Der Oktober 2016 hat uns bisher nicht gerade mit Sonnenstunden verwöhnt. Die kalte und häufig graue Ostströmung lässt keinen Goldenen Oktober zu. Wenn nicht gerade Schauer durchziehen, so hängen Nebel und Hochnebel vor der Sonne. Und am vergangenen Wochenende war es in der Höhe kalt genug, dass Schnee bis in Mittelgebirgslagen liegen blieb. Keine guten Voraussetzungen in diesem Jahr, um im Gebirge nach den alljährlichen Farbtupfern zu suchen. Für solche Fälle habe ich mir eine Exkursion aufgespart, für die ein einziger sonniger Tag ausreicht, um ausreichend Oktobergold zu sammeln. Sie führt in die kontinentalste Gegend der Schweiz: ins Zentralwallis.

Wie Moses am Sinai muss sich der Wanderer angesichts dieses Feuerbusches fühlen: Perückenstrauch (Cotinus coggygria)
Wenn man von Visp nach Sion durchs Rhonetal fährt, fällt einem rechterhand im Oktober eine farbenprächtige Felswand ins Auge. Auf knapp zwei Kilometer Länge hebt sich eine bunte Vegetation von den übrigen Walliser Südhängen ab, die abwechselnd von Felsensteppe, Wald und Weinbergen gesäumt ist:
Hier auf 620 m Höhe startet die Wanderung durch eine der speziellsten Naturräume der Schweiz. Das Klima ist hier so extrem, dass man sich unweigerlich in den Mittelmeerraum versetzt fühlt. Mit knapp 600 mm Jahresniederschlag verteilt auf rund 80 Niederschlagstage handelt es sich ohnehin um die trockenste Region der Schweiz. Anders als an anderen Stellen, wo enge oder ungünstig ausgerichtete Täler eine ganztägige Besonnung verhindern, scheint die Sonne hier durchgehend von morgens bis abends – auch im Winter. Nur wenige Gipfelstationen der Südschweiz erreichen eine ähnliche Sonnenstundenzahl pro Jahr (ca. 2200).
Nachdem im Talboden nach der frostigen Nacht noch die Finger klamm sind und die Nasenspitze friert, muss man sich bereits nach wenigen Metern Aufstieg der Jacke entledigen:
Man sieht es der Vegetation an, welche extremen Verhältnisse an diesem Südhang vorherrschen: Die Sonne strahlt ganztags in optimalem Winkel auf den Felsen. Alles ist knochentrocken, mehr als ein paar Tropfen Regen fielen hier letztmals vor fünf Wochen – was für diese Gegend ganz normal ist. Nur spezialisierte Pflanzen können hier überleben, und selbst diese bleiben verhältnismässig zwergwüchsig. Hinzu kommt im Verlauf des Tages der obligate Hang- und Talwind, der zusätzlich alles austrocknet. Wären wir hier nicht in einem inneralpinen Tal, es würde sich eine mediterrane Macchia ausbreiten. Einen mediterranen bis asiatischen Touch verleiht dieser Felsensteppe ein besonderer Busch:
Der Perückenstrauch, der sich im Herbst feuerrot färbt, kommt in der Schweiz nebst zwei Stellen im Südtessin nur hier im Zentralwallis endemisch vor und ist daher auf dem Höhepunkt der Verfärbung Mitte Oktober extem auffällig. Kaum ein anderer wild lebender Baum oder Strauch in der Schweiz erreicht eine derart extreme Leuchtkraft bei gleichzeitig dichter Belaubung.
Der Weg durch die Felsensteppe ist zwar nicht als Bergweg, sondern als normaler Wanderweg markiert. Dennoch empfiehlt sich festes Schuhwerk. Der Weg ist schmal, stellenweise abschüssig und extrem geröllig, sodass man leicht ins Rutschen kommt. Um die Aussicht zu geniessen gilt die Regel: Erst stillstehen, dann gucken! Das spezielle Klima und die aussergewöhnliche Vegetationsgemeinschaft bilden auch einmaligen Lebensraum für die Tierwelt. Nebst vielen verschiedenen Schreckenarten leben hier in der Schweiz sehr seltene Vogelarten wie Zaun- und Zippammer, Berglaubsänger, Ortolan und Ziegenmelker. Um diese Vögel zu entdecken, braucht es allerdings einige Erfahrung und auch etwas Glück. Die beste Zeit hierfür ist Mai-Juni, dann allerdings lässt der Perückenstrauch nicht im geringsten auf seine Farbenpracht im Herbst schliessen.
Weiter oben werden die Farben mangels Perückenstrauch nüchterner, die Landschaft ist deswegen aber nicht minder interessant:
Die Feschelschlucht wird durch die Hohe Brücke überwunden. Die historische Brücke wurde 1563 erstmals erwähnt, die moderne Betonbrücke besteht seit 1966.
Ein Paradies für Kolkraben, Felsenschwalben und Mauerläufer. Sehr hoch oben kann man gelegentlich Steinadler und Bartgeier kreisen sehen. Der Wanderweg führt über die alte Brücke und eröffnet einem den Tiefblick:
Weiter westlich tut sich der Blick auf die Waldbrandfläche von 2003 auf:
Im unteren Teil hat sich ein Pionierwald mit Laubgehölzen etabliert, hier fallen besonders die herbstbunten Pappeln und Birken auf. Diese der natürlichen Regenerierung überlassene Brandfläche wird in den nächsten Jahrzehnten noch spannende Einblicke in die Entwicklung in verschiedenen Höhenlagen erlauben. Derzeit ist die Artenvielfalt dort viel grösser als im benachbarten, vom Feuer verschonten Nadelmischwald. Trotz Bedenken wegen der fehlenden Schutzfunktion wurde auf eine Wiederaufforstung verzichtet.
Gleich nebenan steht seit 1974 eine Satellitenbodenstation mit inzwischen etwa 20 Antennen:
Irgendwo müssen die für uns unverzichtbaren Satellitendaten ja ankommen… Die Wahl des Standortes dürfte kein Zufall sein: Nebst der sicheren geopolitischen Lage spielt wahrscheinlich auch das Klima eine Rolle, denn viele Wolken und Niederschläge wirken störend auf den Satellitenempfang.
Das Ende der Wanderung naht: Das Städtchen Leuk von oben mit dem wilden Rotten (Rhone) und dem von Verkehrswegen zerschnittenen und auch sonst arg gebeutelten Pfynwald:
Die zunehmend trocken-heissen Sommer setzen inzwischen selbst dem an sich an dieses Klima angepassten Föhrenwald zu. Dieser Wald ist Namensgeber für den Regionalen Naturpark Pfyn-Finges, in dem die Bilder zu diesem Bericht entstanden sind. Mehr Infos auf der Seite des Naturparks.