand sowie in den Nordstaulagen der Mittelgebirge werden hingegen die Tagesgänge der Temperatur durch mehr Wolken weniger ausgeprägt sein, dafür ist hier das Risiko von empfindlichen Nachtfrösten etwas geringer als in den klaren Alpentälern.
Der ausgewählte Modell-Lauf ist bezüglich Niederschlag von Nord- bis Ostsee extrem trocken, möglicherweise fällt in diesem Bereich macherorts den ganzen Monat kein Tropfen Regen. Eher trocken bleibt es auch im übrigen Mitteleuropa, hier können aber doch gelegentlich vom Mittelmeertief abgeschwemmte Störungen für ein paar trübe und nasse Tage sorgen, allzu ergiebig ist das aber im April in aller Regel nicht, da das Mittelmeer im Frühling die tiefsten Wassertemperaturen im Jahresverlauf aufweist – Süd- bis Südwestlagen wären da weitaus effizienter, vor allem für die Alpensüdseite. Sehr nass wird das Gebiet von Süditalien bis zum Balkan sowie die Kaukasusregion gerechnet. Hierfür sind zu dieser Jahreszeit weniger die für den Herbst berüchtigten Unwetter verantwortlich als vielmehr die hartnäckige Blockadelage mit sehr lang andauerndem Tiefdruckeinfluss.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die meridionale Zirkulationsform im atlantisch-europäischen Raum wurde richtig erfasst – das war es aber auch schon und keine Kunst, denn eine solche ist für April typisch. Der Hochdruck lag deutlich weiter nördlich als prognostiziert und erstreckte sich über den gesamten arktischen Raum, somit war sein Einfluss auf Europa marginal. Entscheidend für Europa war der deutlich südöstlicher liegende Tiefdruck auf dem Nordatlantik. Er fütterte mit seiner Zufuhr subtropischer Luftmassen auf seiner Vorderseite einen sogenannten „heat dome“, hohes Geopotenzial mit Subsidenz und weiterer Erwärmung der Luftmasse über der Iberischen Halbinsel: Die perfekte Omega-Lage war geboren. Dieses Hoch liess die für April typischen Kaltlufttropfen in Osteuropa auflaufen: Sie blieben dort und im östlichen Mittelmeerraum gefangen, statt am Südrand des Skandinavien-Hochs weiter nach Westen zu ziehen und zur Abwechslung auf ihrerer Rückseite mal eine Südlage einzuleiten, wie sie in den Aprilmonaten der letzten Jahre Hochkonjunktur hatten.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 Meter Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Die permanente Blockierung durch das Omegahoch über der Iberischen Halbinsel war prägend für weite Teile Europas: In Südwesteuropa extrem warm, im Osten sowie auf dem westlichen Nordatlantik kalt, wobei sich die Abweichungen durch die Persistenz der Lage in ungeahnte Höhen aufsummierten. Dabei war die negative Abweichung vor Neufundland noch gut berechnet, warum das Modell aber die daraus resultierende Vorderseite nicht gesehen hat, bleibt ein Rätsel. Möglicherweise gab es eine Unterschätzung der Oberflächentemperatur des Wassers im östlichen Atlantik. Solches wirkt stabilisierend auf die Atmosphäre, und legt sich ein Hoch darüber, schaukelt es sich gegenseitig auf.
