Wer in letzter Zeit vermehrt den Eindruck hatte, dass es vor allem im Sommer kein normales Wetter mehr gibt, wurde in diesem August einmal mehr bestätigt. Es gibt nur noch heiss, kühl, nass oder trocken. “Normale”, angenehm temperierte Tage figurieren als Eintagsfliegen zwischen den extremen Witterungsphasen. Es darf nicht verwundern, dass Langfristmodelle mit diesen mehrfachen 180°-Wendungen ihre liebe Müh haben – um Rekorde vorherzusagen, waren sie ohnehin noch nie das geeignete Mittel. Solche fielen in diesem Monat gleich mehrfach in der Schweiz: Höchste jemals in einem August gemessene Temperaturen (und das erst noch im letzten Monatsdrittel bei schon deutlich reduzierter Sonnenscheindauer), längste Hitzewelle in einer zweiten Augusthälfte, späteste Jahreshöchsttemperatur, höchste dreitägige Niederschlagssummen und nicht zuletzt der neue Rekord der Nullgradgrenze, der jetzt bei knapp 5300 m liegt. Als Folge dieser Kapriolen kann man jetzt in den Wäldern durch raschelndes Laub spazieren wie sonst im November.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den August, erstellt am 01.08.2023, lautete wie folgt:
Der diesmal favorisierte CFS-Lauf zeigt eine deutliche negative Druckanomalie über ganz Nordeuropa, die bis knapp südlich der Alpen reicht. Daran schliesst sich im Süden eine leicht positive Anomalie von den Azoren bis zur Iberischen Halbinsel an, wobei eine Brücke besteht zur deutlich ausgeprägteren Anomalie, die von Zentralsibirien bis nach Anatolien reicht. Ebenfalls hohes Geopotenzial wird über Grönland bzw. etwas westlich davon gerechnet. Damit ist klar: Der Monat wird überwiegend zonal, was für die erste Monatshälfte sogar in extremer Ausprägung recht gesichert erscheint. Die vorherrschenden Grosswetterlagen in der ersten Hälfte sind somit West zyklonal wie gehabt, Nordwest zyklonal bis eventuell hin zum Trog Mitteleuropa, wobei auch ein Tief Mitteleuropa nicht ausgeschlossen werden kann. Viel mehr Auswahl steht da vorerst nicht auf dem Menuplan. In der zweiten Monatshälfte verschiebt sich der Tiefdruck im Norden etwas nach Osten und es soll sich ein neues Tief auf dem Atlantik südwestlich von Irland bilden. Mitteleuropa fällt dann so ziemlich zwischen Stuhl und Bank, d.h. der Einfluss wird antizyklonaler, allerdings ohne dass eine deutlich bevorzugte Anströmung ausgemacht werden kann. Tendenziell dürften zunächst noch Luftmassen aus nördlicher Abstammung dominieren, während gegen Monatsende ein Trend zu Südwestlagen auszumachen ist.
Im Mittel resultiert daraus bei uns ein gegenüber der neuen Klimanorm unterkühlter Monat, was ungefähr einem August alter Schule (Klimanorm 1961-90) entsprechen dürfte. Die negative Abweichung umfasst fast ganz Nordeuropa von Grönland bis Skandinavien sowie Mitteleuropa, in abgeschwächter Form auch noch den zentralen Mittelmeerraum. Die auf unserer Karte unten gezeigte Abweichung der Luftmasse in 1500 m wird allerdings am Boden überall dort wettgemacht, wo derzeit sehr hohe Abweichungen der Wassertemperatur herrschen (also fast der gesamte Atlantik inkl. Nordmeer und Nordsee und Mittelmeer). Aufgrund dieser aussergewöhnlichen Situation ist die Karte mit den Abweichungen in 2 m Höhe angefügt, die wir sonst nur im Winterhalbjahr verwenden. Positive Anomalien finden wir auf der Iberischen Halbinsel und südwestlich davon, dann wieder in der Ägais und deutlicher ausgeprägt weit im Osten.
