Mit besonderer Freude heisse ich euch alle herzlich willkommen zur Berichterstattung zum 66. Gordon-Bennett-Race aus Sicht der Meteorologin des in diesem Jahr einzigen teilnehmenden Schweizer Teams. Nach der Absage des Veranstaltungsortes Sion (Wallis, Schweiz) wurde die Austragung des Rennens neu ausgeschrieben und ging an die Organisatoren der Balloon Fiesta in Albuquerque. Anstelle der America’s Challenge haben wir hier also – unter denselben Bedingungen – eine Weltmeisterschaft Gasballon-Langdistanz. Eine besondere Herausforderung an Logistik und Meteorologie, aber mit Sicherheit voller Spannung für das Publikum.
Man verzeihe mir, dass ich der Einfachheit halber die Einleitung aus dem vorjährigen Blog zur America’s Challenge übernehme:
Der besondere Reiz dieses Rennens liegt im extrem weiten Areal, das die gesamte USA und Kanada umfasst. Anders als bei Langdistanz-Rennen in Europa bestimmen hier in den überwiegend nördlich bis östlich verlaufenden Routen nicht politische Grenzen das Ende eines Rennens, sondern einzig und allein der Kontinentalrand, und der ist sehr weit weg. Abgesehen von den praktisch unerreichbaren Gebieten in der Arktis (theoretisch könnte man auf dem Kanadischen Archipel landen, das wären bis zu 5500 Kilometer vom Startplatz entfernt) sind folgende Distanzen möglich:
– nach Südosten: 1366 km zur texanisch-mexikanischen Grenze am Golf; 1783 km am äussersten Punkt des Mississippi-Deltas; 2750 km bis zur Südostküste Floridas
– nach Osten: 2817 km zu den Hatteras Islands in North Carolina; 3093 km bis zur östlichsten Spitze von Long Island, New York
– nach Nordosten: 2890 km bis zur Hudson Bay; 4070 km bis Nova Scottia; 4618 km bis St. John’s auf Neufundland
– nur schon auf dem direktesten Weg nach Norden sind es bis zur kanadischen Grenze 1533 km. Zum Vergleich: Das Gordon Bennett Race 2022 wurde mit einer Distanz von 1572 km gewonnen. Die längste je an einer America’s Challenge zurückgelegte Strecke wurde 2017 vom Schweizer Team Nicolas Tièche / Laurent Sciboz mit einer Landung im 3670 km entfernten Labrador City realisiert, was auch heute noch gültiger Weltrekord ist. Sie benötigten dazu gerade mal etwas mehr als 59 Stunden (!).
Womit wir bei den Teams wären: Etwas ist anders als bei der America’s Challenge, nämlich der Nationen-Wettbewerb. Pro Nation dürfen maximal drei Teams starten, die Schweiz ist in diesem Jahr nur mit einem Team vertreten. Insgesamt gehen 17 Ballone an den Start, darunter zahlreiche sehr erfahrene Teams und Titelverteidiger. Auch ohne die beiden Teams aus der Ostschweiz und aus Fribourg, die wir sehr vermissen, wird die Konkurrenz also gross genug sein. Trotzdem sehen wir es als Chance, die Ehre der Schweiz verteidigen zu dürfen und so viel darf bereits verraten werden: Uns wurde der 8. Startplatz zugelost und wir werden alles geben!
Alle wichtigen Infos zum Rennen und das Live-Tracking findet man auf https://live.gordonbennett.aero/
Unser Team auf Facebook: https://www.facebook.com/GB23SUI1
Wenden wir uns dem Wetter zu, dem eigentlichen Thema dieses Blogs. Glücklicherweise sind die physikalischen Gesetze auf der ganzen Welt gültig, somit wird das Wetter in Nordamerika nicht neu erfunden: Sogar die Hochs und Tiefs drehen gleich herum wie jene in Europa. Die Herausforderung für europäische Meteorologen liegt einerseits in der speziellen Topografie: In Europa stellt sich kein grösseres Gebirge dem nordhemisphärischen Westwindgürtel quer in den Weg. Was die Rocky Mountains mit der Windströmung so alles anstellen, darauf werde ich wahrscheinlich im Lauf der Berichterstattung noch Gelegenheit haben, näher einzugehen. Andererseits in der üppigen Auswahl an mir bisher weitgehend unbekannten Wettermodellen. Da gilt es noch herauszufinden, welche für Wind- und Niederschlagsmodellierung die zuverlässigsten sind – das muss übrigens nicht zwingend dasselbe Modell in sich vereinen. Herausfordernd sind die Modellkarten amerikanischer Anbieter mit nicht-metrischen Einheiten. Dass die Luftfahrt weltweit an den historisch bedingten Füssen und Knöpfen festhält: geschenkt! Mit einfachen Faustregeln kann man diese Einheiten grob umrechnen (Fuss geteilt durch 3 = Meter; Knoten mal zwei minus 10 % = km/h). Definitiv hört der Spass bei mir aber bei Grad Fahrenheit und inches (für den Luftdruck) auf. Ein grosser Vorteil ist hingegen das Nowcasting: Die Wetterdaten und Radarprodukte stammen für die gesamte USA und Kanada jeweils aus einer Hand und sind alle frei zugänglich, was im politischen Flickenteppich Europa wahrscheinlich noch für lange Zeit ein Wunschtraum bleibt.
