Wer nach aussergewöhnlichen Wetterlagen sucht, der wird im Frühling 2018 in Europa fündig wie noch selten zuvor. Was mit dem Major Warming im Februar begonnen hat (siehe Analyse 02/18), fand seine Fortsetzung bis in den Mai und ein Ende ist noch nicht sicher absehbar. Die völlig blockierte Situation gipfelte im Mai darin, dass an keinem einzigen Tag Grosswetterlagen des Westsektors auftraten. Dies ist für unsere Breiten schon äusserst selten. Mit einem stabilen Hochdruckzentrum über Nordeuropa gab es sowohl bezüglich Temperatur wie auch beim Niederschlag ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Wir lernen daraus: Extreme meridionale Lagen mit überwiegend Typ Ost stellen im Sommerhalbjahr die klimatischen Vorgaben völlig auf den Kopf. War der Mai 2018 in weiten Teilen Nordeuropas und im nördlichen Mitteleuropa der wärmste seit Beginn der modernen Messungen, so war er z.B. in der Westschweiz zwar immer noch warm, aber keineswegs aussergewöhnlich. Spanien wiederum erlebte den vierten zu kalten Monat in Folge.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Mai, erstellt am 30. April, lautete wie folgt:
Der von uns ausgewählte Modelllauf zeigt bei der Druckverteilung eine ausgeprägte positive Anomalie über Nordeuropa sowie ein leicht nach Westen verschobenes Azorenhoch. Die Brücke zwischen diesen beiden Hochdruckgebilden weist vor den Küsten Westeuropas eine Schwachstelle auf. Dort hindurch zwängen sich die abtropfenden atlantischen Tiefdruckgebiete (Maximum der negativen Druckanomalie über der Südspitze Grönlands) auf ihrem Weg in den Mittelmeerraum. Entsprechend wird ein sekundäres Zentrum negativer Druckanomalie über den maghrebinischen Ländern gezeigt. Mit dieser Konstellation überwiegt im nördlichen Mitteleuropa stabiles Hochdruckwetter, während der Alpenraum häufiger in den Grenzbereich zwischen Nordeuropahoch und Mittelmeertief in eine östliche Strömung zu liegen kommt. Die dominierenden Grosswettertypen in Mitteleuropa sind somit Ost, Hoch und Süd, West- bis Südwestlagen können kurze Gastspiele geben. Kaum eine Chance haben bei diesen Voraussetzungen Nordlagen, was die Gefahr von Spätfrosten markant senkt.
Die Temperaturverteilung orientiert sich wie im Sommerhalbjahr üblich stark an den Druckanomalien. Der hochdruckdominierte Norden Europas wird bei einem starken Überschuss an Sonnenstunden gegenüber dem langjährigen Mittel einen sehr warmen Mai erleben, teilweise zieht sich dieser Wärmeüberschuss mit ungefähr +2 Grad gegenüber der Klimanorm bis weit nach Mitteleuropa hinein. In föhnbegünstigten Lagen sind durchaus wieder Abweichungen von 3-4 Grad im Monatsmittel möglich. Deutlich unterkühlt wird der Mai in Südwesteuropa und Nordafrika.
Nord- und weite Teile Mitteleuropas werden bei häufigem Hochdruckeinfluss einen deutlich zu trockenen Mai verzeichnen. Die Unsicherheit beginnt im südlichen und östlichen Mitteleuropa bei zeitweiligem Einfluss der Mittelmeertiefs. Hier werden wahrscheinlich häufige Gewitter für lokal erhebliche Niederschlagsmengen sorgen. Die Verteilung ist allerdings sehr ungleichmässig, sodass es auch hier Orte mit fortschreitender Trockenheit geben kann. Mit einem aussergewöhnlich nassen Mai muss man in weiten Teilen der Mittelmeerregion rechnen.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials (Druck in rund 5500 m Höhe) gegenüber dem langjährigen Mittel:
Einmalig seit Beginn unserer Monatsprognosen vor vier Jahren ist die Tatsache, dass während einer meridionalen Zirkulationsform eine nahezu perfekte Druckverteilung getroffen wurde. Es war ja keineswegs so, dass keine Unsicherheiten bestanden – darauf hatten wir in der Prognose hingewiesen. Dass der richtige meteorologische Riecher gleich den besten der angebotenen Modellläufe gezogen hatte, kam selbst für uns einigermassen überraschend. Abweichungen gibt es nur in Details, so etwa bei den Beträgen (Skandinavienhoch stärker, Azorenhoch etwas schwächer als prognostiziert, und das Mittelmeertief dehnte seinen Einfluss geringfügig weniger stark aus als erwartet).
