Wer es bisher immer noch nicht glauben mochte, dass die Klimaerwärmung Extremereignisse aller Couleur fördert, bekam im August 2022 weitere Lehrbeispiele vorgesetzt. Abgesehen davon, dass in vielen Regionen dieser August der zweitheisseste hinter 2003 und mancherorts sogar der sonnigste seit Messbeginn war, existierten absolute Trockenheit, Waldbrände und Rekordniederschläge mit Überschwemmungen in unmittelbarer Nachbarschaft. In Vorarlberg wurden am 18./19. August die grössten Regenmengen in 24 Stunden seit Messbeginn registriert: 212 mm in Bregenz, 167 mm in Feldkirch. Die durchgehend extrem hohe Nullgradgrenze und fehlende kühle Phasen mit Sommerschneefällen in den Hochalpen sorgten für die grösste Schmelze, seit die Gletscher exakt vermessen werden, und stellt damit sogar das bisherige Extremjahr 2003 in den Schatten.

Toskana-Feeling im Aaretal zwischen Bern und Thun am 11. August 2022. Die Narben der letztjährigen Überschwemmungen sind derweil immer noch gut zu erkennen.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den August, erstellt am 31. Juli, lautete wie folgt:
Der von uns bevorzugte Lauf ist innerhalb der Auswahl der letzten drei Tage eine ziemlich extreme Variante und damit ist auch ein gewisses Risiko verbunden. Diese Rechnung wird allerdings zwei Mal in Folge mit den neuesten Läufen präsentiert und ist sowohl nach dem Erhaltungsneigungsgesetz wie auch in der Kausalkette einer längeren negativen La Niña-Phase zu erwarten. Demnach soll sich eine starke positive Geopotenzial-Anomalie mit Kern westlich von Irland von der Südspitze Grönlands bis nach Mitteleuropa erstrecken. Je eine ausgeprägte negative Anomalie liegt über den Azoren sowie über dem Nordmeer mit einem Ableger über Osteuropa. Bei dieser Konstellation ist bei uns eine Dominanz von Nordwestlagen zu erwarten, zwischenzeitlich sind auch Hochdrucklagen über Mitteleuropa (wahrscheinlich am ehesten in der Form der Hochdruckbrücke) sowie Nord- bis Ostlagen möglich. Kaum Chancen haben West- bis Südlagen – es sei denn, der Tiefdruck über den Azoren rückt zeitweise etwas näher an Westeuropa heran, wirklich stark sind diese Anzeichen allerdings nicht.
Überdurchschnittlich warme Luftmassen lagern logischerweise unter dem starken Hochdruckeinfluss über Westeuropa, während mit der Nordwestströmung eher kühle Luftmassen über Nord- nach Osteuropa geführt werden. In Mitteleuropa liegt die Grenze zwischen warm im Südwesten und kühl im Nordosten, allerdings darf man davon ausgehen, dass durch die überdurchschnittliche Sonneneinstrahlung diese Luftmassen am Boden stark erwärmt werden und somit in Mitteleuropa – ausser vielleicht ganz im Norden – ein Plus gegenüber dem Mittel 1991-2020 resultiert, im südlichen Mitteleuropa durchaus wieder um 2 Grad über der Norm.