Verschaffen wir uns zunächst einen Überblick zur Ausgangslage am Samstagabend 18 Uhr Ortszeit (Sonntag 02:00 MESZ oder 00 UTC):
Der Kontinent liegt im Griff zweier mächtiger Systeme: Ein Hochdruckrücken über der Westhälfte und ein quasistationärer Trog über der Osthälfte Nordamerikas bestimmen die Geschicke dieses Rennens. Das tropische Tief über dem Ostpazifik dient einzig der Verzierung der Karte, es wird uns in keiner Weise tangieren. Da in New Mexico im Südwesten der USA gestartet wird, beginnen wir genau unter dem Hoch, was mehr oder weniger Flaute bedeutet. Ein Schneckenrennen also? Lange Zeit sah es danach aus, doch die Wettermodelle – so unsicher sie im lokalen Bereich ab dem zweiten Renntag noch sind – scheinen ein paar Auswege aus der Glocke aufzuzeigen. Das Allerwichtigste aber: Das Debakel von der letzten America’s Challenge, wo wir fünf Tage im Regen auf die definitive Absage warten mussten, wiederholt sich garantiert nicht. Einem pünklichen Start am Samstag zum Sonnenuntergang steht zumindest aus meteorologischer Sicht nichts entgegen.
Luftmassen-Analyse zum Startzeitpunkt: Zu sehen sind die feuchten tropischen Luftmassen im Süden, die von einem Bodentief über Südkalifornien und Nevada angezapft werden, aber New Mexico noch nicht erreichen (das wird sich zu Beginn der neuen Woche ändern, also gut, wenn wir da am Sonntag weg kommen). Ansonsten überwiegen trockene Luftmassen über den Rocky Mountains sowie unter dem Bodenhoch auf der Rückseite des Troges. An dessen Vorderseite im Tief vor der US-Ostküste wiederum sehr feuchte Luft (dargestellt ist das ausfällbare Wasser der gesamten Luftsäule).
Prognose-Sounding für Albuquerque zu Startzeitpunkt. Die rote Temperaturlinie zeigt eine kontinuierliche, trockenadiabatische Abnahme der Temperatur mit der Höhe. Die grüne Linie des Taupunktes ist weit davon entfernt, die rote zu berühren – sobald das geschehen würde, bilden sich Wolken. Also alles im trockenen und klaren Bereich für die Nacht. Rechts zeigen die Windfiedern in den untersten 1000 m über Boden schwachen Süd- bis Südwestwind, ab ca. 3000 m.ü.M. dreht er auf West bis Nordwest. Man hat also Möglichkeiten, vom Startplatz wegzukommen, ohne gleich auf den im Osten stehenden Sandia-Berg aufzulaufen. Man darf gespannt sein, wie sich die Teams gleich zu Beginn des Rennens entscheiden.
Updates von mir wird es hier sporadisch geben – zu viel versprechen will ich allerdings nicht. Wir rechnen aufgrund der Hochdrucklage mit einem sehr langen Rennen, somit werden Erholung und Schlaf in ruhigeren Zeiten sehr wichtig sein. Gut möglich, dass ich vier Tage durchhalten muss…
Zu viel Wind auf dem Startgelände und sonstige Probleme, Start wird um mindestens zwei Stunden verschoben, möglicherweise mehr…
Update Sonntag 17:00 MESZ
Tatsächlich wurde das Rennen erst ab 20:30 MDT (= Lokalzeit “Mountain Daylight Time”) gestartet, das ging dann aber flott voran und der mässige Südwind trieb sämtliche Ballone das Tal hinauf Richtung Santa Fé. Überraschungen blieben aus, niemand entschied sich für sofortiges Steigen in grössere Höhen, was ein Fortkommen in die Gegenrichtung an die mexikanische Grenze und von dort im weiteren Verlauf nach Nordwesten ermöglich hätte – dort allerdings ist heute und morgen mit Konvektion zu rechnen, darauf hatte aus guten Gründen niemand Lust.
