Der Juli 2016 gibt in seiner Nachbetrachtung auch hinsichtlich der zuvor getroffenen Prognose einige Rätsel auf. Doch nicht nur Fachleuten bereiten die Widersprüche, die in dieser Analyse aufbereitet werden sollen, einiges Kopfzerbrechen. Auch wenn man sich unter den Leuten umhört, bekommt man extrem unterschiedliche Meinungen zu hören, was die Witterung in diesem Sommermonat angeht. Während sich viele darüber freuen, dass längere und extreme Hitzeperioden ausbleiben, beklagen andere (wahrscheinlich noch den Extremsommer 2015 in Erinnerung habend), den Unsommer 2016. Viel zu nass, zu trüb und zu kühl sei er. Dabei verhielt sich der Juli 2016 durchaus sehr konform zum durchschnittlichen mitteleuropäischen Sommer. Der da in der Regel ist: wechselhaft, im Schnitt gemässigt warm aber durchaus auch sprunghaft zwischen kühlen und heissen Phasen. Unser Wetterlagenkalender zeigt diese Abfolgen der verschiedenen Witterungsabschnitte sehr anschaulich.

Allen Unkenrufen zum Trotz: Es gab im Alpenraum im Juli durchaus Prachtstage (etwa deren 10), wie hier am Sonntag den 17. in der Zentralschweiz
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Juli, erstellt am 30. Juni, lautete wie folgt:
Der von uns ausgesuchte Lauf zeigt beim Höhendruck in rund 5500 m ein leicht stärkeres und in Richtung Portugal verschobenes Azorenhoch als zu dieser Jahreszeit üblich. Überdurchschnittliches Geopotenzial über Westrussland und der Ukraine deutet auf eine relativ beständige Blockade im Osten hin, sodass die Westwindströmung über Europa zu einer Ausweichbewegung nach Norden oder Süden gezwungen wird. Daraus entstehen immer wieder Tröge über Mitteleuropa, was sich auch in den Karten mittels negativer Druckanomalie mit Zentrum über der Nordsee manifestiert. Das in diesen Tagen noch präsente Islandtief verschwindet in den Monatskarten fast vollständig. Man kann dies nicht anders interpretieren als dass die Siebenschläfer-Regel in diesem Jahr nicht funktioniert, bzw. sich das Muster dieses Hochsommers erst nach der üblichen Siebenschläferperiode nach dem ersten Julidrittel einstellt. Nach den aktuellen Unterlagen verläuft die erste Monatshälfte in Mitteleuropa unter Westregime durchschnittlich temperiert und wechselhaft mit kurzen hochsommerlichen Phasen vor allem nach Süden hin, während die zweite Monatshälfte deutlich unterkühlt und häufig nass daherkommen dürfte.
Die Temperaturverteilung zeigt einen überdurschnittlich warmen Gürtel, der sich von der Südküste Grönlands über Island und das Nordmeer hinweg bis nach Nordrussland erstreckt. Osteuropa erscheint unter Hochdruckeinfluss ebenfalls warm. Für den grössten Teil des europäischen Kontinents werden unterdurchschnittliche Temperaturen berechnet, teilweise sogar rekordverdächtige Abweichungen, wie sie in den letzten 50 Jahren nur noch selten aufgetreten sind. Ob die nass-kalten Sommer der endsiebziger Jahre tatsächlich unterboten werden, darf anhand der heute herrschenden global höheren Temperaturen bezweifelt werden, für heutige Verhältnisse wäre ein solcher Juli jedenfalls extrem ungewöhnlich.
Die tiefen Durchschnittstemperaturen dürften auf mangelnde Sonneneinstrahlung und somit gedämpfte Tagestemperaturen zurückzuführen sein, das verrät der Blick auf die Niederschlagskarten. Wenig erstaunlich bei häufigen West- und Troglagen werden die meisten Gebiete Europas leicht bis deutlich zu nass berechnet. Ein sicherer Hafen für Sonnenanbeter wäre demnach nur der Mittelmeerraum, doch auch hier wird man vor Gewittern nicht gänzlich verschont. Im zu dieser Jahreszeit statistisch sehr trockenen Gebiet wirken sich bereits wenige Gewittergüsse auf die Abweichung zur Norm markant aus, daher die tiefrot eingefärbten Gebiete. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Juli im Mittelmeerraum verregnet sein wird.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des 500-hPa-Geopotenzials gegenüber dem langjährigen Mittel:
