Einst erlangten sie internationale Berühmtheit: Die Wettertannen (frz. “Gogants”) im Waadtländer Jura bei St.-Cergue. Sie gehören zu den mächtigsten, heute noch lebenden Tannen Europas. Ihre trotz Sturm- und Gewittergefahr hohe Lebensdauer verdanken sie einer Überlebensstrategie, auf die sich die Tannen in dieser Region spezialisiert haben. Baumforscher vermuten einen Zusammenhang der speziellen Wuchsform mit der hohen Blitzschlagdichte in dieser Gegend.

Typische Wuchsform blitzschlaggefährdeter Tannen: Alp La Violette (1050 m), Gde. Arzier, Kanton Waadt, Schweiz
Die Weisstanne (Abies alba) besitzt im Gegensatz zur Fichte (auch Rottanne genannt) tief reichende Wurzeln. Damit ist sie besonders sturmfest und kann selbst in ausgesetzten Lagen als Einzelbaum stattliche Ausmasse und ein hohes Alter erreichen.

Rechter Baum: ca. 300 Jahre, Stammumfang 6.70 m, Kronenhöhe 26 m. Gde. St.-Cergue (1120 m), Kanton Waadt
Als Tiefwurzler steht die Tanne allerdings häufig im Grundwasser, womit sie besonders als einzelstehender Baum anfällig für Blitzschlag wird. Auf den gewitterreichen Jurahöhen in der Westschweiz stehen daher zahlreiche Tannen, denen der Kampf mit den Elementen deutlich anzusehen ist. Kaum eine Wettertanne hat nicht einen Teil ihrer Krone verloren. Trotzdem leben diese Bäume wie durch ein Wunder weiter und erreichen nicht selten ein Alter von mehreren hundert Jahren. Zu verdanken haben sie dies einer besonderen Überlebensstrategie: Sie bilden bereits in jungen Jahren sogenannte Kandelaberäste aus. Diese Seitentriebe erreichen oft die Mächtigkeit einer normalen Tanne.

Kandelabertanne, ca. 250 Jahre, Stammumfang 5.50 m, 22 x 18.5 m Kronenbreite. Alp Les Orgères (1040 m), Gde. Arzier, Kanton Waadt
Zwar existieren solche Kandelabertannen auch in anderen Regionen Europas, doch die Häufigkeit und die Perfektion solcher Wuchsformen im Waadtländer Jura ist auffällig. Interessant ist auch, dass sich all diese Wettertannen in einer Höhenlage zwischen 1000 und 1200 m befinden. Noch streiten sich die Fachleute über den Grund des kandelaberförmigen Kronenwuchses. Erklärungen reichen vom Abfrieren des Haupttriebes über Trockenheit und Wipfeldürre bis zu Wildverbiss und Beschädigung durch Vögel, die sich gerne auf die höchste Spitze der Tannen setzen. Derartige Schäden sind allerdings auch in anderen Regionen zu erwarten, womit sich die Häufung dieser speziellen Wuchsform genau im Waadtländer Jura nicht erklären lässt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass solitäre Tannen mit ihren tief reichenden Wurzeln, die häufig im Grundwasser stehen, häufig vom Blitz getroffen werden. Eine freistehende Tanne mit mehreren Seitentrieben ist einer einwipfligen Tanne überlegen. Wird der Haupttrieb einer Kandelabertanne vom Blitz zerstört, besitzt der Baum immer noch genügend Triebe, um zu überleben. Bis alle Wipfel vom Blitz getroffen sind, können sich oft bereits wieder neue Kandelaber bilden. Gut möglich also, dass diese Wuchsform eine genetische Varietät darstellt, die sich in der gewitterreichsten Region der schweizerischen Alpennordseite behaupten konnte.

Häufigkeit der Nah- und Ferngewitter, Mittel 1931-80 (Quelle: Atlas der Schweiz). Der Pfeil weist auf die Region mit den Kandelabertannen
Die betroffene Region weist eine jährliche Blitzdichte (Einschläge) von 4 bis 6 Blitzen pro Quadratkilometer auf und steht somit abgesehen von den exponiertesten Gipfeln nördlich der Alpen an der Spitze.
Die bekanntesten Wettertannen standen auf der Alp La Borsatte oberhalb von St.-Cergue. Sie waren so berühmt, dass man im 19. Jahrhundert den Weg von St.-Cergue her ausschilderte. Von den dreien steht heute nur noch die jüngste von ihnen (daher “Le Benjamin” genannt, zweiter Baum von rechts im folgenden Bild). Von der schönsten Kandelabertanne, die einen Stammumfang von 6.45 m aufwies und sich in 2 m Höhe in zehn Starkäste aufteilte, ist heute leider nur noch ein kümmerlicher Rest des Strunks (im Bildvordergrund) erhalten:

“Le Benjamin”: ca. 300 Jahre, Stammumfang 6.95 m, Kronenhöhe 27 m. Alp La Borsatte (1160 m), Gde. Arzier, Kanton Waadt
Was übrig bleibt, wenn dann doch mal ein Blitz mit gewaltiger Stromstärke in eine mächtige Wettertanne einschlägt, sieht man am Überrest der dritten berühmten Tanne auf der Alp La Borsatte. Sie wies 1925 einen Stammumfang von 7.15 m und ein Holzvolumen von 54 m³ auf:
Kurt Nadler am 8. Februar 2018 um 17:31 Uhr
liebe fabienne
entschuldige, dass ich mich auch hierzu äußere:
die solitärtannen sind für mich ein sehr interessantes phänomen.
in österreich gilt ja die weißtanne zurecht als schattbaumart. frei stehende exemplare sind mir nicht bekannt, ihre mögliche lokale existenz möchte ich aber nicht in abrede stellen.
die fichte ist ja auch ökologisch nicht viel anders. sie kommt vielfach freistehend vor und macht auch ähnliche kandelaber, wenn wipfel brechen, in ansätzen aber auch ohne solche verletzungen. in letzterem fall kann sie die assimilationsfläche offenbar effektiv erweitern. sie ist aber ungleich gefährdeter als die tanne, wenn brüche oder blitzschläge auftreten. denn sie greift dann fast unweigerlich der borkenkäfer, der buchdrucker, an. meist sind fichten nach gravierender verletzung zum tode verurteilt. da reagiert die tanne wie lärche und die laubhölzer wesentlich toleranter, es gibt da keinen entsprechenden hungrigen käfer. ganz offensichtlich sind aber wiederum solitärfichten wesentlich widerstandsfähiger als solche im waldverband, entweder aus physiologischen gründen oder wegen geringeren “schädlings”-drucks, zumal ja die buchdrucker keine wander- und flugmeister sind, oder auch aus beiden gründen.
einige der fotoexemplare schaun aus wie fichten, insbesondere nr. 1 auf der alp la violette.
gibts auf den besuchten bergweiden auch mischbestände solitärer tannen und fichten?
weisen die umgebenden wälder auch die solitärbaumart jeweils dominant auf?
mit besten grüßen
kurt