Ich halte mich kurz, denn die ersten 7 Stunden dieses Rennens haben mich gefühlt etwa gleich viele Nerven gekostet wie die ganzen 7 bisher betreuten Gordon-Bennett-Rennen zusammen. Grund war der überraschende Wechsel im modellierten Bodenwindfeld bei Santa Fé, als wir bereits kurz davor waren. In 2000 m Höhe (etwa 300 m über Grund) hätten wir eigentlich automatisch nach Osten abbiegen sollen, nun ging’s aber plötzlich direkt nach Norden weiter ins Tal hinein, wo wir gefangen geblieben wären. Nicht nur mein Team, auch ein paar andere haben die rechtzeitige Abzweigung verpasst und mussten daher ein bisschen bergsteigen östlich von Santa Fé – mitten in der Nacht bei völliger Dunkelheit wohlverstanden. Denjenigen, die sich dafür entschieden hatten, knapp über dem Talboden bzw. der Passhöhe die richtige Richtung zu erwischen, hat es aber wahrscheinlich nicht weniger Mut gekostet, aber weniger Ballast. Sei’s drum oder “item”, wie wir Bernerinnen zu sagen pflegen…
Diejenigen, welche die direkte Abzweigung erwischt haben, fahren nun im Feld vorne weg und die anderen hecheln hintendrein. Wir sind aber überzeugt, dass das Rennen auch diesmal nicht am ersten Tag entschieden wird. Wichtig ist nun erst mal zu wissen, dass keinerlei meteorologische Unbill im Wege steht:
Die Gesamtsituation am Sonntagabend Ortszeit bzw. Mitternacht UTC (00z = 02 MESZ) zeigt, dass zwischen den Rocky Mountains mit ein paar konvektiven Signalen und dem riesigen Tief über dem Osten des Kontinents sehr viel Platz mit “kein Wetter” ist, und genau dort drin bewegen wir uns ja völlig safe. Interessant ist die nächste Karte mit den Verhältnissen im 700 hPa-Druckfeld (= ca. 3000 m Höhe. Wer es genau wissen will, liest die Höhe an der dreistelligen Zahl ab: z.B. 315 = 3150 m über Meereshöhe):
Dargestellt sind neben der Druckfläche die Temperatur (in Farbe) und die Windfiedern. Daraus wird klar, was die Teams im vorderen Feld wollen: Nämlich so rasch wie möglich in den schnelleren Nordwestwind auf der Rückseite des Troges kommen. Das ist vor allem für jene wichtig, die kein langes Rennen fahren wollen. Die übrigen können es gemütlich nehmen, denn diese Schallplatte dreht sich auch noch in den nächsten Tagen weiter. Jene, die sich im hinteren Feld noch im Luftraum New Mexicos befinden, stecken hingegen aktuell in der Flaute des Höhenhochs fest. Rechnet man ab dieser Position Trajektorien in etwa 4000 m Höhe, bekommt man derzeit nur “Sauschwänzle”, d.h. man dreht sich mitunter im Kreis. Oder zwei Modelle gehen bereits in der ersten Stunde diametral auseinander, eins zeigt nach Norden, das andere nach Süden. Sei’s drum, oder “item”, wie die Bernerinnen zu sagen pflegen…
Update Montagmittag
Ohne Strom geht nix mehr bei der Ballonfahrt. Die Piloten, welche 1906 das allererste Gordon-Bennett-Rennen in Paris bestritten hatten, würden über diese Aussage staunen – aber so sind nun mal die Verhältnisse heute. Wenn du die für die Kommunikation mit dem Kommando-Center (Meteo, Strategie, Aviatik) nötigen Geräte nicht mehr aufladen kannst, bist du mehr oder weniger aufgeschmissen. Man könnte zwar theoretisch weiterfahren, dies ist aber insbesondere in der Nacht riskant. In unserem Ballon hat am Sonntagnachmittag ein Kurzschluss in der extra für das Rennen neu angeschafften Batterie irreparable Schäden verursacht und ein komplettes Energie-Blackout verursacht. Aus Sicherheitsgründen wurde noch bei Tageslicht ein günstiger Landeplatz in der Halbwüste New Mexicos, kurz vor der Grenze zu Texas, gesucht. Die Landung gelang problemlos und das in Amarillo soeben einquartierte Verfolgerteam war rasch zur Stelle. So ist das wichtigste Fazit heute, dass alle wieder sicher am Boden sind und das übrige Material nicht zu Schaden kam – schliesslich wollen wir am GBR2024 in Münster DE wieder bereit sein.
