Kein einziger Hitzetag über 30 Grad im Juli, das kommt auch im neuen Klima in Bern gelegentlich noch vor, wenn auch selten (zuletzt 2008). Dass aber die Station Basel/Binningen im Juli 2021 keinen verzeichnen konnte, ist in diesem Jahrtausend ein Novum. Und so verhält es sich den ganzen Rhein runter – eine sonst durchaus klimatisch begünstigte Gegend. Wie schon im Juni war das Gefälle zwischen Ost und West wiederum markant, wenn auch im Westen auf noch tieferem Niveau als im Vormonat. Oder anders gesagt: Der Hochsommer fällt hier aus. Stattdessen gibt es Wasser im Überfluss wie noch selten zuvor. All die Rekorde aufzulisten, würde den Rahmen des Blogs sprengen. Die folgenden Karten sprechen aber Bände.
Auf eine Prognose wurde aufgrund der fehlenden Modellkarten verzichtet. Wir beschränken uns daher auf die nüchterne Analyse.
Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die Hochdruckanomalie über Nordosteuropa konnte sich aus dem Juni auch in den Juli hinüber retten – ein weiteres Indiz für die oft wochenlang eingefahrenen Zirkulationsmuster. Neu kam auch noch eine starke positive Anomalie über dem europäischen Nordmeer hinzu, womit die totale Blockade perfekt wurde. In manchen Bilanzen anderer Wetterdienste ist davon die Rede, dass der Jetstream in diesem Sommer sehr weit südlich verläuft und dies der Grund für den nassen Witterungsverlauf sei. Nun, wenn heutzutage die Meteorologen an den Unis nicht nur auf Modellierung und Formeln programmiert würden, dann könnten sie noch zwischen Polarfrontjet und Subtropenjet unterscheiden. In Wahrheit befand sich nämlich der Polarfrontjet aussergewöhnlich weit im Norden – in obiger Karte im Mittel etwa dort auszumachen, wo das weisse Band verläuft. Was uns in Mitteleuropa die Tiefdruck-Anomalie bescherte, war – Achtung! – ein ebenfalls sehr weit nördlich, über Spanien via Alpen zum Schwarzen Meer verlaufender Subtropenjet. Beide Jetstreams sind am Beispiel folgender Karte zu sehen:
Von daher stammt auch die extreme Hitzeglocke über dem Mittelmeer. Der Subtropenjet ist allerdings vor allem im Sommer weitaus schwächer als der Polarfrontjet, man sieht das auch an den Lücken. Entsprechend steuert er die Tiefdruckgebiete meist nur im Schneckentempo über uns hinweg, was sich vor allem zur Mitte des Monats fatal auswirkte. Das ganze Gelaber über den schwächeren Jetstream in den Nachbetrachtungen der Unwetter kann man also vergessen: Es ist das rasante Zusammenschrumpfen der Arktis und als Folge davon die Verschiebung der Klimazonen nach Norden, welche uns die Kapriolen rund um den Erdball beschert. Mal mit Hitze und Dürre, mal mit Sintfluten. Die typisch mitteleuropäischen Sommer alter Schule mit wechselhaftem Westwindwetter, in denen sich kühle Phasen und kurze Hitzewellen, dazwischen Regen und Gewitter an relativ schnell ziehenden Kaltfronten abwechseln, werden so zur Ausnahme.
Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1981-2010:
Ein weiterer Beweis, dass die Geschichte mit dem zu südlichen Jetstream nicht stimmen kann: Ganz Europa bis weit in den Hohen Norden war mit subtropischen Luftmassen eingedeckt. Die einzige und vom Betrag durchaus bescheidene negative Abweichung liegt dort, wo sich die Tiefdruckgebiete über längere Zeit eingenistet haben. Das ist einzig eine Folge von mangelndem Sonnenschein und von Niederschlagsabkühlung und nicht etwa von Polarluft. Echte Polarluft ist nur an den äussersten nördlichen Ecken der Karte zu finden.
