Und schon wieder blicken wir auf einen Monat der Superlative zurück, nur diesmal das pure Gegenteil vom Mai. Im südlichen Mitteleuropa hätte man es nicht für möglich gehalten, dass der Hitzejuni 2003 so schnell in den Schatten gestellt würde – doch genau dies ist z.B. in Österreich passiert (in der Osthälfte Deutschlands auch, wobei im Norden der Juni 2003 nicht so extrem war wie im Süden). Als Krönung wurden während der neuerlichen Hitzewelle in der letzten Juniwoche gleich reihenweise Rekorde zum Teil regelrecht pulverisiert, sie hier alle aufzählen zu wollen, würde den Rahmen des Blogs deutlich sprengen. Zwei extreme Beispiele seien stellvertretend herausgepickt: An der Bergstation Cimetta im Tessin (1661 m) wurde der bisherige Allzeit-Rekord der Messreihe seit 1982 um sagenhafte 3.5 Grad überboten und liegt jetzt bei 29.7 °C. Und Frankreich hat neu die zweifelhafte Ehre, in den Klub der 45er aufgenommen worden zu sein. Gleich an drei Stationen wurde diese Marke überschritten, der neue Landesrekord liegt nun bei 45.9 °C, womit der alte Rekord aus dem Extrem-August 2003 von 44.1 °C um 1.8 Grad „verbessert“ wurde.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Juni, erstellt am 31. Mai, lautete wie folgt:
Die Herausforderung in diesem Monat besteht also darin, abzuschätzen, wann und wie weit sich eine Westlage durchsetzen kann. Vorerst haben wir es noch mit einer blockierten Lage mit Hoch über Osteuropa zu tun, der Druck auf Westeuropa von kälteren Luftmassen auf dem Atlantik nimmt allerdings zu. Ob sich eine Pattsituation einstellt (kühler Westen, heisser Osten mit Unwettern in der Mitte), oder sich der Westwind durchsetzt, hängt davon ab, ob sich in der ersten Junihälfte der Jetstream auf unserer Seite der Nordhalbkugel erholt. In diesem Punkt sind die Modelle leider sehr widersprüchlich.
Aus den mehrheitlich der oben geschilderten Blockadesituation folgenden Modellläufe wurde ein Kompromiss-Lauf gewählt: Also keine Dauerblockade, aber auch kein sehr rasches Durchgreifen der Westlage. Dominant ist eine Hochdruckanomalie mit Zentrum über dem Baltikum, das nahezu den ganzen Kontinent mit Ausnahme des äussersten Westens und Südostens abdeckt. Gegenspieler ist eine Tiefdruckanomalie über dem Ostatlantik, die Britischen Inseln, Westfrankreich und die Iberische Halbinsel umfassend. Entsprechend liegt das Azorenhoch etwas nach Nordwesten verschoben. Diese Druckkonstellation bedeutet Grosswettertyp Süd, die recht gesichert das erste Monatsdrittel dominiert. Wir gehen davon aus, dass diese Südlage am Pfingstwochenende, möglicherweise auch ein paar Tage später, von einer Westlage abgelöst wird. Dabei ist noch nicht sicher, wie rasch und wie weit nach Osten der kühlere Westwind durchgreifen kann, denkbar ist im Übergang auch eine mehrtägige Winkelwest-Lage mit heftigen Gewittern entlang der nahezu stationären Luftmassengrenze irgendwo über Mitteleuropa. Die zweite Monatshälfte böte demzufolge einen munteren Wechsel aus Wetterlagen des Sektors West, Tiefs und Zwischenhochs.
Die Hitzewelle des ersten Monatsdrittels sorgt für einen kaum mehr abzubauenden Temperaturüberschuss, der in einem Monatsmittel resultiert, das in Osteuropa noch ein Plus von etwa vier Grad, in Mitteleuropa und Skandinavien zwei Grad zur Klimanorm 1981-2010 aufweist. Deutlich unter dem langjährigen Mittel wird der Juni in West- und Südosteuropa landen.
Die Niederschlagsverteilung sieht so aus, dass es ein deutliches Gefälle zwischen nassem Westeuropa und trockenem Osteuropa geben dürfte. Die unten abgebildete Karte bietet nur eine grobe Orientierung: Unwetter entlang einer scharfen Luftmassengrenze können innerhalb weniger Stunden das ganze Monatssoll oder mehr über eine Region ausgiessen, während es unweit davon nahezu trocken bleiben kann.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Der Vergleich der Druckverteilung zeigt eine nahezu perfekte Prognose. Wer die Unterschiede finden will, muss sehr genau hinschauen: Am deutlichsten sticht die nördlichere Position des westatlantischen Hochs ins Auge, das jedoch auf Europa keinen Einfluss hatte. Die Hochdruckanomalie über Osteuropa war hingegen geringfügig südlicher anzutreffen als prognostiziert und dehnte sich weniger weit nach Skandinavien aus, war vom Betrag her aber genau richtig gerechnet. Und das Tief über dem Ostatlantik weist in der Analyse einen um 20 Meter oder 2 dam tieferen Kern aus, was auf eine etwas persistentere Lage als erwartet schliessen lässt. Von der Zirkulation her und den zu erwartenden Grosswetterlagen hat sich der Juni 2019 also ziemlich genau an die Prognose gehalten, doch war dies auch bei der konkreten Witterung der Fall?