Als meteorologische Betreuerin fällt man bei solch abruptem Rennende sofort in ein Loch. Anders als das Team vor Ort, das erst mal sicher landen und dann alles zusammenräumen muss, um anschliessend die Rückreise zu organisieren und somit weiter beschäftigt ist, fällt die Anspannung hier im Büro in der Schweiz schlagartig weg, wodurch sich die Müdigkeit erst richtig bemerkbar macht – dazu kommt der Frust über den seit Tagen betriebenen Aufwand, der nun vergeblich war. Nun ja: nicht ganz. Schliesslich ist es meine prioritäre Aufgabe, das Team sicher zu lotsen und heil auf den Boden zurückzubringen, das Resultat kommt immer erst an zweiter Stelle. Trotzdem ist die Enttäuschung riesig, wenn ein solch unvorhergesehenes Ereignis die ganzen Pläne zunichte macht. Gerne hätten wir bewiesen, dass wir auch in scheinbar aussichtsloser Position (wir waren ganz hinten im Feld) kreative Lösungen finden, und wenn sie auch nur der Unterhaltung des Publikums und dem Spass des gesamten Teams an der Sache dienen.
So musste ich erst mal meine Erschöpfung und den Frust wegschlafen, in unserem aussergewöhnlich sommerlich anmutendem Oktoberwetter den Kopf lüften und die steifen Knochen von der tagelangen Sitzerei am PC auflockern, bevor ich mich motivieren konnte, hier weiterzuschreiben. Zumal das Wetter in diesem Rennen nun wirklich nicht viel Stoff zur Berichterstattung liefert und das Feld mehr oder weniger dieselbe Strategie zu verfolgen scheint, nämlich möglichst rasch in die schnellen Nordwest- bis Westwinde am Rande des ostamerikanischen Troges zu gelangen. Die Lage hat sich nämlich gegenüber gestern nur unwesentlich verändert, wie die Karte des 700 hPa-Niveaus für Sonnenaufgang vor Ort zeigt (markiert ist die Position des Feldes):
Hier wird deutlich, dass diejenigen, die vorne im Feld liegen, rascher in die schnelleren Winde aufsteigen können – sofern sie das wollen und überhaupt nötig ist. Denn bekanntlich gewinnt nicht derjenige das Rennen, der am schnellsten davon fährt, sondern wer (oft als letzter) am weitesten vom Startplatz entfernt landet. Somit entscheidet nicht die Schnelligkeit, sondern wer am längsten durchhält. Wobei Energiereserven, Ballast sowie mentale und körperliche Verfassung der Piloten entscheidend sind, zumal von meteorologischer Seite keine Einschränkungen wie Regen oder Gewitter zu erwarten sind. Deshalb waren wir gestern Morgen auch relativ entspannt, uns hinten im Feld zu sehen. Unsere damaligen Schicksalsgenossen, das Team AUT-2 könnte unter Umständen aufzeigen, was unsere Strategie war – sie sind jetzt die hintersten im Feld und müssen genau das umsetzen, was wir als SUI-1 uns vorgenommen hatten. Ich bin entsprechend gespannt. Die Weichen werden in der kommenden Nacht (Ortszeit, bei uns also Dienstag früh) gestellt, da wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Nicht nur was die verbleibenden Teams im Rennen betrifft, denn einige werden wohl wieder vor Sonnenuntergang landen – sondern auch, wer direkt nach Südosten in die schnellen Höhenwinde einbiegt oder wer zunächst noch etwas nach Nordosten zu gelangen versucht, um dort die noch schnelleren Höhenwinde nutzen zu können. Es wird also duchaus noch spannend, aber es braucht diesmal etwas Geduld!
Update Montagabend
Ein bisschen Spass muss sein – wenn das eigene Team aus dem Spiel raus ist und kein Wetter ausser dem Wind das Rennen beeinflusst, kommt man auf neue Ideen. Hiermit oute ich mich als Musikliebhaberin verschiedener Genres aus aller Welt und stelle eine Playlist zusammen, die genau auf das aktuelle Rennen zugeschnitten ist. Wer mithören mag, hier ist der Link auf die entsprechende Playlist zum Gordon Bennett Race 2023. Die Liste wird laufend entsprechend dem Rennverlauf ergänzt. Viel Spass damit!
