Sie war auch schon schwieriger, die Winterprognose. Siehe letztes Jahr, wo die Schlussfolgerungen aus völlig widersprüchlichen Ausgangssignalen nach einem ohnehin total aus den Fugen geratenen 2018 aber sowas von in die Hose gingen. Aktuell scheint wieder so etwas wie Normalität in die nordhemisphärische Zirkulation Einkehr gefunden zu haben, wenn auch die Betonmischer in Osteuropa mal wieder sehr aktiv waren in diesem Herbst: Die Zirkulation ist immer noch derart blockiert, dass aus den nicht enden wollenden Südlagen auf Sichtweite kein Ausweg zu bestehen scheint. Doch wie wir wissen, stellt im Dezember die Zirkulation in der Regel von meridional auf zonal um, es ist also nur eine Frage der Zeit, bis atlantische Luftmassen den Weg nach Europa finden werden.
Die einleitende Karte zeigt deutliche Signale für einen Mildwinter in Europa. Gewählt wurde die Prognose anhand einer Auswahl aus sechs veschiedenen Langfristmodellen, von denen vier recht ähnliche Muster zeigen und nur eines aus der Reihe tanzt, indem es für fast ganz Europa durchschnittliche Temperaturen zeigt. Wer sich die Prognose der einzelnen Modelle anschauen möchte, kann dies hier tun. Klammert man also das Ausreissermodell aus, welches das Ensemble-Mittel nach unten zieht, kommt ungefähr die oben gezeigte Variante heraus. Interessant ist, dass im Gegensatz zum Vorjahr die Übereinstimmung innerhalb des CFS-Langfristmodells deutlich vertrauenswürdiger erscheint, die Unsicherheit ist also über die gesamten drei Wintermonate hinweg eher gering. Doch welche Ursachen liegen einer solchen relativen Sicherheit zugrunde? Fangen wir am besten mit der Verteilung der Wassertemperatur-Anomalien an:
Die für Europa wichtigste Frage ist jene nach der nordatlantischen Oszillation NAO, sie ist in der Regel für den Gesamtcharakter eines Winters massgebend. Das vom Modell gezeigte Wassertemperaturmuster entspricht voll und ganz jenem eines lehrbuchmässigen Winters mit deutlich positiver NAO. Vom Atlantik her ist also viel Druck zu erwarten, die Westströmung dürfte demzufolge über weite Strecken die Witterung in Europa bestimmen. Die Kälteanomalie im zentralen Nordatlantik sorgt jedoch dafür, dass sich dort gerne Tröge bilden, sodass die Westströmung nicht glatt nach Europa verläuft, sondern eher aus südwestlicher Richtung kommt. Subtropische Luftmassen werden daher häufiger Europa erreichen als polare. Dies erklärt die Einigkeit der positiven Temperaturabweichung in den Langfristmodellen. Ein zweiter Punkt ist der aktuell sehr starke Temperaturkontrast im europäischen Nordmeer. Das Wasser nördlich von Skandinavien ist nach einem relativ kalten Sommer und einem rekordkalten Oktober aufgrund lokaler Druckanomalien deutlich kälter als in den Vorjahren. Dort, wo der Golfstrom auf dieses kalte Wasser trifft, entstehen Temperaturgegensätze, welche die Bildung von Tiefdruckgebieten begünstigen. Da sich Wassertemperaturanomalien nur sehr träge verändern, zeigt das Langfristmodell diese für den ganzen Winter – noch mehr: Sie scheinen sich im Verlauf des Winters sogar noch zu verschärfen. Häufige Tiefdruckbildung vor Skandinavien bedeutet aber auch, dass es recht unwahrscheinlich ist, dass sich in dieser Gegend beständige Hochdruckgebiete bilden können. Und solche wären dafür verantwortlich, dass Ostlagen entstehen können, die das Kaltluftreservoir Nordrusslands in Richtung Europa steuern. Fazit: Ostlagen dürften in diesem Winter selten auftreten, ein weiteres Indiz für einen milden und auch eher feuchten Winter. Entsprechend wird auch die stärkste Temperaturabweichung für den Norden Europas gerechnet.
