So mancher, der sich auf die mittelalterliche Wetterregel verlässt “So das Wetter am Siebenschläfertag, es sieben Wochen bleiben mag” fühlt sich in diesem Jahr wieder bestätigt, dass sie nichts taugt. Egal, ob man sich auf den 27. Juni oder – kalenderreformbedingt – auf den 5. Juli bezieht. Die Enttäuschung, dass das Wetter dieses einen Stichtages nicht volle sieben Wochen durchhält, ist auch heute noch weit verbreitet. Wir setzen uns hingegen für eine moderne Auslegung der Siebenschläfer-Regel ein und sind nach dem im vierten Sommer in Folge umso mehr davon überzeugt, dass diese Methode bestens funktioniert. Eine Bilanz:
Anhand des Zirkulationsmusters Ende Juni konnten wir für den Hochsommer 2015 nur von zwei Szenarien ausgehen: Hitze- oder Achterbahnsommer, in unserer Prognose nachzulesen. Die Unsicherheit bestand darin, dass die Polarfront über dem Atlantik eine für die Jahreszeit relativ südliche Position einnahm und erst in Europa nach Norden schwenkte. In einem solchen Fall darf man nicht davon ausgehen, dass der Wellenberg konstant die Position beibehält und daher kurze Kaltlufteinbrüche zwischen den Hitzephasen zu erwarten sind. Der gemittelte Bodendruck vom 28. Juni bis 15. August zeigt denn auch schön eine typische Hochsommerverteilung: Tiefer Luftdruck vom Nordatlantik bis Skandinavien und Nordrussland und ein starkes Azorenhoch mit Ausläufern bis nach Osteuropa:
Damit war eine recht stabile und nicht untypische Verteilung des mitteleuropäischen Sommers gegeben: Der Süden hauptsächlich hochdruckbestimmt, der Norden häufiger von Westwind mit atlantischen Störungen beeinflusst. Die Niederschlagsverteilung (Abweichung vom Klimamittel 1981-2010) bestätigt diese Verhältnisse eindrücklich:
Dargestellt ist die gemittelte tägliche Abweichung von der Norm, im gelben Bereich fehlen somit auf die 49 Tage der siebenwöchigen Periode hochgerechnet knapp 100 mm Regen. In manchen Regionen vor allem im Osten Europas bedeutet dies, dass es nahezu gänzlich trocken blieb. Wie bei solchen hochdruckbestimmten Lagen zu erwarten, gehen in den Alpen häufig Gewitter nieder, die sogar zu einem regionalen Niederschlagsüberschuss führen können. Dieser ist real aber keineswegs so breit verteilt wie in dieser grob aufgelösten Karte blau dargestellt: Mit jedem Kilometer Entfernung zu den Alpen nahm die Trockenheit markant zu. Die vor allem in der Landwirtschaft und für manche Wälder verheerende Dürre hatte ihren Ursprung allerdings bereits in einem regional viel zu trockenen Frühling und in der extrem hohen Verdunstungsrate an sehr heissen Tagen mit zusätzlich austrocknendem Wind.