Update Dienstagmittag
Die Nachrichten, die uns heute Morgen erreichten, waren wenig erfreulich: Bei der Landung von Team POL-1 touchierte der Ballon eine Stromleitung und explodierte. Die beiden Piloten wurden ins Spital gebracht, sind der einzigen Meldung die uns diesbezüglich vorliegt aber stabil. Hier soll nicht der Platz für Spekulationen über die Ursache sein, vielleicht erzählen die Betroffenen uns später selbst, wie es dazu gekommen ist. Hier nur die meteorologischen Eckdaten: Der Unfall geschah kurz nach Sonnenuntergang, also noch bei ausreichendem Dämmerlicht. Die Temperatur betrug laut der nächstgelegenen Wetterstation (13 km nordwestlich) etwa 28 °C, die relative Luftfeuchtigkeit ca. 30 % bei wolkenlosen Verhältnissen. Hier der Verlauf des Windes in km/h mit den hervorgehobenen Daten des am nächsten gelegenen Zeitpunktes (Quelle: NOAA/NWS, weather.gov):
Dazu passt auch die vorletzte Trackermeldung des Ballons, als dieser noch 230 m über Boden war: 36 km/h aus Süd
Und so sieht die Unfallstelle aus südlicher Richtung aus (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Der Ballon muss also genau in diese die Strasse querende Leitung gefahren sein. Dies ist auch der letzte Trackerpunkt. Wir sind froh, dass die Sache für die beiden Piloten relativ glimpflich ausgegangen ist und wünschen von Herzen gute und rasche Genesung!
Wenden wir uns den verbleibenden zehn Teams im Rennen zu. Diese fahren aktuell über Arkansas, Mississippi und Alabama nach Osten. Die Teams im Norden haben die bessere Ausgangslage, weil sie noch mehr Land vor sich haben, jene im Süden gelangen früher an die Küste. Diese müssten also später einen Südwestwind nutzen können, um der Küste entlang zu fahren. Hier dargestellt ist der prognostizierte Wind in 2000 m drei Stunden nach der aktuellen Position der Ballone (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Weiter oben wäre der Wind noch schneller, vermutlich haben aber die wenigsten Teams noch genügend Ballastreserven, um so weit aufsteigen zu können – sie müssen also auf die Erwärmung des Ballongases durch die Sonne hoffen. Die südlich positionierten Teams finden hingegen etwas schnelleren Wind in tieferen Schichten. Bald geht die Sonne auf, dann zeigt sich der Himmel bei den meisten wieder wolkenlos oder allenfalls mit ein paar Schleierwolken verziert. Niederschlag ist weit und breit keiner auszumachen:
Update Nacht Dienstag auf Mittwoch
Es kam, wie es kommen musste: Zum Sonnenuntergang am Dienstag fielen die Ballone wie reife Pflaumen vom Himmel. Die bisher am weitesten von Startplatz gelandeten Teams sind FRA-1 mit 2359 km und USA-1 mit 2224 km. In die vierte Nacht fahren nur noch die Titelverteidiger Willi und Benni Eimers (GER-1) und FRA-2. Die beiden Teams könnten sich auch nach fast 2000 km fast die Hand reichen, so nah nebeneinander fahren sie, wenn aktuell auch in unterschiedlichen Höhen. Zum groben Vergleich der verbleibenden Ballastreserven ist das Höhenprofil der beiden Ballone eingeblendet. Dazu die Prognose der Windverhältnisse in 6 Stunden nach der gezeigten Position, also noch mitten in der Nacht, in einer Höhe von rund 900 m:
Man sieht hier sehr gut, dass der Wind nach Nordosten dreht und noch viel Platz zum landen vor den beiden bisher am weitesten gefahrenen Teams bleibt. Weiter oben ist der Wind zwar schneller, führt aber ziemlich gerade nach ESE an die Küste. FRA-2 daher momentan auf gutem Kurs, wann die beiden deutschen Füchse das merken oder was die auf ihrem Kurs in Richtung Atlantik sonst noch im Schilde führen (Benni meinte in einem Interview vor dem Rennen, er wolle diesmal nur Zweiter werden – wer’s glaubt… 😉 ), werden wir wahrscheinlich am frühen Morgen erfahren.