Die eindrückliche Folge von Tiefdruckeinfluss zeigt die Abweichung der Monatsmitteltemperatur zur Klimanormperiode 1981-2010 am Boden:
Wäre der Tiefdruckeinfluss in Westeuropa mit Polarluft verbunden gewesen, hätten wir eine deutlich stärkere Abweichung nach unten als nur die -0.5 bis -1 Grad. Wenn ein total verschiffter Sommermonat nur noch ein so kleines Minus auf die Reihe kriegt, dann ist das Klima komplett hinüber. Also nichts von “das hat es schon immer gegeben”! Verregnete Sommermonate wie etwa Ende 70er bis Anfang 80er Jahre hatten Abweichungen von -2 bis -3.5 Grad (immer bezogen auf die Klimanorm 1981-2010), ebenso die später noch vereinzelt auftretenden Grusel-Exemplare wie Juli 2000 und 2011 oder August 2006. Und dort wo der Regen ausbleibt, weil das Hoch wochenlang nicht weichen will wie im Baltikum, sind dann eben schnell mal Abweichungen eines Monats von mehr als +4 Grad drin. Zum Vergleich: Eine solche Abweichung entspricht ungefähr dem August 2003 in der Nordschweiz, in jenem Jahr von einem Sommermonat erstmalig und seither (noch) nicht wieder erreicht.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010:
Auch hier: Kein Westwindgürtel zu sehen, ausser man weiss, dass die Niederschläge an der Westküste Grönlands und in Norwegen im Zusammenhang mit dem Polarfrontjet stehen. Unter dem blockierenden Hoch über Osteuropa fiel stellenweise kein einziger Tropfen. Ganz so homogen wie auf der grob aufgelösten Karte war es aber auch bei uns nicht, wir empfehlen daher wie immer die detaillierten Analysen der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Auf einen weiteren Faktor müssen wir im Zusammenhang mit den extremen Niederschlägen vor allem in Westdeutschland, den BeNeLux-Ländern, Ostfrankreich und der Schweiz noch eingehen: Bisherige Extremniederschlagsereignisse im Sommer waren fast immer an Vb-Lagen gebunden (z.B. 2002 und 2005). Dabei zieht ein Tief von Nordwesten her über das nördliche Mittelmeer und tankt dort massenweise feucht-warme Luft auf, zieht dann nach Norden ins östliche Mitteleuropa und führt die warme Suppe im Gegenuhrzeigersinn von Norden her an die Alpen. Dies braucht es heute nicht mehr, wie wir Mitte Juli gesehen haben, denn wir haben ein “neues Mittelmeer” im Nordosten Europas, nämlich die Ostsee:
Wenn ein Hoch fast zwei Monate lang über dem Baltikum liegt und die Sonne ungehindert brutzeln kann, muss es nicht verwundern wenn auch die Ostsee 5-7 Grad wärmer wird als normal. Und dieser Messpunkt liegt wirklich mitten im Meer und ist nicht etwa warmes Küstenwasser. Zum Vergleich die Ausschläge seit dem Jahrtausendwechsel:
Auch hier ist ein deutlicher Trend zu immer wärmerem Wasser nicht zu übersehen. Interessant auch, dass die erste deutliche Anomalie im Juli 2014 aufgetreten ist – ein Sommer, der sehr viele Parallelen zu 2021 aufweist. Nachfolgend noch eine Karte, welche die Herkunft der extrem gesättigten Luftmassen Mitte Juli aufzeigt, auszumachen am Gehalt des niederschlagbaren Wassers von über 40, teilweise fast 50 kg pro Quadratmeter:
Wir lernen: Neuerdings kann ein Tief seine Energie auch aus der Ostsee beziehen, wir haben also eine Unwetterquelle mehr in unserer Nähe. Natürlich nur, wenn die Vorgeschichte mit sehr warmem Frühsommer in Nordosteuropa stimmt – genau dies ist aber in den letzten Jahren gehäuft aufgetreten. Affaire à suivre…
Wenden wir uns noch der üblichen Wetterlagen-Statistik zu:
Der seit einigen Jahren anhaltende Trend zu deutlich mehr Südlagen (dabei fast ausschliesslich Trog Westeuropa und Tief Britische Inseln) im Sommer hat sich auch in diesem Jahr bestätigt. Auffällig ist dabei, dass trotz dominierender Südlagen nicht mehr deutlich zu warme Tage aufgetreten sind (im Osten Österreichs und Deutschlands sieht das allerdings wie bereits im Juni ganz anders aus). Den Zusammenhang mit dem Tiefdruckeinfluss haben wir weiter oben bereits erklärt. Allerdings war die Temperatur auch selten deutlich unter der Norm – zumindest im Tagesmittel. Die vielen normal temperierten Tage haben ihren relativ hohen Schnitt den milden Nächten zu verdanken – vielen Wolken sei Dank. Genau diese Wolken verhinderten aber auch tagsüber den Temperaturanstieg auf übliche sommerliche Werte. Das Empfinden eines deutlich unsommerlichen Monats ist also nicht etwa Einbildung, sondern dem Fehlen sonniger, sehr warmer und heisser Tage geschuldet. Der Mensch nimmt eben hauptsächlich das Wetter tagsüber wahr.
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