Hinsichtlich der für Europa massgeblichen Druckgebilde lag die Prognose sehr gut. Sowohl das Tiefdruckzentrum über der Nordsee wie auch die Hochdruckzentren im nahen Atlantik vor Portugal und über Osteuropa wurden richtig erkannt. Für Mitteleuropa auffällig ist, dass die Hochdruckbrücke zwischen Azoren- und Russlandhoch stabiler war oder andersrum gesagt, die Austrogungen über Mitteleuropa hin zum zentralen Mittelmeer weniger zum tragen kamen als erwartet. Deutlich daneben lag das Modell mit seiner Erwartung für Grönland, doch hatte dies auf Europa kaum Auswirkungen. Das Muster entspricht einem typischen Westlagensommer, wie wir ihn anhand unserer Siebenschläferprognose erwartet hatten. Die Siebenschläfer-Regel (modern ausgelegt) ist in diesem Jahr somit dem Langfristmodell deutlich überlegen, wenngleich nur kleine Unterschiede in der Druckverteilung das Zünglein an der Waage ausmachen. Immerhin wurde die Westlage vom 10. bis 24. Juli unterbrochen, der Mix von südlicher/südwestlicher, nördlicher Anströmung und Hochdruck wirkte jedoch ausgleichend. Nach der CFS-Prognose hätten die Nordlagen, zu denen die erwartete Grosswetterlage “Trog Mitteleuropa” gehört, in dieser Phase überwiegen müssen. Entsprechend zeigt sich das Bild beim Vergleich zwischen prognostizierten und eingetroffenen Temperaturabweichungen.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Auch hier – wenn man mal von der Grönland-Pleite absieht – wurde die Verteilung von warmen und eher kühlen Gebieten geographisch recht gut getroffen. Im äussersten Nordosten wie auch von Portugal bis Marokko sind sogar die Abweichungsbeträge recht identisch. Wäre die relative Kälte in West-, Mittel- und Südosteuropa nicht derart übertrieben prognostiziert worden, könnte man gar von einem Volltreffer sprechen. So aber – und damit wurden unsere Zweifel betreffend der Temperaturprognose bestätigt – war die Prognose für die Bodentemperaturen völlig unbrauchbar. Was nun natürlich die Frage aufwirft: Wie kann ein Modell, das die Druckverteilung und somit die Strömungsmuster relativ gut trifft, bei der Temperaturprognose derart daneben liegen? Der Verdacht liegt nahe, dass die Diskrepanzen bei der Beeinflussung der untersten Luftschichten durch die Meerestemperaturen gesucht werden müssen. Man kann diesen Einfluss umgehen, indem man die Lufttemperaturen in rund 1500 m Höhe hernimmt (850 hPa-Niveau). Wir stellen auch hier die Prognose (oben) den gemessenen Werten (unten) gegenüber:
Doch auch hier zeigt sich: Die Prognosen für Südwesteuropa und Osteuropa wurden gut getroffen, während dazwischen grosse Unterschiede bestehen. Und genau da liegt das weiter oben erwähnte Zünglein an der Waage versteckt: CFS ging davon aus, dass sich über einen längeren Zeitraum die GWL “Trog Mitteleuropa” einstellt (Tatsächlich wurden es nur vier Tage), die aus dem hohen Norden empfindlich kalte Luftmassen heranführt. Stattdessen gab es über Mitteleuropa mehr Hochdruck und sogar Südwest- bis Südlagen (Trog Westeuropa). Da sich diese gegensätzlichen Drucklagen ausgleichen, werden sie in der Analyse gemittelt, werden also gar nicht sichtbar. Das Bild der Druckanomalien präsentiert sich, als wäre der Juli permanent durch Westlagen geprägt gewesen. Wäre dem aber tatsächlich so gewesen, müssten die Beträge der Anomalien noch deutlicher zutage treten. Die Tiefdruckanomalie über der Nordsee würde violett, die Hochdruckanomalie über Südeuropa orange bis rot aufleuchten. Die Erkenntnisse aus der Fehlprognose und deren genaue Ursachenforschung dienen somit der Erweiterung des Erfahrungsschatzes, wie diese Karten zu lesen und zu interpretieren sind.
Wenden wir uns noch der Niederschlagsverteilung zu:
Wenig erstaunlich bei einem Anteil von 50 % Westlagen war der Juli in den meisten Regionen Europas deutlich nasser als im langjährigen Schnitt. Ausnahmen sind in der Ukraine zu finden, wo es nahezu niederschlagsfrei blieb, sowie im Bereich der stärksten Hochdruck-Anomalie in West- bis Südwesteuropa. Auffällig ist das kleine Loch über der oberen Adria, das durch Lee-Effekte der Alpen zustande gekommen sein dürfte.
Zum Schluss noch die statistische Witterungsanalyse:
Hier zeigt sich, dass in den 16 Tagen Westlagen nicht die typische “West zyklonal” (langjähriger Schnitt im Juli 19 %) dominierend war, sonst müsste der Witterungstyp “feucht-normal” deutlich stärker vertreten sein. Stattdessen sorgte die GWL “winkelförmige Westlage” mit ungewöhnlichen 9 Tagen (normalerweise in den Sommermonaten nur marginal auftretend) für einen Wechsel zwischen trockenen, aber gemässigt warmen Tagen und feucht-warmen, schwülen und zu Gewittern neigenden Tagen. Hier ist dann auch die Diskrepanz zwischen statistischen Durchschnittswerten und dem Empfinden der Allgemeinheit zu finden: Der Witterungstyp “feucht-warm” sorgt für erhöhte Tagesmittelwerte, die aber hauptsächlich auf schwüle Nächte zurückzuführen sind und keine hohen Tagesmaxima aufzuweisen haben. Unter “richtig Sommer” stellt man sich gemeinhin eben etwas anderes vor…
Die Langfristprognose für den August findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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