Den Mai 2023 in Mitteleuropa zu beschreiben, ist nicht einfach. Am Alpenrand trüb und nass, aber mit einer grandiosen Wandlung ab Pfingsten zu sehr sonnig und trocken. Feucht-warme Phasen wechselten mit Kaltlufteinbrüchen ab, nur aussergewöhnlich warm oder sogar heiss wurde es nie (kein offizieller Hitzetag in CH/AT/DE), was schlussendlich in einen verbreitet normal temperierten Mai zur Klimanorm 1991-2020 mündete. Aussergewöhnlich nass auch in einem Streifen von der nördlichen Eifel über das Ruhrgebiet bis nach Ostwestfahlen sowie am Alpenhauptkamm vom Engadin bis zu den Niederen Tauern, während in Nordostdeutschland vielerorts der trockenste Mai seit Messbeginn registriert wurde (Arkona auf Rügen: 0.2 mm im gesamten Monat). Man darf sich also nicht wundern, wenn total widersprüchliche Mai-Bilanzen herumgeistern – je nach Verfasser und regionaler Sichtweise.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Mai, erstellt am 1. Mai, lautete wie folgt:
Die Langfristmodelle sind für den Mai zum Teil sehr widersprüchlich und auch innerhalb der Modelle die Läufe extrem sprunghaft, um nicht zu sagen: Sie divergieren in Gegensätze, die einem die Wahl eines Szenarios ungemein erschweren. In solchen Fällen hilft oft nur, die allerneuesten Trends der Mittelfristmodelle für die erste Monatshälfte für bare Münze zu nehmen (einige werden jetzt laut loslachen…), einen dazu passenden CFS-Lauf zu suchen und zu hoffen, dass die zweite Monatshälfte nicht gleich alles auf den Kopf stellt. Eine ziemliche Raterei also, was jetzt folgt.
Die Wahl fiel auf den allerneuesten CFS-Lauf, der ein schon vor Wochenfrist gerechnetes und zwischenzeitlich verworfenes Szenario wieder aufnimmt: Hauptakteur soll eine markante negative Geopotenzial-Anomalie auf dem zentralen Nordatlantik sein, die mit ihrer warmen Südwest- bis Südströmung weiterhin hohes Geopotenzial über der Iberischen Halbinsel stützt. Gegenspieler ist eine – wenn auch deutlich weniger stark ausgeprägte – positive Anomalie über dem Nordmeer und Skandinavien, welche zeitweise die Zirkulation blockiert. An deren Ostflanke wiederum trogt es über Osteuropa häufig aus, die daraus resultierenden CutOff-Tiefs sorgen wiederum für eine negative Anomalie über dem zentralen und östlichen Mittelmeer. Eine recht komplexe Situation also, die Mitteleuropa zur Kampfzone dieser Druckgebilde und Luftmassen unterschiedlicher Herkunft macht. Nord- bis Ostlagen wechseln sich ab mit Südwest- bis Südlagen, Westlagen treten meist nur als kurze Übergänge auf. Einzig recht sicher ist, dass unter diesen Umständen nicht mit längeren Hochdrucklagen in Mitteleuropa gerechnet werden kann.
Luftmassen suptropischer Herkunft sorgen für ein warmes Westeuropa, wobei die positiven Abweichungen bis nach Norwegen reichen, am ausgeprägtesten aber wiederum die Iberische Halbinsel “beglücken”. Unterkühlt wird fast die gesamte Osthälfte Europas gerechnet, wodurch sich ein recht scharfer Gradient irgendwo über Mitteleuropa einstellt. Überflüssig zu erwähnen, dass nur geringfügige Verschiebungen der steuernden Druckgebilde diese Grenze locker verschieben können, derzeit gehen wir aber von einem ungefähr durchschnittlich temperierten Mai in Mitteleuropa aus, mit Tendenz zu einem Plus im Westen und einem Minus im Osten.
