Mittlerweile drängt sich die Frage geradezu auf: Welcher Rekord wurde in diesem Monat gebrochen? Auch der November will in diesem Rennen mitmischen und wartet mit neuen Niederschlagsrekorden auf: Auf dem Säntis mit einer Messreihe seit 1882 war bisher kein November (und auch kein anderer Monat) so nass wie der diesjährige mit 773 mm – mancherorts in Mitteleuropa fällt diese Menge in einem ganzen Jahr. Auch in Warth (Vorarlberg), Reutte (Tirol) und St. Wolfgang (Oberösterreich) wurden Rekorde für den nassesten November seit Messbeginn gebrochen. Verbreitet wurde am Alpennordrand und im Südschwarzwald die doppelte bis dreieinhalbfache Regenmenge eines durchschnittlichen Novembers gemessen, verteilt auf 26 bis 30 (!) Niederschlagstage.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den November, erstellt am 01.11.2023, lautete wie folgt:
Aufgrund der Mittelfristkarten, die im ersten Monatsdrittel eine blockierte Situation mit einem Osteuropa- bzw. Russlandhoch rechnen, das von der warmen Vorderseite sich permanent regenierenden Tiefdrucks über Westeuropa und dem Nordatlantik gefüttert wird, ist schon mal ein stabiles Fundament gelegt. Zudem zeigt EZ extended neuerdings für die zweite Monatshälfte einen Trend zu positiver nordatlantischer Oszillation (NAO+). Folglich kann nur eine deutliche Tiefdruckanomalie über dem östlichen Nordatlantik und West- bis Mitteleuropa resultieren, wobei das Zentrum über den Monat gemittelt über den Britischen Inseln liegen soll. Gegenspieler sind Hochdruckanomalien über Grönland, westlich der Azoren sowie (nur noch schwach) über Westrussland. Mehr als Süd-, Südwest- und Westlagen sind bei dieser Konstellation nicht zu erwarten oder können höchstens kurzfristig eine Rolle spielen, doch wie bereits erwähnt sind Überraschungen in der zweiten Monatshälfte immer möglich.
Daraus folgt bei häufig südlicher Anströmung eine extreme positive Temperaturanomalie über dem gesamten Osten des Kontinents – es würde nicht erstaunen, wenn wie so oft in den letzten Jahren die gerechnete Abweichung von +3 bis 5 Grad zum Mittel 1991-2020 noch zu tief gegriffen ist. Nach Westen zeigt sich ein deutliches Gefälle, durchschnittliche Werte erscheinen erst über dem Atlantik, leicht unterdurchschnittliche aufgrund permanenter Zufuhr atlantischer Luftmassen im Süden der Iberischen Halbinsel.
Die Verteilung der Niederschläge ist ganz einfach: Alles, was west- bis südexponiert ist, wird überdurchschnittlich bis extrem bewässert, insbesondere Portugal und Galizien, Westfrankreich, aber auch die Westalpen und der Alpensüdhang. Aufgrund der gemittelten Lage der Tiefs herrschen über Nordeuropa meist östliche Anströmungen, die norwegische Küste befindet sich also häufig im Lee und bleibt daher meist trocken, derselbe Effekt ist auf Island zu sehen. Andersrum befinden sich die trockenen Gebiete im Süden Europas jeweils an den Ostseiten der Gebirge. Eine gewisse Unsicherheit weist die Alpennordseite auf: Die gezeigte Karte scheint einen Überhang an Süd- und Südwestlagen und somit Föhneffekten zu beeinhalten – sollten die Westlagen aber nur geringfügig häufiger sein, wird sich das rausmitteln.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Luftdrucks gegenüber dem langjährigen Mittel:Die Prognose mit dem Wechsel in eine positive nordatlantische Oszillation (starkes Islandtief, starkes Azorenhoch = NAO+) von den führenden Langfristmodellen ging mal ordentlich daneben, stattdessen verstärkte sich die Hochdruckanomalie zwischen Grönland und der Barentssee noch weiter. Entsprechend verlief die Zugbahn der atlantischen Tiefs südlicher als normal, häufig war sogar ein Azorentief mit im Spiel. Die Überraschung zum Monatsende wurde im Prognosetext zum Glück angedeutet – die so überraschend angesichts des Verlaufs in den letzten Jahren gar nicht mehr ist: Sollten wir in Zukunft fix auf die Ausbildung einer markanten Tiefdruckanomalie Ende November zwischen Skandinavien und dem Schwarzen Meer mit entsprechender Nordlage und Wintereinbruch in Mitteleuropa wetten? Manche Singularitäten verschwinden nach ein paar Jahren so schnell, wie sie gekommen sind.