Womit wir bei der Temperatur angelangt wären. Die nachfolgende Karte zeigt die Abweichung der Mitteltemperatur während der sieben Wochen vom 28. Juni bis 15. August gegenüber der Klimanormperiode 1981-2010:
Der Hitzepol im südlichen und östlichen Mitteleuropa mit verbreitet 2.5 bis stellenweise knapp 4 Grad Abweichung gegenüber der Norm kann es locker mit dem Rekordsommer 2003 aufnehmen. Anders als vor zwölf Jahren begann jedoch die Hitze nicht bereits Anfang Juni und erreicht vor allem nicht die damalige Ausdehnung bis nach Nordeuropa, hier war es 2015 nämlich deutlich kühler als üblich. Dabei fällt der recht scharfe Gradient zwischen der Mitte Deutschlands und den Küstengebieten im Norden auf. Tatsächlich waren im Norden Mitteleuropas die Hitzewellen zwar in Sachen Höchstwerte durchaus extrem und brachten an vielen Stationen neue Allzeit-Rekorde, fielen hier jedoch immer sehr kurz aus. Ganz anders im Süden, wo – wie im Falle von Wien – Rekordserien an heissen bis sehr heissen Tagen (Höchstwerte über 35 Grad) hingelegt wurden. Auch die absoluten Höchstwerte übertrafen vielerorts jene aus dem Sommer 2003: Deutschland vermeldet einen neuen Landesrekord mit zwei mal 40.3 Grad in Kitzingen am 5. Juli und 7. August, auch Genf mit 39.7 Grad und Innsbruck mit 38.2 Grad vermeldeten am 7. Juli neue Allzeitrekorde für ihre jeweilige Region. Was den Sommer 2015 ebenfalls vom Sommer 2003 unterscheidet sind die markanten Kälterückfälle. Der Temperaturverlauf von mehreren deutschsprachigen Städten über ganz Mitteleuropa verteilt zeigt sehr eindrücklich, dass wir es sowohl mit einem Hitze- wie auch mit einem Achterbahnsommer zu tun hatten: im Süden mehr Hitze-, im Norden mehr Achterbahnsommer:
Bleibt noch die Frage nach der Ursache dieser interessanten zeitlichen und regionalen Temperaturverteilung. Hier klärt ein Blick auf den Nordatlantik auf. Dargestellt ist die Abweichung der Wassertemperatur gegenüber dem Klimamittel 1981-2010:
Sehr auffällig sind zwei Gebiete mit extremen Abweichungen: Kalter Nordatlantik im Bereich des Golfstroms zwischen Neufundland, Island und den Britischen Inseln mit Fortsetzung bis in die Nord- und Ostsee einerseits und warmer Mittelatlantik zwischen den Azoren und Portugal mit einer Fortsetzung ins Mittelmeer. Die scharfe Grenze zwischen positiver und negativer Abweichung lässt sich gedanklich in der SW-NE fortlaufenden Linie auf das europäische Festland fortsetzen, und man erhält nahezu deckungsgleich die Abweichung der Lufttemperatur wie weiter oben in der Karte dargestellt. Zieht man jetzt noch die Verteilung der Grosswetterlagen (Übersicht im Wetterlagenkalender unserer Partnerseite orniwetter.info) zu Rate, so stellt man fest: Von Ende Juni bis zum 12. August waren einzig zonale und gemischte Zirkulationen vorhanden: Südwest führt mit 18 Tagen vor West mit 15 Tagen und Hoch bzw. Hochdruckbrücke über Mitteleuropa mit 10 Tagen. Dazu ein kurzes Intermezzo mit 3 Tagen Nordwest und das sich abzeichnende Ende der Siebenschläferphase mit drei Tagen Südost als Übergang zu der aktuell herrschenden Ostzirkulation. Abgesehen davon, dass sich das beständige Zirkulationsmuster diesmal exakt an die konventionelle Siebenschläferperiode hielt, ist die Achterbahnfahrt der Temperatur nicht erstaunlich: Aus Südwest konnten subtropische Luftmassen über den warmen Meeren nicht im üblichen Mass auskühlen und erreichten somit Mitteleuropa in einer bisher nur selten gesehenen Hochform, während bei West- bis Nordwestlagen der kalte Nordatlantik seine Grüsse zu uns schickte. So lange dieser starke Temperaturgegensatz über dem Nordatlantik bestehen bleibt, wird auch die Tiefdruckproduktion dort nicht abreissen. Man darf davon ausgehen, dass sich das Muster der vergangenen Wochen noch bis weit in den Herbst fortsetzt, wobei blockierende Hochs über Skandinavien und Osteuropa gelegentlich die Westdrift noch vor Erreichen Mitteleuropas umlenken. Die Achterbahnfahrt mit markanten Kaltlufteinbrüchen zwischen sehr warmen Phasen wird so schnell nicht beendet.