Nach den extrem meridionalen Monaten Mai und Juni könnte der Kontrast nicht stärker sein: Die nordhemisphärische Zirkulation hat sich im Juli vollständig normalisiert und ein fast schon klassisches Sommermuster installiert. Tiefs und Fronten gaben sich die Klinke in die Hand und die ausgedörrte Landschaft konnte in kurzer Zeit wieder ergrünen – mancherorts wurde es gar zu viel des nassen Segens, vor allem im nördlichen Mitteleuropa.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Juli, erstellt am 1. Juli, lautete wie folgt:
Das amerikanische Langfristmodell CFS zeigt in den letzten drei Läufen des Vormonats wieder eine stärkere Zonalisierung mit Westlagen in Mitteleuropa, das europäische Modell hingegen will davon momentan nichts wissen, obwohl vor Wochenfrist schon öfters ähnlich gerechnet. Will man beide Trends nicht völlig ignorieren, muss man den Kompromiss wählen, und dieser wurde im 00z-Lauf vom 30.06. gefunden: Gerechnet wird eine negative Geopotenzial-Anomalie von den Azoren über die Britischen Inseln und Skandinavien hinweg nach Nordosten, wobei die stärkste Abweichung über Schottland zentriert wird. Eingeklemmt ist diese Tiefdruckrinne zwischen einem starken Hochdruckblock über Neufundland und dem westlichen Nordatlantik sowie einem etwas weniger starken, aber für uns relevanten über Osteuropa. Im Mittel ergibt dies eine West-Südwest-Strömung von Portugal über Mitteleuropa bis ins Baltikum. Südwest- und Westlagen werden also diesen Monat prägen, dazu Austrogungen über Westeuropa, die für kurze Hitzewellen verantwortlich sind, vorübergehend kann sich auch mal ein Hoch über Mitteleuropa einnisten, wenn die Austrogung weit westlich genug stattfindet.
Die Grenze zwischen leicht unterkühlten Luftmassen und solchen mit positiver Abweichung verläuft im Mittel von Südwest nach Nordost genau mitten durch Mitteleuropa. Am Boden ergibt dies mit viel Sonnenschein und gelegentlich föhnigen Effekten für Süddeutschland und den Alpennordrand ein Plus von ein bis zwei Grad gegenüber der Vergleichsperiode 1991-2020. Rechnet man die bereits gesicherte negative Abweichung der ersten fünf Tage mit ein, so ist klar, dass das Plus entweder durch Hitzewellen oder eine dreiwöchige hochsommerliche stabile Phase erreicht werden muss, die Konstellation spricht aber eher gegen das letztere Szenario. An der häufiger bewölkten Nord- und Ostsee dürfte ein knappes Minus resultieren, für die grosse Fläche dazwischen irgendwas im Normalbereich. Extreme Abweichungen von 1991-2020 werden fast nirgends in Europa gerechnet, die höchsten Ausschläge von +3 bis +4 Grad werden ausnahmslos über dem Meer gezeigt (Atlantik vor Portugal sowie Nordmeer zwischen Schottland und Spitzbergen und darüber hinaus), was den rekordhohen Wassertemperaturen dort geschuldet ist.
