Wer glaubte, mit dem April sei der Launenhaftigkeit Genüge getan und nun folge ein Wonnemonat, sah sich nach kurzem Aufbäumen des Frühsommers um das Auffahrtswochenende bald wieder auf den harten Boden der Realität zurückgeholt. Entgegen seinem Ruf ist der Mai genau so launenhaft wie der April, was am erzwungenen Austausch kalter Luft über der Arktis und bereits sommerlich erhitzter Luft über den Subtropen über unsere gemässigte Klimazone hinweg liegt. So hatten ausgleichende Westlagen in diesem Monat keine Chance, es blieb beim Auf und Ab zwischen nördlicher und südlicher Strömung mit den entsprechenden Temperaturextremen. Auf einen Hitzetag am 22. Mai folgte tags darauf in einigen Alpentälern Schneefall bis 800 m herab. Zum Monatsende machte sich eine feuchtwarme Luftmasse über Mitteleuropa breit und bescherte manchen Regionen den zwar benötigten Niederschlag, doch wie wir wissen, war es oft des Guten zu viel.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Mai, erstellt am 30. April, lautete wie folgt:
Das derzeit herrschende Chaos in der Nordhemisphäre verdeutlicht sich darin, dass die Modelläufe des Langfristmodells CFS in den letzten Tagen alle sechs Stunden eine völlig neue Lösung präsentierten. In solchen Situationen hilft auch der Spürsinn der Meteorologen nicht weiter, das Herauspicken eines bestimmten Szenarios wäre nicht mehr als ein Glücksspiel. Daher fiel die Wahl für unsere Prognose auf einen Lauf, der keine starken Abweichungen von der Norm aufweist, aber der zu erwartenden Gesamtsituation am nähesten kommen könnte. Die Karte mit den steuernden Druckgebilden in der mittleren Troposphäre in rund 5500 m Höhe zeigen ein leicht geschwächtes Azorenhoch und eine leicht negative Druckanomalie über dem Europäischen Nordmeer, während weite Teile des europäischen Festlands einen schwachen Trend zu leicht erhöhtem Druck aufweisen. Dies kann auf zweierlei Weise interpretiert werden: Entweder herrschen über weite Strecken des Monats nur schwache Luftdruckgegensätze, im Meteorologenjargon auch „Barosumpf“ genannt, oder aber es wechseln sich sehr verschiedene Grosswetterlagen ab, was eine stark wechselhafte Witterung mit recht kühlen und sehr warmen Phasen zur Folge hat.
Die Verteilung der Lufttemperatur-Anomalien zeigt einen sehr warmen Norden zwischen Grönland und Nordskandinavien, was die logische Fortsetzung der bereits im vergangenen Winter rekordwarmen Verhältnisse in der Arktis wäre. Daran südlich schliesst ein Gürtel mit durchschnittlichen bis leicht negativen Mittelwerten an, der aufgrund des immer noch etwas unterkühlten Nordatlantiks ebenfalls seine Berechtigung hat. Die im Schnitt immer noch am häufigsten auftretenden Westlagen führen diese kühle Atlantikluft über die Britischen Inseln hinweg zur Nord- und Ostsee und weiter ins Baltikum. Der eher warme Gürtel über Mitteleuropa deutet darauf hin, dass in unserem gewählten Szenario häufig Hochdruckbrücken bzw. geringe Luftdruckunterschiede dominieren. Der Mittelmeerraum wiederum weist keine nennenswerten Temperaturabweichungen zur Norm auf.
