Früher war alles viel einfacher: Der Siebenschläfertag war am 27. Juni, egal welcher Kalender gerade galt, und danach hatte das Wetter sieben Wochen so zu bleiben, Punkt. Durch die gregorianische Kalenderreform und mit den modernen Wetteraufzeichnungen wurde es komplizierter, doch wenn man für die Regel die Position des Jetstreams berücksichtigt, die er in der ersten Juliwoche einnimmt, kann man den Charakter des Hochsommers bis ungefähr Mitte August ganz gut vorhersagen. Der Grund liegt darin, dass die vom Jetstream gesteuerten Tiefdruckgebiete im Hochsommer über längere Zeit hinweg immer wieder die gleichen Bahnen einschlagen und sich einmal etablierte Hochdruckgebiete nicht so schnell verdrängen lassen. Darauf haben wir uns bei der Prognose auch diesmal wieder verlassen. Im Rückblick müssen wir jedoch feststellen, dass in diesem Jahr etwas sehr Aussergewöhnliches passierte.
Betrachtet man die Grosswetterlagen bzw. die Zirkulationsform, so muss man feststellen, dass es eine recht einheitliche Phase während sechs Wochen vom 15. Juni bis 27. Juli gab:
Die in unserer Prognose erwähnte Umstellung der Grosswetterlage Anfang Juli trat zwar ein (Hoch Nordmeer-Fennoskandien, HNFZ, Grosswettertyp Ost), war aber nur von kurzer Dauer. Bereits nach wenigen Tagen übernahm wieder der Grosswettertyp Süd das Regime, wie bereits zuvor von Mitte bis Ende Juni. Am 28. Juli gab es einen deutlichen Bruch in der Zirkulationsform, seither sind nur noch West- und Nordwestlagen aufgetreten, und ein Ende ist momentan nicht in Sicht. Die Schlussfolgerung wäre also, dass der Siebenschläfer-Zeitraum in diesem Jahr von Mitte Juni bis Ende Juli gedauert hat, was eine Siebenschläfer-Prognose Ende Juni natürlich ad absurdum führt (andere Siebenschläfer-„Spezialisten“ behaupten dann einfach, dass der Siebenschläfer-Zeitraum meist nur drei bis vier Wochen hält, nun ja… kann man, muss man aber nicht, wie die Analysen der letzten zehn Jahre in diesem Blog zeigen). Die Bilanz dieser sechs Wochen bzw. 43 Tage in ein paar Grafiken verdeutlicht:
Die mittlere Position der Jetstreams (Wind in rund 9 km Höhe) über den gesamten Zeitraum zeigt einen für den Hochsommer nicht unüblichen Verlauf des Polarfront-Jetstrams von der Südspitze Grönlands und nördlich von Island bis nach Nordskandinavien. Zudem sehen wir einen aussergewöhnlich nördlichen Subtropen-Jet von Neufundland knapp nördlich der Azoren vorbei über die Pyrenäen hinweg und dann über das östliche Mittelmeer, wo er eine normale Position einnimmt.
Über diese sechs Wochen ist die Abweichung nach oben im Baltikum noch ausgeprägter als wenn man die Monate Juni und Juli separat auswertet (siehe entsprechende Monatsanalysen), auch das Ost-West-Gefälle über Mitteleuropa ist deutlich akzentuierter und verdeutlicht die festgefahrene Lage, welche die Siebenschläfer-Regel bestätigt.
Auch beim Niederschlag wurden immer dieselben Regionen „beglückt“ bzw. ausgespart: Einem extrem nassen West- und Mitteleuropa steht ein Nordosteuropa gegenüber, das teilweise über die gesamten sechs Wochen keinen Tropfen Regen gesehen hat. Dasselbe gilt für weite Teile Südeuropas, auch wenn das auf der Karte weniger dramatisch aussieht: Abweichungen von fast null Niederschlag in der Klimanorm (mediterranes Klima ist per se sommertrocken) können nun mal nicht gross ausfallen, denn weniger als null geht nicht. Trotzdem sind die Auswirkungen in Kombination mit einer Temperaturanomalie von +2 bis +3 Grad fatal und aus den Nachrichten bestens bekannt.