Kampfzone Mitteleuropa bei den Luftmassen bedeutet zu dieser Jahreszeit auch, dass entlang dieser Grenzen reichlich Niederschläge fallen – insbesondere über dem Relief, also den Alpen und den Mittelgebirgen. Wobei der Mai in den Alpen sowieso von Natur aus sehr nass ist, die gerechneten Abweichungen zur Norm halten sich somit in Grenzen. Deutlicher erscheinen diese in den Gebirgen rund um die Adria, in den Pyrenäen und in Südeuropa, wo der Mai in der Regel schon sommertrocken ist und kräftige Gewitter eines CutOff-Tiefs rasch grosse Abweichungen zur Norm bringen. Wer sich vor allzu viel Nass von oben in Sicherheit bringen möchte, ist wahrscheinlich rund um die Ostsee am besten aufgehoben, aber auch im hitze- und dürregeplagten Portugal und in Südspanien, wo die prognostizierten Niederschläge nach wie vor gegen Null tendieren.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die Besorgnis über die grosse Unsicherheit in den Modellen Ende April war nicht unbegründet. Die Umstellung der Wetterlage erfolgte ziemlich genau zur Monatsmitte, als sich über den Britischen Inseln ein Hoch etablierte, das bis zum Monatsende nicht mehr weichen sollte. Schlussendlich bestand fast immer eine Hochdruckbrücke von den Azoren bis nach Nordosteuropa, Mitteleuropa an dessen Südrand mit entsprechend östlicher Anströmung, zeitweise unterbrochen durch Kaltlufteinbrüche aus Nord durch Schwachstellen in der Hochdruckbrücke. Einzig sicherer Wert war der permanente Tiefdruckeinfluss im Mittelmeerraum.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 Meter Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
So wirklich überzeugen kann folglich auch die Prognose der Temperaturverteilung nicht. Allerdings hatte Mitteleuropa Glück: Das modellierte Gefälle von West nach Ost mit einem Monatsmittel ziemlich genau in der Norm 1991-2020 hat erfreulich genau gepasst, das unterkühlte Südeuropa war bei der recht sicheren Tiefdruckprognose auch keine Überraschung. In Südspanien wird man bestimmt auch nicht traurig sein, dass die Prognose wegen der Nordwestverschiebung des Hochs nicht hingehauen hat.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Angesichts der markanten Verschiebungen der Druckgebiete in der zweiten Monatshälfte erstaunt die recht gute Prognose der Niederschläge in den östlichen zwei Dritteln Europas. Ins Gegenteil verkehrt wurde sie nur von den Britischen Inseln über Frankreich bis auf die Iberische Halbinsel. Es verwundert, dass in den Nachrichten nichts über Unwetter im Südosten Spaniens zu lesen war, erreichten die Niederschläge doch dort nach langer Trockenheit annähernd hohe Werte wie in Teilen Italiens. Das komplexe Mosaik der Niederschlagsverteilung in Mitteleuropa wird auch diesmal wieder nur ansatzweise in der groben Karte gezeigt, man beachte daher die detaillierten Grafiken der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Es gab dann auch im nördlichen Alpenvorland doch noch zehn trockene Tage in diesem Mai, die meisten davon zum Monatsende, als phänologisch bereits Frühsommer war. Hier fiel somit der gesamte phänologische Frühling ins Wasser, während jetzt bereits wieder das Trockenheitsgespenst umgeht. Der von so vielen bejubelte nasse Frühling hat also ausser etwas erholten Grundwasserständen und Seepegel nichts gebracht, dafür unbestäubte Obstbäume, verspätet gesetzte Kartoffeln und Gemüse sowie verfaulte und von Schnecken gefressene Salate, was jetzt alles bereits wieder künstlich bewässert werden muss. Die Verteilung der Grosswettertypen zeigt ein für Mai typisches, wenn auch etwas stark ausgeprägtes meridionales Muster – die drei Tage Winkelwest waren ja ebenso ein Resultat der andauernden Blockadelage. Südwest- und Südlagen bekamen entgegen der Prognose keinen Fuss in die Tür. Die letzte Südlage hatten wir übrigens im Oktober, was angesichts des stark zunehmenden Trends (insbesondere von Trog Westeuropa) der letzten zwei Jahrzehnte als sehr aussergewöhnlich bezeichnet werden kann.
Die Langfristprognose für den Juni findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
Diese Seite ist bewusst werbefrei gehalten, um die Unabhängigkeit des Informationsgehaltes zu gewährleisten und nicht von den Inhalten abzulenken. Der kostenlose Zugang zu Informationen ohne boulevardeske Verzerrungen beim Thema Wetter und Klima ist uns sehr wichtig. Mit einer freiwilligen Spende unterstützen Sie die Arbeit von fotometeo.ch in einem schwierigen Marktumfeld und sichern das Fortbestehen des Blogs. Vielen Dank!
Noch besser, weil für die Empfängerin spesenfrei, sind direkte Einzahlungen auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten.
Spendenbarometer (fotometeo und orniwetter zusammen, Erklärung siehe hier):