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Hier werden schon mehr Unterschiede sichtbar, auch wenn die geografische Verteilung abgesehen von der Ausdehnung der skandinavischen Hitzeblase nach Osten stimmt. Die Wärme über Nordeuropa war (entsprechend der höheren Druckabweichung) noch akzentuierter als erwartet. Die Skala wird sogar gesprengt: Zwischen Oslo und Stockholm betrug die Abweichung etwas mehr als sechs Grad. Demgegenüber fiel die negative Abweichung über Marrokko etwas weniger stark aus als gerechnet, doch auch in dieser Region ist die geografische Übereinstimmung der Temperaturanomalie verblüffend gut. Da die sich die Temperaturen in 1500 m am Boden wie üblich etwas anders auswirken, hier noch die Bodenkarte:
Besonders stechen hier die Unterschiede über dem Atlantik ins Auge. Trotz vorhandener Höhenwarmluft zeigt die Oberflächentemperatur teils deutlich negative Abweichungen, was auf die inzwischen klar unterdurchschnittlichen Wassertemperaturen in diesen Regionen (insbes. zwischen Azoren und Britischen Inseln sowie Teilen des Nordmeeres inkl. Nordsee) hinweist. Diese Anomalien der Wassertemperatur sind wahrscheinlich auch mitverantwortlich, dass sich keine Westlagen mehr durchsetzen können. Daher auch unsere Prognose für den Juni, die eine Fortsetzung des meridionalen Zirkulationsmusters vorsieht.
Wenig erstaunlich zeigt sich eine deutliche Zweiteilung Europas bei den Niederschlägen: Regional extrem trockener Norden und Osten, sehr nasser Süden aufgrund fast täglicher Gewitter. Wenn inmitten des nassen Alpenraums in diesen grob aufgelösten Karten ein trockenes Loch erscheint, so ist dies einer näheren Betrachtung wert: Durch Föhneffekte wurde in Teilen der Ostschweiz tatsächlich weniger Niederschlag als im üblicherweise nassen Mai gemessen. Wir wissen zwar nicht genau, wie viele und welche Stationen in die NOAA-Analysekarten einfliessen, jene vom Säntis tut es aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit. Und dieser weist im Mai 2018 eine Niederschlagssumme auf, die knapp unter der Hälfte der Klimanorm liegt. Ausfälle dieser Station sind uns keine bekannt. Somit ist der Wert durchaus plausibel, was auch durch weitere Stationen in der Nordostschweiz gestützt wird.
Auf die völlige Abwesenheit von Grosswettertypen des Westsektors haben wir bereits hingewiesen. Auch wenn diese Wetterlagen im Frühling ihr statistisches Minimum im Jahresverlauf aufweisen, so sollten sie insgesamt (W, SW, NW) doch etwa 30 % ausmachen. Die 20 Tage des Grosswettertyps Ost beinhalten von Nordost bis Südost alles. Und auch die Hoch- und Tiefdrucklagen waren im Alpenraum ostgeprägt, da die Hochdruckbrücke über nördlichen Mitteleuropa lag und sich das Tief zwischen zwei zyklonalen Ostlagen mal kurz nach Mitteleuropa verirrte. Diese Lage war denn auch für die einzigen zwei nass-kühlen Tage des Monats verantwortlich.
Die Langfristprognose für den Juni findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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Kurt Nadler am 5. Juni 2018 um 19:16 Uhr
Liebe Fabienne!
Danke für deine Ausführungen.
3 Sachen fallen mir auf:
Grönland (zumindest Süden) baut offenbar ein Schnee- bzw. Gletscherreservoir auf, das wohl nicht mehr so leicht den Rest der warmen Jahreszeit weggefressen werden kann.