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Hier werden die Unterschiede schon etwas deutlicher. Der Kern der Hitze über dem östlichen Mitteleuropa wurde zwar richtig positioniert, weist aber eine um 1-1.5 Grad höhere Abweichung auf. Die Binsenweisheit, dass man mit Langfristprognosen zwar Trends erkennen, aber keine Rekordsituationen mit Sicherheit vorhersagen kann, hat sich einmal mehr bestätigt. Noch deutlicher ist die Abweichung im zentralen Mittelmeerraum, hier wurde die Prognose um nahezu drei Grad übertroffen. Ansonsten wurde das prognostizierte, deutliche Ost-West-Gefälle recht gut erkannt. Die Hitzewelle der letzten Juniwoche hatte allerdings zur Folge, dass diese scharfe Linie über Frankreich etwas aufgeweicht und die die Null-Linie um ungefähr 400 km nach Westen verschoben wurde.
Die Auswirkungen auf die Temperaturen am Boden sehen so aus:
Das bereits in der Mai-Analyse geschilderte Phänomen der sich am Boden rascher erwärmenden Höhenkaltluft zeigt sich auch hier wieder. Am Beispiel von Portugal sieht man, dass am Boden die negative Abweichung um ein Grad gemildert wird. Andersrum läuft es im zentralen Mittelmeerraum, wo die Heissluft aus der Sahara bodennah vom Meer abgekühlt wurde. Für das östliche Mitteleuropa muss man festhalten, dass eine Abweichung von +5 Grad in einem Sommermonat eine neue Dimension darstellt, einzig der Juli 2006 spielt in dieser Region mit einer flächigen Abweichung von +4 Grad gegenüber der Periode 1981-2010 in einer ähnlichen Liga. 2003 wurden +5 Grad gegenüber dem langjährigen Mittel in Frankreich sowohl im Juni wie im August erreicht, und letztes Jahr schafften der Mai und der Juli ebensolches in Skandinavien, im Juli 2010 in Russland. Jedenfalls ist die Häufung solcher Hitzemonate mit immer höheren Abweichungen irgendwo in Europa in jüngster Zeit nicht mehr von der Hand zu weisen.
Mit nur geringfügigen Abweichungen bei der Druckverteilung ist folglich auch die Prognose der Niederschlagsverteilung ganz gut gelungen. Einzig Skandinavien wurde aufgrund des bereits erwähnten geringeren Hochdruckeinflusses nasser als erwartet. Etwas erstaunen mag die flächige Nässe auf dem Balkan, die nach der grob aufgelösten Karte bis zum Alpenostrand reichen soll. Hier zeigt sich wieder mal das Problem, dass wenn eine der locker gestreuten Klimastationen (in diesem Fall Wien Hohe Warte am 6. Juni) zufällig von einem starken Gewitterregen getroffen wurde, gleich die ganze Region nass gemalt wird. Wer es genauer wissen möchte, schaut sich die Karten der Landeswetterdienste an. Auch hier kann man die Niederschlagsstationen, die zufällig von einem Gewitter getroffen wurden, sehr gut erkennen, die Punkte sind dann aber doch deutlich kleiner: (Schweiz, Österreich, Deutschland).
An 23 Tagen herrschten Wetterlagen aus dem Sektor Süd vor (die drei Tage des Typs Ost stammen von einer Südostlage vom 23.-25. Juni, wobei man diese je nach Standpunkt auch als Süd- oder Südwestlage klassifizieren könnte – wir haben uns stärker am Bodendruckfeld und dem Einfluss kontinentaler Luftmasse in den unteren Schichten orientiert). Dabei sorgte die GWL „Tief Britische Inseln“ TB für die meisten Tage des Witterungstyps „feucht-normal“. Das ist natürlich nur ein fauler Kompromiss, denn diese Tage waren im östlichen Mitteleuropa heiss und trocken, am westlichen Rand hätte man sie hingegen sogar als feucht-kalt einstufen können. Diese Beispiele zeigen, dass sich manche Tage nur schwer in ein Schublade stecken lassen, wenn man ein so grosses Gebiet abdecken möchte. Abgesehen von dieser kühlen Randerscheinung im äussersten Westen Deutschlands und der Schweiz stellen wir ein völliges Fehlen deutlich unterkühlter Tage fest, was wesentlich zum neuen Juni-Rekord in den östlichen Regionen beigetragen hat.
Die Langfristprognose für den Juli findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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