Update Mittwochmittag
Nun ist klar, dass die beiden verbleibenden Ballone den Sieg unter sich ausmachen werden, sie haben die von FRA-1 gesetzte Marke überboten. Anhand der Position und der Windprognose müsste das französische Team eigentlich gewinnen – vorausgesetzt, ihnen geht der Ballast nicht früher aus als den Titelverteidigern. Der Grund liegt darin, dass der Wind keinen Gewinn nach Norden mehr zulässt, somit hat das nördlicher positionierte Team mehr Land vor sich als jenes im Süden:
Dargestellt ist die Windprognose in 900 m drei Stunden nach der Positionsaufnahme. Egal welche Höhe man nimmt, es gibt keine Möglichkeit mehr, nach Norden Boden zu gewinnen.
Oje, was machen die Franzosen denn da?
Freiwillig werden sie ihre gute Position wohl kaum herschenken, also stellt sich die Frage, ob sie nicht mehr steigen können (optimale Windrichtung wäre in 1500 m).
Update Donnerstagmorgen und Fazit
Kaum wurde obiges geschrieben, stiegen die Franzosen wieder in die günstigere Windrichtung auf – Sonnenaufgang sei Dank. Manchmal braucht man eben beim Timing auch ein bisschen Glück… Das Resultat ist inzwischen bekannt: Das Eimers-Gespann hat sich mit einem neuen deutschen Streckenrekord in dieser Kategorie Platz 2 gesichert. Der Sieg geht in diesem Jahr nach Frankreich, womit die europäische Siegesserie trotz diesjährigem US-Heimvorteil fortgesetzt wurde. Herzliche Gratulation an die Spitzenplätze, aber auch an alle anderen Teams, die nicht nur einen enormen logistischen und finanziellen Aufwand betrieben, sondern auch Können und Ausdauer bewiesen haben. Die Verhältnisse waren trotz (oder gerade wegen) des Schönwetter-Rennens nicht einfach, daraus muss auch unser Team seine Lehren ziehen. Dank der wolkenlosen Verhältnisse fand dieses Rennen nahezu unter Laborbedingungen statt, was interessante Schlüsse bezüglich des Einflusses der Sonneneinstrahlung zulässt. Dies war eine Lehrstunde in Physik gewissermassen. Solche Bedingungen wird man während eines Rennens in Europa niemals antreffen, allenfalls auf Teilstrecken in Südeuropa, die durch den Einfluss des stets nahen Mittelmeers begrenzt sind. Zur Veranschaulichung die Höhenprofile jener Teams, die mindestens drei Nächte und drei Tage gefahren sind (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Die Tageszeiten sind mit vertikalen Linien markiert: weiss für Sonnenaufgang, schwarz für Sonnenuntergang. Wer sich jetzt wundert, warum Tag 3 kürzer ist als die ersten beiden Tage: Hier wurde sehr schnell nach Osten gefahren, was die nutzbare Tageslichtlänge verkürzt (Zeitverschiebung). Ab Tag 2 (Montag) war der Aufstieg mit der Erwärmung des Ballongases durch die Sonne sehr effizient, und auch ab der dritten Nacht konnte recht ressourcensparend gefahren werden. Zungenschnalzer für das konsequente Schwimmen auf der Inversion von GER-2 in der dritten und der beiden verbleibenden Teams in der zweiten Hälfte der vierten Nacht. Höhenkorrekturen waren nur notwendig, um Richtungsänderungen vorzunehmen (sei es strategischer Natur oder weil z.B. einem gesperrten Luftraum ausgewichen wurde). Was besonders auffällt, ist die unruhigere Fahrt in der ersten Nacht und am ersten Tag (Sonntag). Die Gründe für die Höhenänderungen in der ersten Nacht sind offensichtlich: Hier musste die optimale Route zwischen den Bergen gefunden werden, was einigen Teams etwas besser gelang als anderen 😉 Vor allem USA-1 und USA-2 hatten mit ihrer Bergsteigerei viel Ballast investieren müssen, was ihnen wahrscheinlich einen Podestplatz gekostet hat, man vergleiche mit der perfekten Linie von FRA-1. Etwas komplexer und deshalb besonders lehrreich ist die Fahrt durch Tag 1 (Sonntag). Hier weisen alle Teams eine stark oszillierende Fahrt auf, was auf mehrere Gründe zurückzuführen ist:
1.: Der Ballon ist mit dem ganzen Ballast (etwa 500 kg Sand und Wasser, Gesamtgewicht etwas mehr als eine Tonne) am Anfang des Rennens noch sehr schwer. So paradox es klingen mag, aber je länger das Rennen dauert und je leichter der Ballon wird, umso ruhiger wird die Fahrt. Das Gesamtgewicht hat auch einen Einfluss darauf, wie weit der Ballon durch die Erwärmung des Gases durch die Sonne steigen kann.
