Erst zwei Drittel des Jahres sind um, und bereits jetzt ist klar: 2023 wird als Jahr der unendlichen Rekordserie in die Klimageschichte eingehen. Dazu braucht man gar nicht erst die globale Sicht bemühen, ein Blick auf Mitteleuropa reicht dazu bereits. Nur schon was der September wieder abgeliefert hat (kein Anspruch auf Vollständigkeit): Mit grossem Abstand wärmster September seit Aufzeichnungsbeginn im Alpenraum; höchste gemessene Nullgradgrenze in einem September (5253 m am 04.09. und somit zweithöchste je gemessene nach dem Rekord vom 21. August dieses Jahres); zahlreiche Hitzerekorde an langjährigen Messreihen für September; Rekorde bei der Anzahl Sommer- und Hitzetagen an vielen Stationen; flächig zweitsonnigster September hinter 1959 (DE) bzw. 1997 (AT) mit etlichen Stationsrekorden der Sonnenscheindauer in der Schweiz (teils Messreihen seit 1901); strichweise extrem trocken mit weniger als 10 % des langjährigen Niederschlags im Osten Deutschlands, Teilen Bayerns und von Rheinland-Pfalz.

Perfekter Altweibersommer am Stockhorn: Absinken im starken Hoch trocknete die Luft zwischen 1500 und 4000 m auf 5 bis 2 % rel. LF ab (Berner Oberland, 25.09.2023)
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den September, erstellt am 01.09.2023, lautete wie folgt:
Der CFS-Lauf unserer Wahl orientiert sich im Groben an die Vorgabe des aktuellen ECMWF-Langfristmodells. Das erste Monatsdrittel ist geprägt von Hochdruck über Mittel-, Nord- und Osteuropa, was bei uns Hochdruck-, Ost- und Südlagen zur Folge hat. Entsprechend wird es zunächst mal sehr sonnig und warm mit Höchstwerten, die in den tiefsten Lagen bis in den Hitzebereich vorstossen. Da wird aber auch Tiefdruck über dem nahen Atlantik bzw. Westeuropa gerechnet, der zur Monatsmitte nach Mitteleuropa progressieren dürfte, hier ist also mit einer Woche bis zehn Tagen wiederum sehr niederschlagsreichem und eher kühlem Wetter zu rechnen. Inwieweit sich gegen Monatsende der statistisch wahrscheinliche Altweibersommer duchsetzen kann, ist derzeit noch offen. Es sieht nach einem Kampf zwischen Tiefdruck im Westen und Hochdruck im Osten aus, mit ungewissem Ausgang für Mitteleuropa: Trockener Föhn oder doch wieder die Schütte unter einer nahezu stationären Luftmassengrenze? Unser CFS-Lauf belässt die Niederschläge eher im Westen. Bei relativ weit im Norden gelegener Hochdruckzone ist aber auch möglich, dass sich die atlantischen Tiefs “untendurch” mogeln und eine südliche Westlage etablieren.
Über den gesamten Monat gemittelt kommt in ganz Europa nördlich der Alpen ein deutlich zu warmer September heraus, mit bis zu drei Grad über dem langjährigen Mittel. Normal bis etwas unterdurchschnittlich wird der Mittelmeerraum gerechnet, wobei man hier angesichts der hohen Wassertemperaturen durchaus ein Fragezeichen setzen darf – möglicherweise können diese aber mangelnden Sonnenschein und Niederschlagsabkühlung nicht ganz wettmachen.