Atlantikabkühlung: Mit der SSW-Drift der ostatlantischen Oberflächenwässer wird sich wohl eine bremsende Wirkung zumindest in der frühen Hurrikansaison ergeben. Muss man sich schon vor kühlem Winteratlantik fürchten? Zumal ja der Golfstrom träg sein soll. Aber wohl nicht, bis dahin schwimmt noch viel Wasser rum.
Temp.-Anomaliekarte für Österreich: Deine letztpräsentierte Karte korrespondiert NICHT mit den Ergebnissen der ZAMG, wonach N-Österreich eine (große) Trockenheit erleidete, die abgemindert auch auf den pannonischen Osten übergriff.
CBs konnte man im österreichischen Pannon heuer erfreulich viele verzeichnen, jedoch komplex organisierte Gewittersysteme musste man über weite Strecken bzw. durchgehend entbehren. Man musste hier schon viel Glück haben, in einen der Minischütter zu gelangen. Die Luftmassen waren vglw. trocken. Nur 2 kleine Tieflagen brachten lokal begrenzte Starkregenereignisse mit ein paar cm Niederschlag, sodass eine Dürre ausblieb.
Alles Gute bis zum nächsten Mal
Kurt
Fabienne Muriset am 5. Juni 2018 um 20:29 Uhr
Servus Kurt, danke für deine Anmerkungen.
Zum Nordatlantik: In der Tat wird da noch viel Wasser herumgeschoben. Die aktuelle Temperaturanomalie ist auf die beständigen Nord- bis Ostwinde in dieser Region seit Februar zurückzuführen. Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo eine positive Rückkoppelung stattfindet und somit die Erhaltungsneigung der Zirkulationsform noch verstärkt wird. In der Regel wird aber im Hochsommer die Zirkulation zonaler, vielleicht wird diese Umstellung diesmal etwas zäher verlaufen, aber sie wird mit ziemlicher Sicherheit kommen.
Die Analysekarte der NOAA kann aus verschiedenen Gründen nicht mit jener der ZAMG übereinstimmen:
1. fehlen bei der ZAMG noch die letzten zwei Tage (was zwar in diesem Fall keine Rolle spielt weil diese zwei Tage im Osten Österreichs weitgehend trocken blieben, man muss aber diesen Umstand bei der generellen Unsitte der Wetterdienste, Monate vor ihrem Schluss zu bilanzieren, immer wieder in Erinnerung rufen).
2. verwenden die beiden Karten völlig unterschiedliche Skalen. Die ZAMG weist eine prozentuale Abweichung zum langjährigen Mittel aus, die NOAA eine durchschnittliche Abweichung der Niederschlagsmenge pro Tag. Wenn ich Wien Hohe Warte nehme (diese Station fliesst mit ziemlicher Sicherheit in die Klimastatistik der NOAA ein), dann gibt die ZAMG ungefähr 125 % der ca. 60 mm für Mai üblichen Niederschläge aus, das wären also pro Tag etwa 0.5 mm Überschuss. Die NOAA plottet etwa 2.5 mm Überschuss pro Tag. Und damit wären wir bei
3. Die NOAA-Karten sind ein Instrument zur globalen Klimaüberwachung und daher wenig geeignet, um die lokalen Details darzustellen. Die Auflösung ist nicht nur vom Massstab her viel zu grob, sondern auch von den Daten, die einfliessen. Wie schon im Beitrag selbst geschrieben: Wir wissen nicht, wie viele und welche Stationen in die Berechnung einfliessen. Wenn da zufälligerweise die einzige berücksichtigte Station in der weiteren Region von einem heftigen Gewitter getroffen wurde, haben wir sofort einen Riesenklecks blau oder violett auf der Karte. Umgekehrt fällt dann eben eine einzelne trockene Station wie in der Ostschweiz auf, weil sie ein relativ zur Umgebung trockenes Loch produziert. Leider kenne ich keine feiner aufgelösten Analysekarten, die für eine gesamteuropäische Darstellung (und um diese geht es mir in meinen Blogs, für die Details gibt es von den Landeswetterdiensten eben genug Material) geeignet wären.
Liebe Grüsse
Fabienne