Jedes Kind lernt in der Schule, dass Mitteleuropa sich in der Klimazone der gemässigten Breiten befindet. Zu verdanken haben wir dies der Westwindzone, die mehr oder weniger zuverlässig mässig warme und feuchte Luftmassen vom Atlantik liefert. 2018 ist jedoch alles anders, seit der norhemisphärische Westwindgürtel im Bereich des Atlantiks und Europas Mitte Februar zusammengebrochen ist. Und so hatten Westwinde auch im Juni nicht den Hauch einer Chance, bis zu uns vorzudringen. Ergebnis dieser völlig blockierten Lage ist, dass es immer in denselben Regionen entweder knochentrocken oder waschelnass ist, dass einerseits Gebiete seit April in dauerhafter Wärme sitzen und andererseits Regionen permanent unterkühlt sind. Wir dürfen mittlerweile von einer meteorologisch-klimatischen Ausnahmesituation sprechen, zumal eine dauerhafte Normalisierung nicht absehbar ist.

Fast kein Tag ohne Gewitter irgendwo: Blick vom Mont d’Or bei Vallorbe (frz./waadtl. Jura) in Richtung Berner und Walliser Alpen, 20.06.2018
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Juni, erstellt am 31. Mai, lautete wie folgt:
Aufgrund der eingangs geschilderten Prozesse retrograder Verlagerung haben wir einen Lauf favorisiert, der den Hochdruckschwerpunkt zunehmend im Bereich Britische Inseln und Nordsee rechnet. Die positive Druckanomalie erstreckt sich allerdings bogenförmig von den Azoren über die Nordsee bis nach Osteuropa, bedeckt also weite Teile des Kontinents. Leicht negative Druckanomalien erstrecken sich nördlich und südlich davon, also von Grönland über das Nordmeer bis Nordrussland sowie über die Südhälfte des Mittelmeerraumes. Die dominierenden Grosswettertypen dieses Monats sind Hoch- und Ostlagen, bei weiterer Westverlagerung des Hochs ist auch mit (meist antizyklonalen) Nord- bis Nordwestlagen zu rechnen.
Weite Teile Europas werden einen deutlich zu warmen Juni verzeichnen. Am ausgeprägtesten ist die Wärme in Nordwest- und Mitteleuropa, wo die positive Abweichung zum langjährigen Mittel 2-3 Grad betragen dürfte, also durchschnittliches Juli-Niveau erreicht. Da die Luftmassen hauptsächlich aus Osten und seltener aus Süden kommen, ist die Abweichung des Monatsmittels weniger auf extreme Hitzewellen als vielmehr auf eine beständige sonnige und warme Lage zurückzuführen. Bei weitem nicht mehr so extrem wie in den Vormonaten ist die Wärme in Nord- und Osteuropa, wo sich die Temperaturen ungefähr der Klimanorm annähern, was aber über weite Strecken des Monats immer noch ordentlichen Sommer verspricht. Kühlere Nord- und Nordwestwinde nehmen hier allerdings zu. Unter der langjährigen Norm wird der Juni nur im südlichen Mittelmeerraum gerechnet, am deutlichsten in Südspanien und Marrokko.
Im Flachland Mitteleuropas wird der Juni wahrscheinlich über weite Strecken trocken verlaufen. Ungefähr normale Niederschlagsmengen sind in Alpennähe und in den Mittelgebirgen aufgrund häufiger Gewitter zu erwarten. Die sehr weit nördlich verlaufende Westwindzone regnet sich am skandinavischen Gebirge aus und abtropfende Tiefs (der Running-Gag seit zwei Monaten) bescheren weiten Teilen Südeuropas einen deutlich zu nassen Monat, was dort immerhin im Gegensatz zu den letzten Jahren nicht bereits vor der grossen Sommerhitze zu Trockenheit führt.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials (Druck in rund 5500 m Höhe) gegenüber dem langjährigen Mittel:
Zum zweiten Mal in Folge dürfen wir eine nahezu perfekt getroffene Prognose während einer Phase meridionaler Zirkulation bilanzieren. Da die meridionale Zirkulation im ansonsten Westwind-dominierten Europa eine Ausnahmesituation darstellt und oft nur kurze Zeit, meist weniger als einen Monat anhält, ist sie in Langfristprognosen besonders schwer zu erfassen. Der Umstand, dass man bei den Prognosen für Mai und Juni eigentlich gar nichts falsch machen konnte, verdeutlicht die aussergewöhnliche Beständigkeit der aktuellen Lage. Einzig die exakte Positionierung des Hochdruckblocks stellt eine gewisse Herausforderung dar. So lag schlussendlich der Schwerpunkt der positiven Abweichung über den ganzen Monat gemittelt wenige 100 km nach Westen verschoben, was auf eine in der zweiten Monatshälfte etwas deutlichere Westverlagerung als erwartet zurückzuführen ist.