Seit Jahren schon wartete man in Österreich in jedem Hitzesommer darauf: Wann wird die magische 40-Grad-Marke geknackt? Am 8. August 2013 war es endlich so weit: Meteorologen und Journalisten waren den ganzen Nachmittag völlig aus dem Häuschen, Tourismusverantwortliche einiger Destinationen rieben sich angesichts der medialen Präsenz die Hände und der normale Mensch fragt sich, warum wegen einer Zahl ein solches Geschrei gemacht wird. Dabei ist die Sache relativ banal: Wenn man will, kann man fast überall 40 Grad messen – fragt sich nur wie…
Um die Temperaturmessung international vergleichbar zu machen, hat die Wold Meteorological Organisation (WMO) einige Regeln aufgestellt: Nebst zahlreichen technischen Anforderungen muss der Sensor beschattet zwei Meter über dem Boden stehen, es darf sich kein Hitzestau bilden (weisse Wetterhütte, belüftet), es muss ein angemessener Abstand zu vertikalen Hindernissen (z.B. Gebäuden) eingehalten werden, der Untergrund muss aus kurz gehaltener (max. 25 cm), für die Region typischer Vegetation bestehen. Je nach Umgebung (Bebauung, asphaltierte Flächen, Anteil Vegetation, Hangneigung etc.) werden die Messstationen in verschiedene Güteklassen (1 bis 5) eingeteilt. Die Kriterien für diese Einteilung können hier ab Seite I.1-20 nachgelesen werden.
Um es kurz zu machen: Keine der drei österreichischen Wetterstationen, welche offiziell (= von der ZAMG anerkannt) die 40 Grad erreicht oder überschritten haben, entspricht einer der drei höchsten Güteklassen.
Alle diese Stationen weisen einen erheblichen Anteil aufgeheizter Flächen im unmittelbaren Umkreis auf, bei Bad Deutsch Altenburg und Neusiedl am See kommt eine nach Süden ausgerichtete Hangneigung hinzu, Güssing und Neusiedl am See sind zudem von einer nach Süden ausgerichteten Hauswand verstrahlt.
Auch der neue “Allzeitrekord” von Wien von 39.5 °C, gemessen an der Station “Innere Stadt” darf hinterfragt werden. Bisher galt als Wiener Rekord die Messung in Mariabrunn von 38.9 Grad aus dem Jahr 1957. Zu dieser Zeit existierte die Station “Innere Stadt”, welche erst 1984 in Betrieb genommen wurde, noch nicht. Diese steht auf einem gekiesten Flachdach in der Häuserschlucht an der Operngasse, Bilder dazu finden sich in diesem PDF-Dokument der ZAMG. Diese Station weist nach WMO-Kriterien die Güteklasse 5 auf. Trotzdem wird der Wert dieser Station nun offiziell als Wiener Rekord verkauft. Man vergleiche mit der Station Mariabrunn, von der ausgegangen werden darf, dass sich die Umgebung seit 1957 ebenfalls zuungunsten der Güteklasse verändert haben dürfte:
Die Frage darf gestellt werden, welche Temperatur wohl auf dem Flachdach der Innenstadt im Jahr 1957 gemessen worden wäre…
Eines ist klar: Die Messbedingungen an einem Standort verändern sich über die Jahre hinweg ständig, nur schon alleine durch die zunehmende Verbauung. Diese künstliche Beeinflussung der Messwerte in den langjährigen Statistiken auszugleichen, ist eine enorme Herausforderung für die Klimatologen. Aussagekräftig für die Klimaveränderung sind nur noch jene Stationen, welche seit Jahrzehnten bis heute in nahezu unbeeinflusstem Gebiet stehen. Für den durchschnittlichen Mitteleuropäer, der zu einem grossen Anteil in Städten lebt, sind Temperaturmessungen im besiedelten Gebiet aussagekräftiger. Die 40 Grad in Ostösterreich sind unter diesem Aspekt betrachtet realistisch, dürften allerdings bereits in vergangenen Jahren an zahlreichen Orten erreicht worden sein – nur hat dort niemand nach WMO-Norm gemessen. Die mediale Ausschlachtung dieses Ereignisses vom vergangenen Donnerstag kommt aber zu einer Zeit, wo Klicks auf Wetterseiten und Medienportalen und den zugehörigen Social-Media-Seiten bares Geld bedeuten. Wem will man es also verübeln, von diesem Kuchen seine Portion ergattern zu wollen?