Wie bereits erwähnt herrscht seit dem 28. Juli eine ganz andere Zirkulationsform. Das zeigt sich auch in der mittleren Position der Jetstrams vom 28. Juli bis 13. August zum Vergleich mit der Karte weiter oben:
Der Polarfrontjet hat sich deutlich nach Süden verschoben und verläuft nun von Neufundland schnurstracks über den Atlantik nach Mitteleuropa hinein, wo er leicht nach Nordosten abbiegt. Über dem Atlantik hat er sich mit dem immer noch weit nördlich verlaufenden Subtropenjet vereinigt, der wie in den sechs Wochen zuvor immer noch über die Pyrenäen und dann zum östlichen Mittelmeer zieht.
Ich wage nun mal eine ganz steile These: Vielleicht hat der Siebenschläferzeitraum gar nicht am 27. Juli geendet, sondern am 28. Juli begonnen? Die Auswertung der Grosswetterlagen des letzten Jahrhunderts hat gezeigt, dass West- und Nordwestlagen in Mitteleuropa im Juli und August das im Jahresverlauf statistische Maximum erreichten, nur im Dezember traten Westlagen im Schnitt noch häufiger auf als im August, und der Juli führte bei den Nordwestlagen mit Abstand die Rangliste an. Das, was wir also (erst) seit dem 28. Juli sehen, war lange Zeit Normalität (wenn auch nicht gleich in der extemen Ausprägung mit südlicher Westlage vom 3. bis 7. August, dies ist nämlich eine typische Winter-Grosswetterlage). Hingegen war bis anhin die meridionale Zirkulation mit häufigen Südlagen typisch für die Ãœbergangsjahreszeiten. Nun haben wir in unseren Auswertungen der Grosswetterlagen der letzten Jahrzehnte festgestellt, dass sowohl die herbstlichen wie die frühlings-typischen meridionalen Lagen immer häufiger verspätet auftreten, und vor allem im Dezember und Juni die dort üblichen Westlagen verdrängen. Im Jahr 2021 war es noch extremer mit winterlicher Zirkulation (viele Westlagen) bis in den Mai, was den aussergewöhnlich kalten Frühling bei uns zur Folge hatte. Was also, wenn die Zirkulationsform nun während des gesamten Jahres dem Sonnenstand um etwa einen Monat hinterherhinkt? Wir werden es wissen, wenn das aktuelle West-Nordwestlagen-Regime endet (doch nicht etwa nach sieben Wochen, also gegen Ende September?) und die meridionale Herbstzirkulation beginnt. Wobei wir dazwischen noch das statistische Maximum an Hochdrucklagen (üblicherweise von September bis Oktober, typisch Altweibersommer) zugute hätten. Man kann über das Wetterjahr 2021 fluchen, so viel man will: An interessanten Analysen und den daraus folgenden Fragestellungen mangelt es ganz bestimmt nicht… Fortsetzung folgt demnächst in diesem Kino.
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Microwave am 16. August 2021 um 12:31 Uhr
Uiii ganz heftige Analyse!
Aus welche Grund würden die Zirkulationsmuster mit 1 Monat Verspätung dem Sonnenstand hintendrein rennen, und sehe ich recht dass das Problem früher nicht war?
Könnte das im Zusammenhang stehen mit dem Klimabreakdown?
Welches könnten unter Umständen die Verknüpfungen sein?
Grüsse – Microwave
Fabienne Muriset am 16. August 2021 um 18:24 Uhr
Hoi Microwave
Im Übergang vom Herbst zum Winter ist die Erklärung naheliegend: Die spätere Vereisung der Arktis bewirkt auch eine spätere Verschärfung der Temperaturgegensätze an der Polarfront: Der Jetstream und die Tiefdruckbildung, somit auch die winterlichen Weststürme kommen immer später in Gang (wie die letzten Jahre gezeigt haben, oft erst im Januar und Februar, immer häufiger bis in den März hinein mit dem diesjährigen Mai als Extremerscheinung). Im Übergang vom Frühling zum Sommer ist die Komplexität von Eisverteilung, Wassertemperatur und Landerwärmung wohl um ein Mehrfaches höher, als dass ich da eine einfache Erklärung aus dem Ärmel schütteln könnte, aber die Erleuchtung kommt vielleicht noch mit der weiteren Vertiefung der Grosswetterlagen-Analysen 😉
Grüsslis
Fabienne