Wie weiter oben schon angedeutet, zeichnet sich beim Niederschlag in Mitteleuropa ein klares Gefälle zwischen nassem Westen und trockenem Osten ab. Die Unwettersaison im Mittelmeer geht schon früh los, was angesichts der hohen Wassertemperaturen nicht erstaunt. Es gibt Modellläufe, die durchaus noch weit mehr Niederschlag sehen, insbesondere vom Osten Spaniens über Südfrankreich bis in die West- und Südalpen.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die Hochdruckanomalie über Mittel- und Osteuropa wurde von der Intensität her recht gut getroffen, sie lag gegenüber der Prognose nur wenig südwärts verschoben. Die Tiefdruckanomalie lag etwas westlicher über dem Ostatlantik statt mit Zentrum über Portugal und konnte entgegen der Prognose die Hochdruckbrücke auf dem Nordatlantik durchbrechen. Insgesamt für Europa eine sehr gute Prognose, auffällig ist einzig die deutlich weiter nach Südwesten reichende Hochdruckanomalie, was den westlichen Mittelmeerraum vom atlantischen Tiefdruckeinfluss abriegelte.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 Meter Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Die Abweichungen bei den Temperaturen folgen dem Muster der Druckverteilung: Die deutlich zu warme Zone wurde geographisch recht gut prognostiziert, reicht aber ebenfalls weiter nach Südwesten als erwartet. Durch höhere Beständigkeit des Hochdrucks und die weitgehende Abriegelung des atlantischen Einflusses wurde der westliche und zentrale Mittelmeerraum deutlich wärmer, hier überwogen heisse Luftmassen aus dem Süden. Das erwartete deutliche Gefälle an den Alpen mit positiver Abweichung im Norden und negativer im Süden wurde damit ebenfalls ins südliche Mittelmeer verschoben. Werfen wir noch einen Blick auf die Auswirkungen am Boden:
Leider wie bereits im August wird auch diesmal die Abweichung von Ostfrankreich über die Schweiz bis nach Süddeutschland und Westösterreich deutlich zu tief berechnet, wie die Analysekarte von MeteoSchweiz verdeutlicht. Hier muss bei der NOAA offensichtlich ein gröberer Datenfehler vorliegen – sei es bei den Messwerten oder bei der Klimanorm. Tatsächlich wurden auch in diesem Gebiet positive Abweichungen von teils über vier Grad erreicht, vor allem in erhöhten Lagen: Säntis +4.8 zu 1991-2020, das hier erreichte Monatsmittel von 8.4 °C liegt auch immer noch zwei Grad über der neuen Klimanorm für einen Juli und 1.6 Grad über jener für den August. Hiermit soll die Aufzählung förmlich pulverisierter Rekorde auch abgeschlossen sein, sonst werden wir nie fertig…
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Leider fliessen die Daten der am stärksten betroffenen Gebiete Griechenlands nicht in die Analyse mit ein, sonst würde hier die Skala um ein mehrfaches gesprengt. Die 1192 mm Monatssumme in Zagora entsprechen fast der zwanzigfachen (!) Menge eines normalen Septembers. Angesichts der zahlreichen Unwettermeldungen aus dem Mittelmeeraum dürfen wir froh sein, dass die prognostizierten Niederschläge der ehemaligen Tropentiefs vom Atlantik her weitgehend vom europäischen Hochdruckbollwerk abgeblockt wurden. Einzelne Reste schafften es als Fronten trotzdem über die Alpen, sehr eindrücklich zu sehen in den detaillierten Karten der Landeswetterdienste, wobei vor allem im Alpenraum die positiven Abweichungen durch ein einzelnes, ein- bis zweitägiges Niederschlagsereignis erzielt wurden: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Für einmal stimmt die Farbgebung der Witterungstypen mit jenen der Grosswettertypen überein:
Auffällig ist das komplette Fehlen zu kalter Tage in diesem Monat. Deutlich wird dies am Temperaturverlauf von Bregenz als Referenz für Tieflagen und vom Feuerkogel als typischen Voralpenberg. Einzig die Hochgebirgsstationen weisen ein bis zwei Tage um den 23. September deutlich unter der Klimanorm auf. Das war der Samstagmorgen, an dem die Schneefallgrenze in einzelnen Tälern Graubündens durch die starke Niederschlagsabkühlung bis auf etwa 1000 m fiel. Die Prognose der dominierenden Grosswettertypen kann man als gelungen bezeichnen, wobei echte Ostlagen ausblieben, sie sind als Brücke Mitteleuropa im GWT Hoch versteckt. Die befürchtete Gruselperiode zur Monatsmitte blieb zum Glück aus – wenn schon, würden wir uns Wetterlagen mit gemässigterer Niederschlagsverteilung wünschen als ein Tief Mitteleuropa oder gar einer südlichen Westlage.
Die Langfristprognose für den Oktober findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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