Trotzdem sollten kritische Betrachtungen nicht zu kurz kommen, doch diese bringen nicht so viele Klicks und sind deshalb nur in speziellen Foren und Blogs (wie diesem hier) zu finden. Was also ist so ominös an der Rekordjagd der letzten Tage? Das Problem liegt an der Vergleichbarkeit auf der Zeitskala (wie oben am Beispiel Wien beschrieben) einerseits, sowie der räumlichen, sprich internationalen Vergleichbarkeit andererseits. Und hier kommt die unterschiedliche Auswahl der Messstandorte ins Spiel. Vergleichen wir mal den diesjährigen Hitzerekord aus der Schweiz (Basel, 37.3 °C gemessen am 27. Juli), mit jenem aus Österreich, 40.5 °C am 8. August. Ein Blick in die Wetterkarten zeigt, dass die atmosphärischen Bedingungen nahezu identisch waren:
An beiden Tagen wurden über den fraglichen Stationen (Basel und Bad Deutsch Altenburg) 25 Grad im 850-hPa-Niveau gemessen. Dieses Niveau in ungefähr 1500 m Höhe wird in der Meteorologie als nahezu vom Boden (über dem Flachland) unbeeinflusste Luftschicht angenommen. An Sommertagen mit voller Sonneneinstrahlung und guter Durchmischung (in beiden Fällen gegeben), kann man die Temperatur aus dieser Höhe trockenadiabatisch mit 1 Grad pro 100 Meter zum Boden runter rechnen. In den Karten ersichtlich ist anhand der schwarzen Linien, dass sich das 850er-Niveau in Basel in 1490 m, in Ostösterreich in 1550 m Höhe befand. Zu erklären ist diese Differenz darin, dass sich im Fall von Basel bereits ein Tief aus Westen näherte, während sich im Fall von Österreich das Hoch genau darüber befand. Wir rechnen also die Höhendifferenz zwischen 850er-Niveau auf Stationsniveau: Basel 1490 – 316 m = 1174 m, das ergibt trockenadiabatisch eine Lufttemperatur auf Stationshöhe von 36.7 Grad. Bad Deutsch Altenburg 1550 – 169 m = 1381 m, also trockenadiabatisch auf Stationshöhe 38.8 Grad. Fazit: An der Station Basel-Binningen wurde eine Überadiabate von 0.6 Grad erreicht, in Bad Deutsch Altenburg hingegen 1.7 Grad. Überadiabatische Erwärmung von bis zu 2 Grad ist im Hochsommer zwar auch ohne Föhneinfluss möglich, hängt aber sehr stark vom Untergrund ab (Bodenbeschaffenheit, Feuchtesättigung des Bodens, Vegetation). Trockene Luft erwärmt sich stärker als feuchte, und über feuchten Böden wird mehr Sonnenenergie in die Verdunstung umgewandelt, die dann für die Erwärmung der bodennahen Luftschicht fehlt. Beide Stationen verzeichneten zuvor sehr trockene Wochen, Bodenfeuchte war also nur noch in sehr geringem Mass vorhanden – die Bedingungen sind auch hier an beiden Stationen vergleichbar. Bleibt somit als wichtigster Faktor für die Differenz nur noch die Beschaffenheit der Umgebung übrig. Man vergleiche folgendes Bild mit jenem von Bad Deutsch Altenburg weiter oben:
Ganz so frisch dürfte das Grün in Basel Ende Juli auch nicht mehr gewesen sein wie noch im nassen Mai, dennoch dürfte niemand an den unterschiedlichen Messbedingungen zweifeln.
Bei der Durchsicht der zahlreichen Wetterstationsbilder aus Österreich und der Schweiz fällt auf, dass nicht nur Rekordstationen unterschiedlich aufgestellt sind, sondern dass sich offenbar die Auswahl der Standorte für die Messungen grundlegend unterscheiden. Die Vergleichbarkeit der Klimawerte zwischen gleich hoch gelegenen Stationen der Schweiz und Österreichs darf somit (zumindest was die Werte in den Sommermonaten betrifft) in Frage gestellt werden. Bilden verstrahlte Stationen in der Schweiz einzelne Ausnahmen, sind diese in Österreich in der Überzahl. Worin die unterschiedliche Auswahl der Standorte begründet ist, darüber kann aus der Sicht der Blogautorin nur gemutmasst werden. Auffällig ist die hohe Anzahl Stationen von MeteoSchweiz mitten im Agrarland, zu denen meist nur ein unbefestigter Weg führt. Diese “Luxusstandorte” (WMO-Klasse 1 und 2) mitten in Äckern und Wiesen dürfte sich der Bund einiges kosten lassen, um die Landwirte angemessen zu entschädigen. In Österreich stehen die meisten Stationen hingegen auf öffentlichen Grundstücken wie Sportanlagen, Schulhäusern, Müllplätzen, Abwasserreinigungsanlagen, Feuerwehrdepots, Forschungsinstituten und ähnlichem. Natürlich gibt es dies- und jenseits der Grenzen Ausnahmen, doch sollten einzig die Finanzen über die Güteklasse der WMO-Stationen entscheiden, wäre dies bedenklich…
Kurt Nadler am 8. Februar 2018 um 00:42 Uhr
liebe fabienne
einer meiner wohnsitze ist (seit 1998) prellenkirchen, nachbarortschaft von dt. altenburg. auch hier war der 8.8.13 der wärmste tag jemals mit 40,4 grad (ungeeichtes, aber sehr langjährig erprobtes, brauchbares thermometer in 1,6 m höhe an einer ost-hauswand unter niedrig 1 m vorspringendem dach). erst 2017 sind wir dem wert am 3.8. mit 39,0 grad wieder einigermaßen nahegekommen. theoretisch ists sicherlich relevant, ob grad eine dürreperiode herrscht und der hofrasen ausgetrocknet ist oder grad benachbarte beete gegossen worden sind. im regelfall ist bei uns bei solche hitze eine hitzewelle im gang und damit auch dürres wetter mit wenig verdunstungsleistung der kümmerlichen vegetation. viel relevanter ist die “praxis”: hitze ist bei uns STETS mit südsüdöstlichen winden verbunden. d.h. das bei böen umströmte thermometer zeigt nach diesen die höchsten werte. d.h. die etwas kühler bleibende hofluft wird aus der umgebung aufgewärmt. wiederholt konnte ich bei derartigen wetterlagen im hintaus außerhalb des dicht verbauten bereichs höhere temperaturen als im hof verzeichnen.