2.: Noch wichtiger als das Gewicht ist die Lufttemperatur. Durch die wolkenlosen Verhältnisse unter dem starken Höhenrücken und in der trockenen Wüstenluft, noch etwas verstärkt durch föhnige Effekte der Rocky Mountains, erhitzte sich die Luft auf 34° N sehr stark (übertragen auf Europa befand sich der nördlichste Punkt des GBR2023 ungefähr in der Mitte von Tunesien). Und je wärmer die Umgebungsluft, desto weniger Auftrieb hat der Ballon. Hier liegt die wichtigste Erkenntnis für uns aus diesem Rennen: Wir hatten uns mit der Annahme, alleine durch den tagesgangbedingten Auftrieb am ersten Tag theoretisch auf 4000 m steigen und ruhig dort oben rumgondeln zu können, gewaltig verschätzt. In den noch kühlen Morgenstunden gelang der Aufstieg ohne ein Löffelchen Sand abzuwerfen bis auf maximal 3166 m (wo der Wind für unser Vorhaben am günstigsten war), danach ging es mit der tageszeitlichen Erwärmung der Luft kontinuierlich runter bis auf 2000 m.
3.: Die Thermik. Die unter Punkt 2 aufgeführten Bedingungen wurden zusätzlich durch den Umstand verstärkt, dass die Höhe des Geländes im Osten New Mexicos bzw. im Norden von Texas nur langsam von 2000 auf 1000 m absinkt. Man fährt also auch in 2000 m Höhe relativ nahe über dem Boden, wovon sich unter diesen Wetterverhältnissen ständig Warmluftblasen lösen. Je weiter man sich höhenmässig vom Boden entfernt befindet, umso geringer ist der Einfluss der Thermik, was die relativ ruhigen Fahrten an Tag 2 und 3 mehr als 3000 Meter über Grund eindrücklich beweisen.
Die Quintessenz daraus: Zwar gelten wie in der Einleitung geschrieben die physikalischen Gesetze weltweit. Die Auswirkungen der Topographie und insbesondere die Tatsache, dass ein GBR mit Start in New Mexico 10 bis 20 Breitengrade südlicher stattfindet als in Europa, erfordern dann doch einiges Umdenken.
Ebenfalls ein meteorologisches Lehrstück war die extrem stabile Grosswetterlage mit dem quasistationären Tief über dem Osten des Kontinents über Tage hinweg. Dies hatte zur Folge, dass eine Berechnung der möglichen Trajektorien am Freitag vor dem Rennen mit einer Landung irgendwo in North Carolina am Mittwoch recht genau war:
Ich schrieb am Freitag meinen Piloten: “Ich schlage vor, ihr landet am Mittwochmorgen Ortszeit in New Bern, North Carolina”. Der Landeplatz des Siegerteams am Mittwochmittag lag gerade mal 50 Kilometer davon entfernt. Unsere Strategie hätte also aufgehen können…
Persönliches Fazit: Wir haben viel aus den Fehlern vergangener Rennen gelernt, offenbar gibt es aber immer noch genug mögliche neue Fehler, aus denen man lernen muss. Wenn dann auch noch von der Technik verursachtes Pech hinzu kommt, kann der Frust tief sitzen. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass wir in nicht allzuferner Zukunft ein gutes Resultat erzielen werden. Ich danke an dieser Stelle ganz herzlich allen im Team, die enorm viel geleistet haben, sei es während den monatelangen Vorbereitungen wie auch während des Rennens. Für mich unverzichtbar ist die Unterstützung von Hilmar Lorenz, von dessen Praxiserfahrung sowohl mit Heissluft- wie Gasballons und mir weit überlegenen Physikkenntnissen ich enorm viel lernen kann (vieles von obigen Ausführungen ist auf unsere zahlreichen Gespräche und online-Chats zurückzuführen). Auch dass ich mich dank zusätzlicher Unterstützung von Aviatikern auch nicht mehr selbst um Luftraum-Einschränkungen kümmern muss, ist ein unschätzbarer Gewinn – ganz herzliches Dankeschön auch an diese wichtigen Leute im Hintergrund.
