Das Martinisömmerchen, in den letzten Jahren recht zuverlässig um diese Zeit mit stabilen Hochdrucklagen und Milde in der Höhe, fällt dieses Jahr ins Wasser – wie bereits der ganze Spätherbst. Einzelne trockene und mit viel Glück sonnige Tage muss man mit der Lupe suchen und dann mit Verstand geniessen, das wird sich auch in der kommenden Woche nicht ändern. Die für diese Jahreszeit aussergewöhnlich aktive Westlage behält uns bis auf Weiteres fest im Griff und hat vielleicht auch die eine oder andere Überraschung im Gepäck.
Um diese dynamische Wetterlage zu verstehen, muss zunächst die Ausgangslage etwas genauer untersucht werden:
Fast während des ganzen Jahres war vom aussergewöhnlich warmen Nordatlantik die Rede, doch das permanent kalte Gebläse der letzten Wochen von Kanada auf den Atlantik hinaus hat den Grossen Teich ordentlich aufgemischt, sodass grosse Teile des zentralen Nordatlantiks inzwischen kühler sind als normal, während weiter nördlich und südlich dieses Gürtels die Wassertemperaturen immer noch überdurchschnittliche Werte aufweisen. Diese Temperaturunterschiede befeuern weiterhin die Tiefdruckentwicklung und somit auch die Fortsetzung der Westlage. Allerdings schaufelt sich diese Wetterlage ihr eigenes Grab: Irgendwann wird der Nordatlantik genügend ausgekühlt sein, um die Atmosphäre darüber zu stabilisieren bzw. die Tiefdruckgebiete weiter nördlich ziehen zu lassen. Das allerdings ist zum aktuellen Zeitpunkt noch ziemliche Glaskugel.
Ein Kaltluftpool über Skandinavien und eine wegen der geringen Ausdehnung des Arktik-Eises reduzierte Temperaturdifferenz im Hohen Norden sorgt bereits seit einiger Zeit für eine negative Nordatlantische Oszillation (NAO-): Die Gegend zwischen Grönland, Island und Lappland liegt unter hohem Luftdruck, der Tiefdruckgürtel und die Frontalzone liegen relativ weit südlich. Die Grosswetterlage ist hauptsächlich West zyklonal an der Grenze zur südlichen Westlage. Die Kriterien für eine solche sind nur heute Freitag und am Samstag erfüllt, das ist zu kurz für eine eigene GWL-Zuordnung, also wird durchgehend West zyklonal klassifiziert. Damit verbunden ist ein atmosphärischer Fluss: Ein Starkregenstrom auf der warmen Seite der Frontalzone, der sich von der Karibik über den ganzen Atlantik hinweg bis nach Mitteleuropa erstreckt.
Der Samstag scheint noch der ruhigste Tag zu werden, wobei doch einige Schauer durchziehen, die auch mal die eine oder andere kräftige Böe mitbringen. Die Schneefallgrenze pendelt um 1000 Meter herum, in kräftigeren Schauern in Alpennähe kann es auch mal tiefer gehen oder es sind gleich Graupel und kleiner Hagel mit dabei.
Richtig spannend wird es am Sonntagmorgen. Die Nacht davor kann verbreitet für einige Zeit recht klar sein, sodass die bodennahe Schicht gut auskühlt, stellenweise ist Frost möglich. Danach sind viele verschiedene Faktoren entscheidend: Wie rasch macht der Wolkenschirm der Warmfront in der zweiten Nachthälfte dicht? Kann der stark auffrischende Südwestwind in der Höhe die Kaltluftschicht am Boden angreifen und vor allem: Wie intensiv wird der am frühen Morgen einsetzende Niederschlag? Bei solchen Lagen wird die Durchmischung von den Modellen eher über- und die Niederschlagsabkühlung unterschätzt, daher würde ich mal darauf gefasst sein, dass am Sonntagvormittag vielerorts eine weisse Überraschung drinliegt. Insbesondere die gegen Südwestwind gut geschützten Lagen in Voralpennähe, also von Freiburg über das Emmental bis ins südliche zentrale Mittelland dürften ein paar Zentimeter Schnee zu sehen bekommen, bevor dann im Tagesverlauf der Südwestwind durchgreift und die Schneefallgrenze gegen 2000 Meter steigen lässt. Dabei ist auch nicht auszuschliessen, dass es in einer Übergangsphase hier und da zu gefrierendem Regen kommt. Gut, dass Sonntag ist ohne Berufsverkehr – man will ja gar nicht wissen wie viele noch mit Sommerreifen unterwegs sind. Am Nachmittag dann also auf der Alpennordseite verbreitet Regen, während die Schneefallgrenze in den Alpentälern wahrscheinlich erst im Lauf des Nachmittags langsam zu steigen beginnt.