Abweichung der Lufttemperatur in 2 Meter Höhe gegenüber der Klimanorm 1991-2020:
Hier wird deutlich, wie unterschiedlich eine warme Luftmasse in der Höhe sich auf die Temperatur am Boden auswirkt: Die Landmasse erwärmt sich deutlich stärker als die Wasseroberfläche. Andersrum konservierten Niederschläge und mangelnder Sonnenschein die kühle Luftmasse über Mittel- und Osteuropa, die sich normalerweise unter der Aprilsonne bodennah erwärmen müsste. Randnotiz: An vielen Gipfelstationen in Österreich und auch auf dem Säntis, dem Jungfraujoch sowie auf der Zugspitze war der April knapp kälter als der März. In den tieferen Lagen machte die wärmere Phase zum Monatsende eine ähnliche Bilanz gerade noch zunichte.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Durch die Verschiebung der Druckgebiete war logischerweise auch die Prognose der Niederschlagsverteilung unbrauchbar geworden – mit Ausnahme von Südosteuropa. Mitteleuropa präsentiert sich bezüglich Niederschlagsabweichung sehr inhomogen. Der Alpenraum war teilweise extrem nass bis auf ein paar Flecken auf der Alpensüdseite, deutlich zu trocken war es in weiten Teilen Norddeutschlands (mit Ausnahme der Nordseeküste, die laut unserer Prognose hätte trocken bleiben sollen). Ein Blick in die detaillierten Karten der Landeswetterdienste lohnt sich also diesmal besonders: Schweiz, Österreich, Deutschland. Fazit: Dieser April ist seinem Ruf wieder mal gerecht geworden und hat die Erfahrung bestätigt, dass Monatsprognosen zu keiner Jahreszeit so schwierig sind wie im Frühling.
Und so sieht ein richtig versaubeutelter April auf der Alpennordseite aus: 27 Tage mit zyklonaler Wetterlage. Gerade mal sechs Tage waren grossräumig trocken, drei davon richtig kalt. Vielleicht kommt die Nachsicht mancher Leute mit diesem Monat daher, dass zwei der drei „trocken-normalen“ Tage auf das Osterwochenende fielen. Für Leute mit unkonventionellen Arbeitszeiten war’s hingegen schlicht zum Davonlaufen, denn die klaren Phasen traten oft nachts auf, erzeugten an vielen Tagen morgendlichen Boden- und sogar Luftfrost, während tagsüber Hochnebel oder hohe Wolkenfelder bei zügigem Nordostwind die Erwärmung bremsten. Die nass-kalten Tage brachten regional Schneefall bis in tiefe Lagen, auch noch am 20. April. Die überdurchschnittlich temperierten Tage im letzten Monatsdrittel gingen mit kräftigen Regengüssen und Gewittern einher. Um diesen April einzuordnen, der von vielen als „normal“ bezeichnet wird, weil er ins Muster des vorigen Jahrhunderts zurückfiel, hier eine Aufstellung zwecks persönlicher Wahl des grössten Schmierfinks des bisherigen Jahrhunderts:
Hier ist für jeden etwas dabei (die Einstufung der Tage „zu warm / zu kalt“ erfolgte nach dem zum jeweiligen Zeitpunkt gleitenden 30-jährigen Mittel):
– 2023: Gänzliches Ausbleiben eines trocken-warmen Tages und grösste Anzahl nasser Tage
– 2021: Der Scherz-Monat mit einem sommerlichen 1. April und dann vielen kalten Tagen und vor allem Nächten, aber immerhin auch viele sonnige dabei
– 2017: Der April mit fast frühsommerlicher erster Hälfte (nach rekordwarmem März), extrem weit fortgeschrittener Vegetation und einem Frosthammer zum Ende
– 2013: Ein bis weit ins erste Aprildrittel verlängerter Märzwinter, danach häufig trüb und nass, aber dennoch mit einigen warmen Phasen dazwischen
– 2008: Der zweittrübste in dieser Auflistung, überdurchschnittlich nass, aber immerhin temperaturmässig ziemlich genau in der Klimanorm 1981-2010
– 2006: Der Achterbahn-April, sehr trüb und nass mit winterlichen Phasen, aber auch einer frühsommerlichen im letzten Drittel
– 2001: Der kälteste in dieser Reihe und überdurchschnittlich nass mit Schnee bis in die Niederungen um den 20., aber mit immerhin ein paar sehr warmen Tagen
Meine Wahl ist klar. Jeder kühle und nasse April, der zumindest zwischendurch ein paar sonnige und warme Tage liefert, ist demjenigen von 2023 vorzuziehen. Selbst an jenen von 1984 (in Bern 1.1 Grad kälter als 2023), habe ich gute Erinnerungen. Den diesjährigen werde ich versuchen zu löschen.
Die Langfristprognose für den Mai findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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