Weniger zuversichtlich bin ich bezüglich der Zukunft dieses Blogs. Nachdem die Zugriffszahlen bereits in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken sind, sind sie in diesem Jahr regelrecht eingebrochen. Die Gründe mögen unterschiedlicher Natur sein: Das Rennen fand nicht in Europa statt, es war nur ein Schweizer Team dabei und das neue, von mir betreute Team muss sich seine Fangemeinde wahrscheinlich erst noch aufbauen. Da die sinkenden Leserzahlen aber nicht nur das GBR, sondern auch die anderen Themen dieses Blogs betreffen, vermute ich die Hauptursache in der rasanten Entwicklung der Aufmerksamkeitsspanne des Homo Smartphonicus (also mittlerweile fast alle), welche gerade mal noch die Länge eines Gezwitschers umfasst. Lange Texte mit ein paar Grafiken mag heutzutage kaum noch jemand lesen. Umso dankbarer bin ich für alle jene, die es bis hier hin mit mir ausgehalten haben. Angesichts des gewaltigen zeitlichen Aufwands und dass die Arbeit für das Team, insbesondere für deren Sicherheit, höchste Priorität hat, muss ich mir ernsthaft überlegen, wie es weitergeht. Ich sondiere die Meinung dazu in unserem Team: Kommt es zum Schluss, dass der Blog uns alle weiterbringt und der Aufwand gerechtfertigt ist, werde ich weitermachen – ansonsten… Besten Dank für eure Aufmerksamkeit!
Beck Sacha am 7. Oktober 2023 um 07:54 Uhr
Ich danke Dir für die Öffentlichkeitsarbet, wünsche dem Team viel Spass, Erfolg und dass Du lange betreuen darfst😉
Michael am 9. Oktober 2023 um 11:16 Uhr
Landung wegen defekter Batterie. Sehr unglücklich.
Klaus Friedrich, Frankfurt/Main am 10. Oktober 2023 um 19:35 Uhr
Herzlichen Dank, dass Du trotz dem unglücklichen Ausfall Deines Teams weiter beobachtest und kommentierst. We all really appreciate this! Bin gespannt, welche Lösungen die verbleibenden Teams finden können/werden, um vom aktuell direkten Kurs Richtung Ostküste weg und auf einen Kurs möglichst weit nach Norden hinaufkommen können.
Beste Grüße, Kilofoxtrott
P.S.: Beste Wünsche für eine schnelle und vollständige Genesung an Team POL-1.
Himke am 12. Oktober 2023 um 13:01 Uhr
Liebe Fabienne,
ich möchte mich herzlich für die Mühe bedanken, die Du in diesen Blog steckst / gesteckt hast. Ich lese Deine Beiträge *immer* gerne und finde es wirklich sehr schade, dass nicht mehr (Gordon-Bennett-) Interessierte den Weg hierhin finden, um sich anschaulich und gut verständlich über das Wetter, die Strategien oder kleine ‘Behind-the-Scenes’ während eines solchen Wettbewerbs zu informieren.
Es wäre traurig – aber unter diese Gesichtspunkten auch verständlich – wenn Du nicht weitermachen würdest.
Ich wünsche Dir alles Gute,
beste Grüße.
Gregory am 12. Oktober 2023 um 18:54 Uhr
Liebe Fabienne,
Ein super Blog (wie immer).Dank deiner Schreibarbeit wurde das Ballonrennen für mich erst zugänglich und nun verfolge ich diesen Event jedes Jahr auf deinem Blog.
Verständlich, wenn es die viele Mühe irgendwann nicht mehr Wert ist, aber es wäre zumindest für mich (und sicher noch andere) ein erheblicher Verlust.
Ich hoffe also, du hast auch zukünftig viel Freude daran und auch die Zeit dafür – ich bin als Leser jedenfalls wieder dabei.
Beste Grüsse und nochmals Danke!
Lukas Lehner am 14. Oktober 2023 um 08:51 Uhr
Liebe Fabienne
Vielen Dank fürs Teilen eurer Erfahrungen, immer wieder spannend und für deine auch längeren Texte nehme ich mir die Zeit gerne. Denn sie sind gut geschrieben und fachlich sehr wertvoll. Ich werde jeweils über Facebook auf neue Updates aufmerksam, über dieses Medium lässt es sich aber streiten 😉 Ich muss mal suchen wie und ob ich bei neuen Posts in deinem Blog eine Email Benachrichtigung einrichten kann…
Gruss Lukas