Siebenschläfertag! Da können wir einfach nicht anders. Seit 2012 versucht dieser Blog, einer an sich sinnvollen, aber veralteten und heute noch falsch interpretierten Bauernregel den Sprung ins digitale Zeitalter zu verhelfen. Mit Ausnahme des letzten Jahres, als eine völlig aus den Fugen geratene nordhemisphärische Zirkulation eine Prognose verunmöglichte (wir aber immerhin versucht haben zu erklären, weshalb), war unsere moderne Auslegung der Regel stets im Grossen und Ganzen zutreffend, und in diesem Jahr können wir zuversichtlich sein, dass sie wieder hinhaut. Der provokative Titel soll natürlich nur darauf hinweisen, wie man es eben nicht machen sollte…
Nicht machen darf man es so: Man nehme das aktuelle Satellitenbild und ziehe daraus die Schlussfolgerung, dass diese Situation nun sieben Wochen lang anhält:
Wir sehen ein zweigeteiltes Mitteleuropa mit einem wolkenlosen Süden, in dem die Eintrübung durch Saharastaub deutlich zu erkennen ist. Wir schauen auf ein paar sehr heisse Tage zurück mit massenhaft pulverisierten Juni-Rekorden in den Niederungen, insbesondere in den Alpentälern. An etlichen Gebirgsstationen wurden gar absolute Rekorde seit Messbeginn erreicht (z.B. 21 °C auf dem 2500 m hohen Säntis in der Ostschweiz). Ursächlich dafür war eine Wetterlage, bei der direkt aus der Sahara über den westlichen Mittelmeerraum hinweg eine extrem heisse Luftmasse nach West- und Mitteleuropa verfrachtet wurde. Diese Grosswetterlage (je nachdem, ob man die Höhen- oder die Bodendruckverteilung stärker gewichtet, eine Süd- oder Südostlage) wird soeben beendet, womit wir den Blick in die Nordhälfte Mitteleuropas wenden: Wir sehen hier, wie kühle Nordseeluft aus Nordwesten ins Landesinnere eindringt. An der Grenzschicht zwischen der sehr warmen Luft in der Höhe und der bodennah einströmenden Kaltluft bildet sich tiefe Schichtbewölkung, die schon fast herbstlich anmutet. Doch es müssen sich auch all jene, welche immer noch ganz streng an der alten Siebenschläfer-Regel festhalten wollen, keine Sorgen machen: Abgesehen von einem küstennahen Gebiet lösen sich diese Wolken weitgehend auf.
Doch wenden wir uns jenem Zeitraum zu, der nach der Kalenderreform die eigentliche Startphase des Siebenschläfer-Zeitraums umfasst, nämlich die erste Juli-Woche. Hierin liegt nämlich der zweite verbreitete Irrtum bezüglich dieser Regel: Man kann den Siebenschläfertag nicht einfach um zehn Tage nach hinten verschieben und den 7. Juli für die Prognose hernehmen. Das wäre nur dann korrekt, wenn die Bauernregel kurz vor der gregorianischen Kalenderreform 1582 entstanden wäre. Wir müssen aber annehmen, dass die Bauernregel älter ist, sodass der korrekte Siebenschläfertag nach dem Sonnenstand ein paar Tage vor dem 7. Juli liegt. Wir nehmen also für die moderne Auslegung der Regel die grossräumige Wetterlage der ersten Juliwoche und gehen davon aus, dass sie im Groben den Hochsommer (bis ungefähr Mitte August) prägen wird. Für das südliche Mitteleuropa liegt bei dieser Regel-Anwendung die Trefferquote bei etwa 75 %, nach Norden hin nimmt die Zuverlässigkeit allmählich ab. Stellvertretend für das südliche Mitteleuropa nehmen wir mal das GFS-Ensemble-Diagramm für München:
Hier sehen wir, dass die aktuelle Hitzewelle nach dem Monatswechsel beendet wird und sich die Temperaturen um das langjährige Mittel einpendeln sollen. Bereits um den 4./5. Juli nimmt die Streuung aber derart zu, dass uns diese Rechnungen auch nicht wirklich weiterhelfen. Sehen wir uns die Druckverteilung des GFS-Ensemble-Mittels an, dann erkennen wir auch den Grund für diese starke Unsicherheit:
Die Karte des Geopotenzials zeigt eine recht stramme Zonalisierung der Polarfront (ungefähr der gelbe Bereich), wie sie sich üblicherweise um diese Jahreszeit einstellt und die Siebenschläfer-Regel so zuverlässig macht. Das ist der gemässigte bis leicht zu kühle Cluster im Ensemble-Diagramm weiter oben, geprägt von Westlagen und somit einem wechselhaften Witterungscharakter, der aber aufgrund des sich immer wieder nach Mitteleuropa ausweitenden Azorenhochkeils auch längere trockene und sommerliche Phasen beinhaltet. Es gibt aber noch einen zweiten Cluster mit Rechnungen bis in den neuerlichen Hitzebereich, auch dieser ist in der Druckkarte zu erkennen: Die Ausbuchtung tiefen Drucks vor Portugal deutet die Möglichkeit an, dass sich die aktuelle Wetterlage mit Zufuhr heisser Luft aus Süden wiederholen könnte. Auch dies aufgrund der Erhaltungsneigung der letzten Monate ein nicht unplausibles Szenario. Was also ist zutreffender? Vielleicht hilft uns Ensemble-Karte des europäischen Wettermodells ja weiter…
Tja, Pech gehabt! Ausgerechnet jetzt gleichen sich die beiden Modelle fast wie ein Ei dem anderen. Da kann nur noch die Cluster-Analyse helfen, um zumindest eine Ahnung davon zu bekomen, welche Variante die wahrscheinlichere ist:
Ganze sieben Cluster erwecken auf den ersten Blick nicht den Eindruck, als wüsste das Modell, was es will. Schauen wir uns aber die Karten genauer an, so kann man ein deutliches Muster erkennen: Der tiefe Luftdruck über Skandinavien scheint recht gesichert zu sein, insgesamt ist also mit einer Normalisierung der nordhemisphärischen Zirkulation und somit häufigen Westlagen zu rechnen. Ebenso deutlich erscheint in allen Clustern die Austrogung vor Westeuropa. Das riecht doch stark nach einem Sommer des Typs 2017 mit sehr wechselhaftem Charakter im Süden mit fast wöchentlichem Auf und Ab zwischen heiss und kühl und der entsprechenden “Himmelsmusik” als Begleiterscheinung, aber keiner längeren stabilen Phase (weder in die eine noch die andere Richtung). Für das nördliche Mitteleuropa wären Hitzewellen wohl eine Rarität und vor allem jeweils von kurzer Dauer, pessimistische Sommerliebhaber würden sie auch Eintagsfliegen nennen…
Vielleicht lassen sich die restlichen Unsicherheiten bis zum Ende des Monats noch ausräumen. Lesen Sie dazu die ab dem Abend des 30. Juni verfügbare Juli-Monatsprognose auf unserem Partnerblog von orniwetter.info.
Diese Seite ist bewusst werbefrei gehalten, um die Unabhängigkeit des Informationsgehaltes zu gewährleisten und nicht von den Inhalten abzulenken. Mit einer freiwilligen Spende unterstützen Sie die Arbeit von fotometeo.ch in einem schwierigen Marktumfeld und sichern das Fortbestehen des Blogs. Vielen Dank!
Falls Sie kein PayPal-Konto besitzen, können Sie direkt auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten einzahlen.
Schackich am 27. Juni 2019 um 13:14 Uhr
Sehr gut, insbes. der Hinweis auf die Kalenderreform. Vor der Kalenderreform wanderte bezogen auf den Sonnenstand über die Jahrhunderte der Siebenschläfertag, weshalb man auch vor der Reform nicht einen festen Tag wie z.B. den 7.7. angeben darf. Man muss von einem mehrtägigen Zeitraum Anfang Juli ausgehen, und der 7.7. liegt schon eher am Ende dieses Zeitraums.
Chris am 28. Juni 2019 um 11:28 Uhr
Hallo Frau Muriset,
erst einmal danke für den sehr interessanten Beitrag zum diesjährigen Siebenschläferzeitraum. Ihr Blog ist wohl der einzige im deutschsprachigen raum, der sich auf seriöse Art und Weise mit dem Thema Langfrist beschäftigt. Machen Sie weiter so!
Besonders interessant fand ich diesmal den Einblick in die ECMF-Ensembles. Falls möglich wäre es sehr spannend, wenn Sie dieses Modell öfter mit einbeziehen könnten. Soweit ich weiß, gibt es neben CFS auch von ECMF Monats- und 46-Tage-Vorhersagen…
Herzliche Grüße
Chris