Weite Teile Mitteleuropas müssen auch in diesem Monat mit einem markanten Defizit an Niederschlägen rechnen, vor allem nordföhnbedingt auf der Alpensüdseite, inneralpin sowie im Lee östlich der Alpen bis in die Ungarische Tiefebene. Auch in Westeuropa setzt sich die Trockenheit fort: Vor allem von der Biskaya bis zur Nordsee werden fast keine Niederschläge gerechnet, ebenso in Irland und England. Überdurchschnittlich nass wird es demnach nur in Nordeuropa und punktuell durch Gewitter im Mittelmeerraum. Gerade dort ist die Unsicherheit allerdings am grössten, kann es sich dabei doch nur um örtlich und zeitlich eng eingegrenzte Niederschläge handeln, die keineswegs die flächige Trockenheit zu beenden vermögen.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Drucks in ca. 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Was wir hier sehen, ist das Resultat eines massiv nach Norden verschobenen Subtropenhochs. Die Anomalie über dem Nordatlantik war nicht ganz so dauerhaft wie modelliert, stattdessen baute sich über Nordwestrussland ein Blockadehoch auf, das vom 11. bis 27. August durchhielt. Zwischen diesen beiden Hochdruckzentren hielt sich eine meist stabile Brücke über das nördliche Mitteleuropa und Skandinavien hinweg. Der Alpenraum war beeinflusst durch den ebenfalls weit nördlich gelegenen Subtropenjet, unter dem sich regelmässig Mittelmeertiefs bildeten. Im Gegenzug war das modellierte Azorentief nahezu inexistent. Insgesamt muss diese Prognoseleistung deshalb als “durchzogen” bewertet werden.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur ca. 1500 Meter über Boden zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Die Prognose der Luftmassentemperatur ist über dem Atlantik und in der Westhälfte Europas bis inklusive Mittelmeerraum als gut zu bewerten. Völlig in die Binsen ging sie auf der Achse Skandinavien-Osteuropa als Folge des nicht prognostizierten Blockadehochs über Nordwestrussland. Überwiegend südliche Anströmungen statt nordwestliche kehrten die Verhältnisse ins pure Gegenteil um.
Die gemessenen Abweichungen zur Klimanormperiode 1991-2020 der Monatsmitteltemperatur 2 Meter über Boden:
Auch in diesem Monat muss man die Areale mit negativen Temperaturanomalien suchen gehen, zumal sie kaum Land betreffen. Die Abweichungen von +3 bis teils über 5 Grad über der neuen Klimanorm 1991-2020 sind gewaltig für einen Sommermonat und das Resultat einer sich vermehrt nach Norden schiebenden Subtropenzone. Geschieht das alle paar Jahre mal für ein paar Wochen, stellt das kein Problem dar. Wird es allerdings wie in den letzten Jahren zur Normalität, wird es zur enormen Herausforderung für Natur und Landwirtschaft.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Die Auswirkungen des stabilen Blockadehochs werden beim Niederschlag am deutlichsten sichtbar: In weiten Teilen Nordosteuropas ist im gesamten Monat kaum ein Tropfen Regen gefallen. Die kräftigen Gewittercluster aus dem völlig überhitzten Mittelmeer zogen mehrmals über die Alpen hinweg nach Nordosten, wo sie am Hochdruck-Bollwerk zerschellten. Dabei brachten sie rekordverdächtige Regenmengen in kurzer Zeit, was keineswegs zum Ende der herrschenden Trockenheit führte: Sintflutartiger Gewitterregen für nur wenige Stunden können die ausgetrockneten Böden gar nicht aufnehmen, es fliesst alles oberflächlich ab und führt zu hochgehenden Bächen und Flüssen. So hatten wir die absurde Situation, dass vielerorts die Vegetation unter enormem Trockenstress litt, während am gleichen Ort gleichzeitig Überschwemmungen Schäden verursachten. So sind denn auch die lokalen Abweichungen enorm: Mancherorts gab es mehr als die doppelte Niederschlagsmenge eines durchschnittlichen August, wobei das Meiste davon innerhalb weniger Stunden fiel. Auf der anderen Seite setzte sich die extreme Trockenheit aus dem Juli vor allem in Westdeutschland, in der Südschweiz und in Südostösterreich nahtlos fort: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Das mit der erwarteten Fortsetzung der Nordwest-Dominanz aus dem Juli wurde nix, nach dem 1. August war aus die Maus:
Der Monat war klar geprägt von der sich immer wieder erholenden Hochdruckbrücke Mitteleuropa, die allerdings eine etwas nördlichere als die klassische Position einnahm, sodass der Alpenraum meist in einer östlichen Anströmung lag. Die Unterbrechungen der Hochdruckbrücke waren mehrheitlich meridional geprägt mit Trog Westeuropa, Ost- und zuletzt sogar Nordlage und nach langer Zeit wieder mal einer kurzen Südwestlage – insgesamt also ein bunter Strauss, bei dem einzig Westlagen und das Tief Mitteleuropa mit Abwesenheit glänzten. Apropos Abwesenheit: Die hohe Temperaturabweichung dieses August war weniger auf extreme Maximalwerte als vielmehr auf das völlige Fehlen kühler Wetterlagen und stattdessen konstant gemässigte Hitze zurückzuführen.
Die Langfristprognose für den September findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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