Wenn die Wetterlage Mitte September noch mal zu einer Gewittervorschau animiert, ist das aussergewöhnlich – aber wen wundert’s nach dem Sommer 2022? Aufgrund des Sonnenstandes würde man zu dieser Zeit kaum noch starke Gewitter erwarten, da muss schon sehr viel zusammenpassen. Nicht zuletzt muss eine Luftmasse im Spiel sein, die zumindest noch zum Teil tropischer Herkunft ist. Dafür sorgt aktuell der Ex-Hurrikan Danielle, der zusätzlich auch noch Saharaluft angezapft hat – eine delikate Mischung.
Die Grosswetterlage ist einigermassen komplex: Der Norddeutsche Meteorologe sieht darin eine Westlage, die Schweizerin eine Süd- bis Südwestlage – ist eben immer ein „Gnusch“, wenn tropische Systeme meinen, unserer Wetterküche eine spezielle Würze geben zu müssen:
Ein Tiefdrucksystem über Skandinavien zapft Polarluft aus Grönland an und führt diese in einer West- bis Nordwestströmung ins nördliche Mitteleuropa. Gleichzeitig holt der Ex-Hurrikan Danielle mit Zentrum über der Biskaya zusätzlich zu seinen tropischen Restanteilen noch Verstärkung aus Nordwestafrika in Form effizienter Kondensationskeime, bei uns gemeinhin als Saharastaub bekannt. Entsprechend ist der Himmel bereits seit Dienstagmorgen mehr oder weniger verschleiert und am Niederschlagsradar sind auch immer wieder Signale zu erkennen, am Boden sind aber bisher noch nicht mehr als ein paar staubige Tropfen zwecks Verschönerung unserer Stehzeuge angekommen. Bei solch gegensätzlicher Herkunft muss es irgendwo in Mitteleuropa eine scharfe Luftmassengrenze geben, sie verläuft momentan noch quer durch Deutschland und trennt zwei Jahreszeiten voneinander:
Der Herbst nähert sich also auch uns allmählich von Norden her. Bis Donnerstag hält Ex-Danielle noch dagegen, doch der Blick auf die Karte zeigt klar die Kräfteverhältnisse: Spätestens wenn am Wochenende das Blaue Wunder aus der nordwestlichsten Ecke der Karte bei uns eintrifft, ist fertig mit Spätsommergefühlen. Doch dazu mehr am Schluss, zunächst kümmern wir uns darum, was die warme Luftmasse noch zu bieten hat. Da wäre nebst der für die Jahreszeit aussergewöhnlich energiereichen Luftmasse auch noch der Subtropenjet, der durch Ex-Danielle über die Alpen hinweg katapultiert wird:
Wir haben also folgende Zutaten in unserer Küche:
– Eine energiereiche Luftmasse, die auch dem Hochsommer gut anstehen würde
– Kondensationskeime in Form von Saharastaub in höheren Luftschichten
– Ein nur mässiger Hebungsantrieb aus den unteren Schichten, dem inzwischen doch schon etwas tiefen Sonnenstand geschuldet (das hohe Gewölk dämpft zusätzlich)
– Eine föhnige Vorderseite
– Eine gewaltige Geschwindigkeitscherung mit zunehmender Höhe, aber wenig Richtungsscherung
– Eine durchschnittliche Verlagerungsgeschwindigkeit von etwa 70 km/h oder mehr, zu sehen am Wind in rund 3200 m Höhe:
Dadurch ergibt sich, dass Gewitter eher nicht aus der Grundschicht getriggert werden, sondern aus der energiereichen Luftmasse in mittleren Höhen gespiesen werden. Der Föhn bremst zunächst noch, doch das ändert sich, wenn in 1500 m am Nachmittag eine Konvergenz des Föhns mit dem Westwind entsteht: Die Voralpenschiene wird aktiviert, allerdings etwas abgesetzt von den Voralpen im südlichen Mittelland, bzw. in deren Hügelzone (Schwarzenburgerland, Napfgebiet, Tössbergland und logischerweise allem, was dazwischen liegt). Erst am späteren Abend und in der Nacht sind dann auch die inneralpinen Gebiete und die Südseite betroffen. Die Hauptgefahr geht von Sturmböen aus, was aufgrund des starken Höhenwindes zu erwarten ist, der heruntergemischt werden kann. Strichweise kann es auch zu mittelgrossem Hagel kommen als Folge langlebiger Zellen. Starkregen ist dank der hohen Zuggeschwindigkeit nur ein vorübergehendes Phänomen – problematisch wird es nur dann, wenn die Gewitter im Gänsemarsch über immer wieder dieselben Gebiete ziehen:
Die Summenkarte bis Donnerstagmorgen zeigt, dass es strichweise durchaus ordentlich einschenken kann, während es im Jura-Lee nahzu trocken bleiben soll. Man darf gespannt sein, ob diese Prognose auch zutrifft – eine leichte Verschiebung der schleifenden Front kann schnell mal alles über den Haufen werfen, was aufgrund verschiedener Modellvarianten durchaus eintreffen kann.