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Der etwas westlichere Hochschwerpunkt in der zweiten Monatshälfte hatte zur Folge, dass der in der Prognose sichtbare sekundäre Wärmepol im Bereich Nordostdeutschland/Polen in der Analyse fehlt. Noch deutlicher wird dieser Umstand an der unterkühlten Zone im äussersten Nordosten Europas sichtbar. Auf Nordwesteuropa hatte dieser Unterschied keine Auswirkungen, im östlichen Mitteleuropa wurde das Monatsmittel durch die kühleren Luftmassen aus Norden hingegen etwas gedämpft. Hier gab es dann doch eine Woche mit unterdurchschnittlichen Temperaturen, wobei der Temperatursturz vom 21. auf den 22. Juni in ganz Mitteleuropa aussergewöhnlich brachial war. Während sich die Temperatur unter Hochdruckeinfluss und viel Sonnenschein in den westlichen Regionen rasch wieder erholte, blieb es im Osten fast bis zum Monatsende unterkühlt. Dieses teils extreme Temperaturgefälle auf kurze Distanz ist eine typische Begleiterscheinung meridionaler Lagen, wo Nord- und Südwinde oft nur wenige 100 km auseinander liegen.
Vergleicht man das Abweichungsmuster der Bodentemperatur mit jener der Temperatur in rund 1500 m weiter oben, so fällt auch in diesem Monat der Unterschied über dem Nordatlantik auf. Der permanente Hochdruck (absinkende Luft) erwärmt zwar die Luftschichten in der Höhe rasch, kann aber das kühle und auf Temperaturunterschiede träge reagierende Meereswasser nur langsam aufheizen. Am deutlichsten wird das auf den weiten Flächen des Ozeans sichtbar, doch auch an der Nordsee gibt es mitten im sonst sehr warmen Umfeld einen weissen Fleck mit nur durchschnittlichen Temperaturen. Hier wurde sehr häufig Seenebel oder Stratus beobachtet, der sich unweigerlich bildet, wenn warme Luft über kühles Wasser streicht. Je nach Windströmung ziehen diese tiefen Wolken auch von den Küsten ins Landesinnere, was wiederum regional sehr unterschiedliche Wahrnehmungen bezüglich des Sommerwetters erklärt.
Wie schon in den Vormonaten zeigt sich eine deutlich zu trockene Zone sowohl in Ost- wie auch in Nordwesteuropa, während auf der Iberischen Halbinsel wie auch auf dem Balkan sehr grosse Regenmengen fielen. Im Alpenraum haben wir wie in den Sommermonaten üblich das Problem, dass die grob aufgelöste Karte lokale, durch heftige Gewitter verursachte hohe Niederschlagsmengen viel zu stark in die Breite walzt. Die Niederschläge waren hier nicht nur lokal, sondern auch zeitlich sehr ungleich verteilt. Während in der ersten Monatshälfte täglich irgendwo im Alpenraum oft eng begrenzt heftige Gewitterregen niedergingen, blieb es vor allem in den West- und Südalpen in der zweiten Monatshälfte völlig trocken, und weite Teile des nördlichen Alpenvorlandes waren über den ganzen Monat recht trocken. Die Analysekarten der einzelnen Länder (Schweiz, Österreich, Deutschland) verdeutlichen die oft kleinräumigen Unterschiede sehr gut.
Bereits zum zweiten Monat in Folge wurde kein einziger Tag mit einem Grosswettertyp des Westsektors (W, SW, NW) verzeichnet. Nach der Dominanz der Ostlagen im Vormonat kamen im Juni neu Nordlagen hinzu, was aufgrund der Westverlagerung des Hochdruckblocks erwartet wurde. Extreme Hitzewellen blieben wie erwartet aus, vielmehr waren weite Teile des Monats durch permanente, gemässigte Wärme geprägt. Das deutliche West-Ost-Gefälle im letzten Monatsdrittel geht in diesen Grafiken unter: Wenn es in Karlsruhe heiss und in Wien kühl ist, muss bei der Analyse oft der Kompromiss “normal” herhalten, was für den Grossteil der dazwischen liegenden Mitte ja auch zutrifft. Regional wurden somit im Juni 2018 teils deutlich mehr heisse (im Westen) und mehr kühle (Osten) Tage verzeichnet als dargestellt.
Die Langfristprognose für den Juli findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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