Aufgrund der herrschenden Unsicherheiten sollte auch die Karte mit den Abweichungen der Niederschläge nicht allzu genau ausgelegt werden. Sie zeigt aber den Trend auf, der zum eingangs erwähnten „Barosumpf“ passt: Über den Gebirgen bringen häufige Schauer und Gewitter überdurchschnittliche Niederschläge, während es im Flachland wahrscheinlich im Schnitt trockener wird als im langjährigen Mittel. Die erhöhten Niederschlagswerte in weiten Teilen Südeuropas stützen wiederum eher die Theorie Hochdruckbrücke über Mitteleuropa mit abgetropften Tiefdruckgebieten im Mittelmeerraum.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des 500-hPa-Geopotenzials gegenüber dem langjährigen Mittel:
Was im ersten raschen Vergleich katastrophal erscheint, ist bei näherer Betrachtung gar nicht so weit daneben gegriffen: Sowohl die negative Druckanomalie über dem Nordmeer (wenn auch etwas nördlicher), wie auch jene bei den Azoren (etwas östlicher) ist eingetroffen. Auch der Hochdruckgürtel wurde prognostiziert, allerdings kam er ebenfalls etwas nördlicher zu liegen und schlug eine Brücke von Skandinavien über Schottland hinweg bis vor Südgrönland. Nicht vorhergesehen war die deutliche Druckanomalie über Südosteuropa, die sich bis nach Mitteleuropa erstreckt und für unser Wetter von Bedeutung war. Man kann also festhalten, dass das grobe Muster zwar vorhergesehen wurde, jedoch die Positionierung in der Prognose zu südlich lag. Die Interpretation mit den wechselnden Grosswetterlagen oder dem Barosumpf muss dahingehend korrigiert werden, dass „sowohl als auch“ eintraf.
Die Nordverschiebung der Druckgebiete ist auch sehr deutlich bei den Temperaturen zu sehen.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Die negativen Anomalien über dem Nordatlantik und die positiven über der Arktis sind wenig überraschend stimmig, das träge reagierende Wasser lässt sich eben nicht so einfach übertölpeln. Ganz anders auf dem Festland: Dort wo über Nordeuropa leicht negative Abweichungen erwartet wurden, weist die Analyse einen deutlichen Wärmeüberschuss aus, verursacht durch den überwiegenden Hochdruckeinfluss und viel Sonnenschein. Die in der Prognose nur ansatzweise angedeutete negative Anomalie im Mittelmeerraum war in der Fläche (nicht aber im Betrag) etwas ausgeprägter und dehnte sich bis ins südliche Mitteleuropa aus. Auch hier wurde das Muster vom Modell richtig erkannt, doch die zonale Verschiebung hat gerade bei uns in Mitteleuropa resultatmässig eine grosse Auswirkung.
Bei der Niederschlagsverteilung sieht es dementsprechend nicht viel anders aus:
Kein nasser Tiefdruckgürtel von den Britischen Inseln bis zur Ostsee, sondern ein trockener Hochdruckgürtel verkehrten die Prognose in diesem Streifen ins genaue Gegenteil. Die feuchte Mittelmeerzone wurde erkannt, liegt aber ebenfalls nördlicher und hat insbesondere in Frankreich und im Schwarzmeergebiet deutliche Spuren hinterlassen. Die durch Gewitter verursachten Überschwemmungen in einigen Regionen Mitteleuropas waren zu kleinräumig, um von diesen groben Analysekarten ausreichend aufgelöst zu werden. Man darf also das Fazit ziehen, dass das Modell auch in diesem schwierig zu prognostizierenden Monat eine annähernd richtige Lösung bereit hatte, dass jedoch bereits relativ (bezogen auf die Gesamtfläche) kleine Verschiebungen vor Ort massive Auswirkungen auf das Wetter hat. Damit haben sich die Überlegungen in der Einleitung der Prognose zur Wahl dieses Modelllaufs zwar als richtig erwiesen, der mangelnden Präzision des Modells ist man hingegen ausgeliefert.
Die statistische Witterungsanalyse zeigt uns bereits im zweiten aufeinanderfolgenden Monat vollständig fehlende Westlagen (im langjährigen Mai-Schnitt 5 Tage):
Die Verteilung der Witterungstypen zeigt einen temperaturmässig sehr ausgeglichenen Monat, hingegen einen deutlichen Überhang zu nassen Tagen (Verhältnis 19 : 12), was aber im Mai nicht aussergewöhnlich ist. Eher seltener ist das Phänomen, dass innerhalb eines Kalendermonats sämtliche Grosswettertypen ausser West (der statistisch immer häufigste GWT) vertreten sind. Weniger erstaunlich ist, dass diese Besonderheit in einem Frühlingsmonat zustande kommt, womit der Kreis zur eingangs erwähnten Launenhaftigkeit geschlossen wäre.
Die Langfristprognose für den Juni findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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