Montag, die nächste Warmfront bringt noch mildere Luftmassen. Die Schneefallgrenze steigt gegen 2500 Meter, der Tag ist wolkenverhangen und immer wieder nass. Der Südwestwind greift jetzt voll in die Niederungen durch und bringt schon mal Sturmböen in exponierten Lagen, richtig stürmisch ist es auf den Bergen:
Am Dienstag sieht die Windkarte fast identisch aus, es ändert sich aber etwas: Eine schleifende Luftmassengrenze installiert sich wahrscheinlich knapp nördlich der Schweiz, könnte aber unter Umsänden auch bis zum Alpenrand vorstossen. Das hat einerseits Einfluss darauf, ob die Schneefallgrenze über 1500 Meter bleibt oder doch (vorübergehend) deutlich tiefer sinkt. In diesem Zusammenhang ist von intensivem Niederschlag auszugehen, der sich von Montagabend bis weit in den Dienstag hinein zieht, wobei am Alpennordhang Regenraten von durchschnittlich 10 mm pro 3h zu erwarten sind, in Spitzenzeiten auch deutlich mehr. Ab Dienstagnachmittag lässt die Intensität zwar nach, es bleibt aber auch noch bis in den Mittwochmorgen hinein nass. Hier eine mögliche Aufsummierung der Niederschläge von heute Freitag bis Mittwochmittag:
Wie viel davon direkt in den Abfluss gelangt und wie viel liegen bleibt, hängt stark von der Schneefallgrenze ab und daher ist eine Hochwasserprognose derzeit extrem unsicher, man muss es aber auf jeden Fall im Auge behalten und auf alles gefasst sein.
Für den Mittwoch sahen einige Modelle vorübergehend eine Wetterberuhigung vor mit sonnigen Abschnitten und aussergewöhnlich hohen Temperaturen, derzeit wird das Ausgreifen des Warmsektors aber weniger nördlich berechnet, sodass es trüb und nass bleiben könnte. Die Modelle sind da aber sehr sprunghaft und daher bleibt dieser Punkt noch offen – klar ist einzig, dass der Wind stark bleibt. Für den Säntis werden von Sonntagabend bis Mittwochabend durchgehend Maximalböen zwischen 110 und 150 km/h gerechnet. Es wird also nebst der unsicheren Hochwassergefahr für die Hochalpen auch noch interessant, wie viel Schnee liegenbleibt und wie er verfrachtet wird, sodass auch ein starker Anstieg der Lawinengefahr zum Thema wird.
Damit noch nicht genug: Ab Donnerstag beruhigt sich zwar das Wetter auf der Alpennordseite allmählich: Wind und Niederschlag werden weniger, es wird von Tag zu Tag kühler, doch eine mögliche Entwicklung wird für die Alpensüdseite interessant:
Diese mögliche Tiefdruckentwicklung über Italien im Zusammenspiel mit dem Hochdruckaufbau weiter westlich könnte für einen Nordföhn-Sturm am Freitag sorgen, je nachdem wie sich die Druckgebilde positionieren. Das ist noch recht unsicher, sei aber vorsorglich hier schon mal erwähnt. Wenig Freude daran werden auf jeden Fall die Adria-Anrainer haben.
Diese Seite ist bewusst werbefrei gehalten, um die Unabhängigkeit des Informationsgehaltes zu gewährleisten und nicht von den Inhalten abzulenken. Der kostenlose Zugang zu Informationen ohne boulevardeske Verzerrungen beim Thema Wetter und Klima ist uns sehr wichtig. Mit einer freiwilligen Spende unterstützen Sie die Arbeit von fotometeo.ch in einem schwierigen Marktumfeld und sichern das Fortbestehen des Blogs. Vielen Dank!
Noch besser, weil für die Empfängerin spesenfrei, sind direkte Einzahlungen auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten.
Spendenbarometer letzte 12 Monate (fotometeo und orniwetter zusammen, Erklärung siehe hier):