Haben Sie heute schon irgendwo im Netz gelesen oder im Radio gehört, wie das Wetter die nächsten sieben Wochen werden soll? Oder selbst aus dem Fenster geschaut und Ihre Schlüsse gezogen? Falls ja, dann wird das Fazit völlig unterschiedlich ausfallen, je nachdem in welcher Region Mitteleuropas Sie zuhause sind. Die meisten werden auf einen sonnigen, mässig warmen Hochsommer schliessen. In Österreich und Teilen Bayerns erwartet man einen durchzogenen Hochsommer und im Nordwesten Deutschlands wohl gleich den Herbstbeginn, wie das Satellitenbild von heute früh zeigt. Zum Glück ist diese Art der Siebenschläferregel-Auslegung völliger Mumpitz, denn nicht das Wetter an einem bestimmten Ort an einem einzelnen Tag ist massgeblich für die Prägung des Hochsommers, sondern die Entwicklung des grossräumigen Zirkulationsmusters über dem Nordatlantik und Europa über mehrere Tage hinweg von Ende Juni bis Anfang Juli.
Würde man die aktuelle Wetterlage auf den bevorstehenden Hochsommer ummünzen, dann wäre die Prognose wohl jene, dass es in weiten Teilen Mitteleuropas hochdruckbestimmt bleibt, während die östlichen Regionen immer wieder mit kühlen und feuchten Grüssen aus dem Norden rechnen müssen. Denn die Grosswetterlage entspricht einem lehrbuchhaften “Hoch Britische Inseln”:
Die aktuelle Karte mit den steuernden Hoch- und Tiefdruckzentren in rund 5500 m Höhe und den zugehörigen Windströmungen zeigt das Britische Hoch flankiert von Tiefs im Westen und Osten, was einer klassischen Omega-Lage nahe kommt. Die Westwindzone verläuft sehr weit nördlich von der Südspitze Grönlands über Island und biegt vor Skandinavien nach Norden ab. Es ist dies ein meridionales Zirkulationsmuster, das mit Varianten in den Details seit Mitte Februar anhält und für die Frühlingsmonate recht typisch ist. Weniger typisch ist hingegen die extreme Ausprägung und Stabilität. Es gab zwar immer wieder zaghafte Versuche der Zonalisierung (Westwind vom Atlantik setzt sich bis Europa durch), sie scheiterten aber allesamt nach wenigen Tagen (Ende April) oder blieben sogar reine Modellfantasien wie zuletzt wiederholt im Juni. Normalerweise gelingt diese Zonalisierung Ende Juni bis Anfang Juli, weshalb die Siebenschläfer-Regel für das südliche Mitteleuropa in den meisten Fällen zutrifft (nachzulesen in unseren zahlreichen Blogs der letzten Jahre unter dem Stichwort Siebenschläfer). Das eine statistische Viertel (es ist längst überfällig), in dem die Regel nicht greift, kommt vor allem dann zum Tragen, wenn das meridionale Zirkulationsmuster bis in den Siebenschäfer-Zeitraum hinein anhält. Und das ist 2018 offenbar der Fall. Die Frage, die sich heute stellt: Gelingt die Zonalisierung in den nächsten zehn Tagen doch noch, kommt sie verspätet irgendwann im Juli, oder bleibt sie sogar ganz aus?: Variante 1, also ein Durchgreifen der Westzirkulation bis nach Europa, kann man heute so gut wie ausschliessen. Auf Variante 2 oder 3 zu setzen, käme einer Kaffeesatzleserei gleich, die wir besser den bekannten Langfrist-Päpsten überlassen – vernünftige Grundlagen für solche Thesen gibt es schlicht keine. Was wir hingegen können, ist anhand der aktuellen Lage zu erklären, was die Siebenschläfer-Regel 2018 untauglich macht.