Weiterhin nimmt die über den Atlantik streichende Luft aufgrund der hohen Wassertemperaturen mehr Feuchtigkeit auf als üblich und entlädt sie auf dem Festland vornehmlich dort, wo sich ihr Hindernisse in den Weg stellen. Dies geschieht noch in der ausgeprägten zonalen Lage während den ersten zehn bis 15 Tagen des Monats, bei nördlicher Anströmung wird die Luft sofort trockener und bei Südwest wirkt wieder der Föhneffekt im Alpenvorland. Somit sind vielerorts durchschnittliche bis überdurchschnittliche Monatsniederschläge zu erwarten, etwas zu trocken dürfte die Alpensüdseite werden. Kaum gelindert werden dürfte die Trockenheit dort, wo es am nötigsten wäre, nämlich in Griechenland und Süditalien – solches wäre aber im August auch völlig aussergewöhnlich.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Durch die geringere Beständigkeit des Tiefs über Nordeuropa sieht die Prognose ziemlich alt aus. Bei genauerer Betrachtung findet man aber die Druckabweichungen in der Analyse genau dort, wo sie sein sollten: Hochs über Grönland, Osteuropa und Portugal, das Tief über der Nordsee. Grundsätzlich wurde also die grossräumige Verteilung gut getroffen, allerdings wurde das Tief im Norden viel zu stark bzw. zu langlebig gerechnet. Die Hochdruckphase und Hitzewelle im südlichen Mitteleuropa war in dieser Ausprägung nie in den Langfristmodellen enthalten.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 Meter Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Das zeigt sich auch in der Luftmassenverteilung: Die Kaltluft im Norden wurde weitgehend verdrängt bzw. tropfte zu den Azoren ab, über Nordwesteuropa blieb nur noch ein kleines Minus zum langjährigen Mittel übrig. Die 15 Tage dauernde Hitzewelle im südlichen Mitteleuropa machte die sehr kühlen Phasen davor und danach mehr als wett. Noch deutlicher wird dies, wenn man die Bodentemperaturen betrachtet:
Die hohen Meerestemperaturen neutralisierten am Boden die Einbrüche von Höhenkaltluft fast vollständig (wie bereits im Juli ist die Abweichung im Nordosten Islands wohl auf einen Datenfehler zurückzuführen, auch die leicht negative Abweichung von Frankreich bis in die Nordschweiz und nach Süddeutschland hinein gibt es so nicht wirklich, wenn man auf die Analysekarte von MeteoSchweiz und die Monatsbilanz von Baden-Württemberg schaut). Dass auf der Alpennordseite im Monatsschnitt ein Plus von einem bis zwei Grad resultiert, obwohl der Monat sehr kühl begonnen und geendet hat, zeigt wie extrem die Hitzewelle dazwischen war.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Die Niederschlagsverteilung entsprach ungefähr den Erwartungen, wenn auch mit etwas verlagerter Gewichtung innerhalb der Regionen (z.B. in Skandinavien nasser im Süden als im Norden). Allerdings ist auch bei dieser Darstellung Vorsicht angebracht, speziell im Alpenraum werden zu trockene und zu nasse Regionen genau verkehrt gezeigt. Sollte die Qualität dieser Analysekarten weiter derart schlecht sein, muss deren Verwendung für unseren Zweck in Zukunft hinterfragt werden. Daher sei diesmal noch mehr als üblich auf die Analysen der Landeswetterdienste verwiesen: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Die in der Einleitung erwähnte Konzentration auf extreme Witterungsbedingungen fast ohne Normalität wird in dieser Darstellung gut sichtbar:
Der von den meisten Menschen als am angenehmsten empfundene Witterungstyp im Sommer war gerade mal mit einem Tag vertreten. Als Beispiel für die extremen Wetterumschwünge sei hier Zermatt erwähnt: Auf den Hitzerekord von 31.2 °C vom 24. August folgte vier Tage später Schneefall bei knapp über 0 °C um die Mittagszeit. Verursacht wurde diese Achterbahnfahrt durch die Abfolge Südwest antizyklonal –> Trog Westeuropa –> Trog Mitteleuropa, ein in den letzten Jahren immer häufiger auftretendes Muster im Sommer. Nach dem Westlagen-geprägten Hochsommer kam diese rasche Umstellung zu meridionaler Zirkulation ziemlich überraschend, jedenfalls von den Langfristmodellen komplett verschlafen. Und so hat der vermeintliche Sommer “alter Schule” – wenn auch auf erhöhtem Temperaturniveau – ganz plötzlich doch noch sein wahres Gesicht des neuen Klimas gezeigt. Kuriosität am Rande: Trotz der kühlen Phasen war in Bern und Luzern der Gesamtsommer (Jun/Jul/Aug) aufs Zehntel genau gleich warm wie 2022 und somit der zweitwärmste Sommer seit Messbeginn hinter 2003 – allerdings mit deutlichem Abstand von 1.1 Grad.
Die Langfristprognose für den September findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
Diese Seite ist bewusst werbefrei gehalten, um die Unabhängigkeit des Informationsgehaltes zu gewährleisten und nicht von den Inhalten abzulenken. Der kostenlose Zugang zu Informationen ohne boulevardeske Verzerrungen beim Thema Wetter und Klima ist uns sehr wichtig. Mit einer freiwilligen Spende unterstützen Sie die Arbeit von fotometeo.ch in einem schwierigen Marktumfeld und sichern das Fortbestehen des Blogs. Vielen Dank!
Noch besser, weil für die Empfängerin spesenfrei, sind direkte Einzahlungen auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten.
Spendenbarometer letzte 12 Monate (fotometeo und orniwetter zusammen, Erklärung siehe hier):