der langen rede kurzer sinn: im pannon handelt es sich vorwiegend um FLÄCHIGE hitze, dörfer stechen als hitzepeakbereiche meiner ansicht nach nicht besonders hervor. ein analoges bild zeichnet die wiener innenstadt, die zwar des nächtens wochenlang urheiß bleiben kann, jedoch tags keine vergleichbaren spitzenwerte wie am land draußen erreicht!
freilich sind die lokalklimatischen phänomene von neusiedl und altenburg interessant: sie spiegeln die mikro- oder mesoklimatischen besonderheiten dieser orte wider:
neusiedl liegt fast gesamtheitlich ganzjährig leicht hohlspiegelig deutlich unter dem niveau der (klimatisch relativ gesehen “rauhen”) parndorfer platte in südlicher hanglage. es kann ganzjährig gute spitzen infolge einstrahlung erreichen, im frühling dämpft oft der noch kühle neusiedler see (vgl. odessa am schwarzmeer im frühling). seit wenigen jahren gibts in neusiedl übrigens eine neue wetterstation – mit deutlich kühlerem lokalklima, auch in einem messbaren nächtlichen kaltluftabflussbereich. keine ahnung jedoch, wo die beiden stationen liegen. ähnliches scheint vielleicht auch für eisenstadt zu gelten, in meiner jugend immer wienartig warm, seit vielen jahren jedoch eher mit an den spitzen gedämpftem bergortcharakter, der mit wien kaum mithält (aber mit effektivem kaltluftabfluss und dementsprechend wenigen nachtfrösten).
altenburg (auch ohne kenntnis der speziellen station) hat während einer relativ kurzen periode im hochsommer gegenüber neusiedl einen kleinklimatischen vorteil. es hat im sommer den großen steinbruch an den karpatenausläufern im nordöstlichen rücken. dieser sw-parabolspiegel fängt dann mehr wärme ein als der südspiegel von neusiedl. altenburg kann sich auch durch die fehlenden morgendlichen inversionen rasch erwärmen; vielfach führen nächtliche ono-winde auch zu föhn- bzw. leeeffekten, sodass nächtliche abkühlung gering ausfällt.
wie weit allerdings tag-warmwindeinflüsse und peripher umrahmende warmhänge an diesen zwei messstationen tatsächlich an solchen hitzetagen interagieren, bleibt mir im detail verborgen. eigentlich wäre anzunehmen, dass hier bei – nicht realistischen – windarmen hitzetagen noch höhere lokaltemperaturen generiert werden müssten.
die thematik ist also sehr vielschichtig.
das pannonische klima an sich sollte (thermisch) nicht unterschätzt werden. es kann sehr gut mit den osteuropäischen bis zentralasiatischen steppenklimaten mithalten, was die sommertemperaturen anbelangt, es herrscht bei uns aber nicht jedes jahr gleich viel “steppe”.
herzliche grüße
kurt
Fabienne Muriset am 8. Februar 2018 um 12:11 Uhr
Danke Kurt für die interessanten Ausführungen. Die Hitzeanfälligkeit der Region wird ja in keinster Weise angezweifelt (ich kenne sie aus meiner Zeit in Wien aus eigener Erfahrung). Zweifelhaft ist die Aufstellung der Stationen, welche nach WMO-Norm eine minderwertige Qualität aufweisen. Die im Artikel aufgeführten Links (zugegeben für Laien etwas schwere Kost) lassen da wenig Diskussionsspielraum. Hangneigungen und Nähe zu sich aufheizenden Flächen und Gebäuden können eben die notwendigen Zehntelgrade zu viel ergeben, welche dann als Rekorde verkauft werden. Falls du dir die Stationsstandorte genauer anschauen möchtest: In unserem Wetterstations-Atlas auf https://www.fotometeo.ch/wetterstationen/ ist das gesamte Messnetz der ZAMG erfasst. Die Luftbilder geben je nach Qualität Aufschluss über Einflüsse aus der Umgebung, von vielen Stationen sind auch Bilder – wenn auch schon älteren Datums – vorhanden. Für Bilder und weitere Informationen über die Stationen einfach auf die Symbole klicken. An der Erfassung der Messnetze in den östlichen Nachbarländern wird noch gewerkelt.
Liebe Grüsse
Fabienne