Womit wir beim nächsten Punkt wären, der das bisher Gezeigte untermauert, nämlich der prognostizierten Niederschlagsabweichung:
Hier wird die oben angedeutete Südwest-Dominanz noch deutlicher, sie verläuft nämlich entlang der Grenze von zu nassem (tiefdruckbestimmtem) Norden zu trockenem (hochdruckbestimmtem) Süden genau über den Alpenraum. Auch die deutlichen Signale entlang der Westküsten Norwegens, Schottlands und Irlands zeigen, dass sich hier permanent feuchte West- bis Südwestwinde stauen müssen, während an den Westküsten des Mittelmeers (insbesondere am Balkan) das genaue Gegenteil eintrifft: Die hier niederschlagbringenden winterlichen Tiefdruckgebiete bleiben wohl weitgehend aus.
Man kann es daher in diesem Jahr relativ kurz halten und muss nicht lange nach dem Haar in der Suppe suchen: Die Zeichen stehen allesamt auf einen deutlich zu milden, im Alpenraum durchschnittlich nassen Winter, wobei die Alpen wahrscheinlich eine Wetterscheide zwischen trockenem Süden und eher feuchtem Norden bilden. Nachhaltige Schneelagen in den Niederungen sind bei dieser Konstellation nicht zu erwarten. Kurzzeitige Kälteeinbrüche sind aber durchaus möglich. Das hat der Winter 2014/15 gezeigt, der übrigens mit sehr ähnlichen Vorzeichen gestartet ist (feucht-warmer Oktober, fast ausschliesslich Südlagen im Spätherbst, ähnliche Wassertemperatur-Anomalien im Nordatlantik). Es gab im gesamten Winter 2014-15 gerade mal zwei (allerdings für heutige Verhältnisse recht knackige) Kältephasen: 5 Tage Ende Dezember bis Neujahr und noch mal eine Woche Anfang Februar. Für Freunde gepflegten Winterwetters besteht also noch eine kleine Hoffnung – man sollte diese seltenen Ereignisse dann allerdings mit Verstand und in vollen Zügen geniessen! 😉
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Microwave am 22. November 2019 um 08:11 Uhr
Hoi Fabienne
Das sind leider nicht so erfreuliche Tatsachen, aber mittlerweile sollten wir das ja erwarten.
Danke dennoch für die Herleitung und Erklärung.
Eine Frage habe ich noch: Ich habe mich jetzt nicht mit Tiefbildung beschäftigt, aber wenn „nur“ warmes Wasser auf kaltes Wasser
trifft statt kalte Luft auf warmes Wasser, hat das nicht weniger Einfluss?
Grüsse – Microwave
Fabienne Muriset am 22. November 2019 um 10:18 Uhr
Hoi Jonas
Der Wärmefluss vom Wasser zur Luft ist sehr effektiv. So nimmt eine Luftmasse, die über dem Meer verweilt, bodennah ziemlich rasch deren Temperatur an. Das sieht man auch an der Prognosekarte der Temperaturabweichung: Dort, wo das Wasser kälter ist als im langjährigen Schnitt, wird auch eine unterdurchschnittliche Lufttemperatur erwartet – entsprechend geschieht dasselbe in die andere Richtung über Flächen mit wärmerem Wasser. Die Temperaturgegensätze des Wassers übertragen sich somit recht gut auf die unteren Luftschichten, entprechend kann man von verstärkter Tiefdruckbildung an den „Reibungsflächen“ ausgehen. Bereits jetzt rechnen die Modelle pünklich zum 1. Dezember kräftige Zyklogenese über dem fraglichen Gebiet über dem Nordmeer: http://images.meteociel.fr/im/5067/ECM1-216_sli8.GIF