Am Donnerstagmorgen scheint vorübergehend etwas trockenere Luft unter schwachen Zwischenhocheinfluss zu geraten: Es ist weitgehend trocken und vor allem in den Alpen zeigt sich für einige Stunden die Sonne, während weiter nördlich weiterhin dichte Wolkenfelder durchziehen. Vielleicht reicht es aber auch im Mittelland für ein Sonnenfenster. Jedenfalls bleiben wir in der warmen Luftmasse, denn die Kaltfront erreicht die Nordwestschweiz erst am frühen Abend, und bis sie an den Alpen eintrifft, wird es etwa Mitternacht:
Es kommt also am Nachmittag je nach Sonneneinstrahlung noch mal zu vorderseitigen Schauern und Gewittern, mangels starkem Höhenwind allerdings weniger organisiert, denn der Subtropenjet vertschüsst sich dahin, wo er hingehört. Die Verlagerung ist ziemlich genau West-Ost bei etwa 50 km/h. Hagel ist dabei kaum noch zu erwarten, es ist aber weiterhin mit stürmischen Böen zu rechnen. Diese treten mit der Kaltfront am Abend noch mal verbreiteter auf, dann ist auch flächig noch mal mit kräftigem Regen zu rechnen. Inwieweit die Kaltfront selbst dann noch gewittrig ist, bleibt fraglich. Die Höhenkaltluft hinkt der Bodenkaltluft stark hinterher, sodass die Labilität nur noch mässig ist.
Der Freitag wird ein frühherbstliches Zwischending mit der Jahreszeit angemessenen Temperaturen, dabei ist es immer wieder nass und die Sonne zeigt sich nur selten. Die zweite Kaltfront erreicht uns am Abend:
Die Polarluft wirkt dann genau aufs Wochenende so richtig. Die Schneefallgrenze sinkt verbreitet auf 1500 m. Wenn alles zusammenpasst, also der Niederschlag auch stark genug ist und die Täler auskühlen kann, ist jeweils in den Morgenstunden Schneefall auch bis 1000 m möglich. Allerdings drückt allmählich ein Bodenhoch aus Westen, das die Luft abtrocknet, sodass erste winterliche Grüsse bis in Tallagen wohl eher ein Phänomen der Ostalpen bleiben. Auf der Alpensüdseite kommt stürmischer Nordföhn auf.
Diese Nordlage mit permanenter Zufuhr polarer Luftmassen gegen die Ostalpen hält mindestens bis Mitte der nächsten Woche an, die Hochalpen und wahrscheinlich auch die höheren Mittelgebirgslagen werden also ordentlich eingeschneit. Je nach Modell soll sich ab Donnerstag Hochdruckeinfluss durchsetzen, allerdings immer noch unter nördlicher Höhenströmung:
Das amerikanische Modell sieht den Hochdruckrücken deutlich westlicher, also kann der vollherbstliche bis frühwinterliche Eindruck (zumindest in höheren Lagen) durchaus auch bis zum Wochenende oder darüber hinaus anhalten. In diesem Fall würde der September trotz sehr warmem Start am Ende wohl noch zu kühl bilanzieren – zumindest nach der neuen Klimanorm 1991-2020. Traue also keinem September, bevor er zu Ende ist…
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Microwave am 16. September 2022 um 13:06 Uhr
Danke für die Vorschau, leider zu spät gesehen (Mi. war stressig xD). Genau, habe am Abend noch haufenweise Geflacker gesehen und Starkregen, und gemeint es wäre Sommer. Grüsse – Microwave