Diese Karte zeigt die aktuelle Abweichung der Wassertemperatur gegenüber dem langjährigen Mittel. Wir haben es mit Auffälligkeiten zu tun, die schon etliche Jahre nicht mehr zu beobachten waren: Die Randgebiete der Arktis sind zwar wie schon seit einiger Zeit deutlich wärmer als im langjährigen Mittel, was hauptsächlich dem Rückgang der Eisfläche geschuldet ist. Aussergewöhnlich ist die starke negative Abweichung, die sich von Neufundland durch den ganzen Nordatlantik südlich von Island bis zu den Britischen Inseln zieht. Im Hohen Norden zu warm, in den gemässigten Breiten zu kühl: Folglich sind die Temperaturgegensätze in diesem Bereich deutlich geringer als normal. Und geringere Temperaturgegensätze bedeuten weniger Tiefdruckaktivität genau dort, wo der Westwindgürtel seinen Antrieb haben müsste. Statt im Bereich von etwa 55 ° Nord sind die stärksten Gegensätze nun einerseits weit im Norden zu finden, also dort, wo wir auf der oberen Analysekarte den Westwind sehen. Andererseits gibt es aber auch einen starken Gradienten zwischen Neufundland und den Azoren. Dort sind in letzter Zeit immer wieder Tröge entstanden, die entweder dazu beigetragen haben, dass sich das Azorenhoch nach Norden aufsteilt oder gar in Richtung Britische Inseln ausweicht. In die Schwächezone der Hochdruckbrücke dringen daher immer wieder CutOff-Tiefs ein, die sich vor der Küste Portugals oder in der Biskaya einnisten. Wir haben die häufigsten Tief-Zugbahnen der letzten Wochen in der Karte eingezeichnet.
Da die Wassertemperaturen des Atlantiks sehr träge reagieren, ist in den nächsten Wochen nicht mit einer grundlegenden Umstellung zu rechnen. Zwar nehmen atlantische Tiefs immer wieder Anlauf, scheitern jedoch am blockierenden Hoch, das seine Position immer irgendwo im Bereich Britische Inseln-Nordsee-Skandinavien einnimmt. Die Tiefs sind gezwungen, das Hoch zu umschiffen. Mal gelingt dies über den Norden mit anschliessender Austrogung oder Abtropfung über Osteuropa wie aktuell, oder es geschieht vor den Westküsten Europas, so wie es über weite Strecken im Mai der Fall war. Mitteleuropa befindet sich somit permanent in Hochdruck-Randlagen: Mal kommen die Störungseinflüsse von Südwesten, mal von Nordosten. Wenn es ganz dumm läuft, findet so ein CutOff-Tief auch mal den Weg nach Mitteleuropa und nistet sich für eine Woche ein. Das würde zwar die in vielen Regionen herrschende Trockenheit beenden, kann aber im Hochsommer sehr schnell ins unerwünschte Gegenteil umschlagen (Sommer 2014 lässt grüssen).
Werfen wir einen Blick ins Ensemble des amerikanischen Wettermodells für den 5. Juli, so wird das oben beschriebene Muster nach wie vor gezeigt:
Das Ensemble des europäischen Modells zeigt ein ähnliches Muster. Das hohe Geopotenzial soll sich etwas nach Osten verschieben und so vorübergehend über Mitteleuropa zu liegen kommen: beste Voraussetzungen für eine Hitzewelle. Die Trogstrukturen sowohl vor den Westküsten Europas wie auch über Osteuropa bleiben erhalten. Die gelben bis roten Bereiche markieren die Unsicherheiten bezüglich der genauen Position von Trögen und Hochdruckrücken. Und genau mit diesen Unsicherheiten werden wir – nun verfallen wir doch ein wenig in den Spekulationsmodus – die nächsten sieben Wochen leben müssen. Denn wie die Prognosegüte in der Mittelfrist der vergangenen Wochen gezeigt hat, bekunden die Modelle mit der aussergewöhnlich meridionalen Zirkulation und den so wohl noch nie dagewesenen Wassertemperatur-Anomalien ihre allergrösste Mühe.
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