Ist das Meer aussergewöhnlich warm, kann die darüber streichende Luft auch mehr Feuchtigkeit aufnehmen und später über dem Festland wieder abladen. Genau dies wird in einem Streifen von nördlich der Azoren über West- bis Nordeuropa gezeigt, wobei die in diesen Regionen stehenden Gebirge am meisten abbekommen (Pyrenäen, Massiv Central, Schottland, Südnorwegen), in etwas abgeschwächter Form auch die mitteleuropäischen Mittelgebirge und die Alpen. Das nördliche Alpenvorland bekommt nur etwa die Hälfte des üblichen Niederschlags, eine Folge von föhnigen Effekten bei häufig südwestlicher Anströmung. Überdurchschnittlich nass wird auch die Balkanregion gerechnet, das sind gewittrige Stauniederschläge durch südliche Anströmung am Rande des Osteuropahochs.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Es ist in Zeiten oft überbordender Extreme beruhigend zu wissen, dass gewisse alte Regeln noch nicht vollständig ausgehebelt sind. Dazu gehört die meist recht gute Treffsicherheit im Juli, wenn man bei der Auswahl des Modelllaufs stets eine modern ausgelegte Siebenschläfer-Regel mit einbezieht. Wenn man an dieser Prognose etwas bemängeln könnte, dann ist es einzig das Mittelmeerhoch anstelle des Osteuropahochs. Es hatte zur Folge, dass Westlagen dominanter waren als Südwest und Süd, wir sind ja von einer etwa ausgeglichenen Verteilung ausgegangen. Ansonsten sind die grossen Druckgebiete nicht nur von der Position her, sondern auch vom Abweichungsbetrag sehr gut getroffen, wobei Neufundlandhoch und Nordseetief sogar etwas beständiger waren als modelliert.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 Meter Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Eine Folge der stärkeren Persistenz der atlantischen Druckzentren ist eine stärkere negative Abweichung der Luftmassentemperatur über dem östlichen Nordatlantik, während die grössere Hitze im zentralen Mittelmeerraum natürlich der Verschiebung des Hochs an diese Stelle geschuldet ist. Bemerkenswert ist, wie wenig Einfluss die Höhenkaltluft auf die bodennahe Schicht hatte:
Die extreme negative Abweichung in Island muss wohl auf einen Datenfehler zurückzuführen sein, eine andere logische Erklärung fällt mir auch bei längerem Überlegen nicht ein. Ansonsten bleiben die negativen Abweichungen im Verhältnis zu jener der Luftmasse klein und weitgehend auf das Festland beschränkt. Interessant ist hier die Feststellung, dass sich eine sehr hohe positive Abweichung der Meerestemperaturen nicht so schnell von einer kühlen Luftmasse beeindrucken lässt, was einmal mehr beweist, dass die Wassertemperatur viel träger reagiert als die Lufttemperatur.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Auch bei der Niederschlagsverteilung gab es keine Überraschung, diese Prognose war angesichts der bekannten Schwierigkeiten bei diesem Parameter schon sehr nahe an der Perfektion. Die grob aufgelöste Karte erzählt aber wie immer nicht die ganze Wahrheit. Gerade im Sommer ist die Niederschlagsverteilung lokal extrem unterschiedlich, daher lohnt sich auch diesmal der Blick in die Grafiken der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Auch wenn Westlagen zum typischen mitteleuropäischen Hochsommer dazugehören: Zwei Drittel liegen dann doch eher am oberen Rand der Statistik. Die nahe verwandten Südwest zyklonal und Tief Britische Inseln (GWT Süd) passen sehr gut in dieses Muster. Auch ein Hoch Mitteleuropa würde dazu passen, stattdessen gab es eine im Juli extrem seltene antizyklonale Südlage – das Hoch vom 7. bis 9. Juli war für HM einfach etwas zu weit östlich und vor allem auch zu wenig stark. Bei so viel zyklonalem Einfluss erstaunt, dass nicht mehr als zwei Tage deutlich unterkühlt ausfielen (in der nördlichen Hälfte Mitteleuropas sieht das allerdings etwas anders aus). Die Zeiten der richtig gruseligen Westlagensommer der 70er und 80er Jahre sind im südlichen Mitteleuropa definitiv vorbei. Es braucht schon überwiegend Trog und Tief Mitteleuropa sowie südliche Westlagen wie 2014 und 2021, um bei uns einen Sommer richtig zu versenken.
Die Langfristprognose für den August findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
Diese Seite ist bewusst werbefrei gehalten, um die Unabhängigkeit des Informationsgehaltes zu gewährleisten und nicht von den Inhalten abzulenken. Der kostenlose Zugang zu Informationen ohne boulevardeske Verzerrungen beim Thema Wetter und Klima ist uns sehr wichtig. Mit einer freiwilligen Spende unterstützen Sie die Arbeit von fotometeo.ch in einem schwierigen Marktumfeld und sichern das Fortbestehen des Blogs. Vielen Dank!
Noch besser, weil für die Empfängerin spesenfrei, sind direkte Einzahlungen auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten.
Spendenbarometer letzte 12 Monate (fotometeo und orniwetter zusammen, Erklärung siehe hier):