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur 2 Meter über Boden zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Würde ich den verantwortlichen Adressaten für den seit Monaten die Karte verhunzenden Datenbug in Ostfrankreich kennen, ich würde ihm den Schmutzli (Krampus, Knecht Ruprecht) mitsamt Rute hinschicken. Eine stimmigere Karte findet man hier. Leicht negative Abweichungen gab es in Mitteleuropa also nur im Hochgebirge, sonst wurden +0.5 bis 1.5 Grad zur Klimanorm 1991-2020 erreicht. Diese Abweichung ist hauptsächlich auf die lange Zeit fehlenden Nachtfröste zurückzuführen. Im Allgemeinen war die Prognose extrem schlecht, so wurden die Abweichungen in Grönland und Skandinavien geradezu vertauscht und die Wärme in Osteuropa fand noch deutlich weiter östlich statt.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Weitaus gelungener war die Prognose bei der Niederschlagsverteilung, sieht man mal vom überschätzten Föhneffekt am Alpennordrand ab. Auch in Südosteuropa lag dieser Modelllauf daneben: Die hohe Abweichung von der Ägäis über das Schwarze Meer bis in die Ukraine hat allerdings ein einziges Sturmtief am letzten November-Wochenende zu verantworten, also dasselbe das auch für die unerwartet starke Druckanomalie und tiefere Temperaturen in Osteuropa besorgt war. Bezüglich der kleinräumigen Verteilung der Niederschlagsabweichung verweise ich wie üblich auf die detaillierten Karten der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Wie schon im Vormonat war der GWT West dominant (Norm für November 2001-2020 = 16.5 %), die zweite Hälfte wurde auf alle möglichen GWT aufgesplittet:
Gerade mal drei Tage können in die Kategorie “trocken” eingeordnet werden. Deutlich unter der für die Jahrezeit üblichen Temperatur war wiederum kein einziger Tag, der letzte solche wurde Ende August verzeichnet. Diese Serie endete nun allerdings am 2. Dezember. Der meteorologische Herbst war somit völlig frei von Kälte. In den Niederungen der Nordschweiz und weiten Teilen Süddeutschlands war der meteorologische Herbst der wärmste seit Aufzeichnungsbeginn, rund ein bis zwei Zehntelgrad über dem bisherigen Rekord von 2006.
Die Langfristprognose für den Dezember findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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Spendenbarometer letzte 12 Monate (fotometeo und orniwetter zusammen, Erklärung siehe hier):
kurt nadler am 6. Januar 2024 um 11:03 Uhr
Ad ” Sollten wir in Zukunft fix auf die Ausbildung einer markanten Tiefdruckanomalie Ende November zwischen Skandinavien und dem Schwarzen Meer mit entsprechender Nordlage und Wintereinbruch in Mitteleuropa wetten?”:
Für den Ostrand Österreichs ist seit geraumen Jahren praktisch immer der Zeitraum 21-23.11. die Wende Herbst-Winter. Bis dahin ist es oft frostfrei, wenigstens in geschützten Lagen. Vereinzelte kurze Oktober-Wintereinbrüche schließt diese “Regel” nicht aus.
kurt nadler am 6. Januar 2024 um 11:19 Uhr
Und ad: “Der meteorologische Herbst war somit völlig frei von Kälte.”:
Naja: Im pannonischen Tiefland am 25.11. Schneelage, vom 26. zum 27. Schneefall(auch wenn dazwischen >0 Grad und zeitweilig Regen) und zum 29.11. hin erster allgemeiner Frost, in der Folgenacht wieder, am 30. noch tagsüber Eis auf Wiener Stillgewässern: Also uns im Osten Österreichs hat schon der – übliche – “Herbstwinter” gestreift , als Einleitung zum Strengwinter Anfang Dezember.
Fabienne Muriset am 7. Januar 2024 um 02:19 Uhr
Es hat schon seine Gründe, weshalb der pannonische Raum nicht zu meinem Auswertungsgebiet gehört. Auszug aus https://www.orniwetter.info/wetterlagenkalender/ “Massgeblich ist das Gebiet zwischen der Mainlinie und dem Alpenhauptkamm. Für ein so grosses Gebiet muss oft ein Mittelwert gefunden werden, regionale Abweichungen sind daher möglich.” Ich berücksichtige den Naturraum im Osten bis maximal St. Pölten, alles weiter östlich weist ein anderes, wesentlich kontinentaleres Klima auf. Das lässt sich mit dem nördlichen Alpenvorland schlicht nicht unter einen Hut bringen.