Verbreitet viel zu warm trotz eher wenig Sonnenschein und überdurchschnittlichen Niederschlägen bis hin zu absurd hohen neuen Rekorden vor allem im Osten Europas: Der steigende Energiegehalt der Atmosphäre geht eben nicht nur mit mehr Wärme, sondern auch mehr Feuchtigkeit einher. Wenn neue Temperaturrekorde sich nicht durch Hitze tagsüber im Sommer bemerkbar machen, sondern hauptsächlich durch fehlende kalte Nächte, dann ist dies mitunter schwierig zu vermitteln. Der Dezember setzte da vor allem im Alpenraum einen kuriosen Kontrapunkt zum restlichen 2024 und verhinderte in Tieflagen gerade noch einen neuen Wärmerekord kurz vor der Ziellinie.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Dezember, erstellt am 1. Dezember, lautete wie folgt:
Normal gibt es in den CFS-Läufen der letzten drei Tage nicht: Drei Viertel sind in Mitteleuropa mild bis sehr mild, ein Viertel recht kalt aufgestellt. Diese Ausreisser-Läufe rechnen mit einer etwas nach Norden verschobenen Hochdruckbrücke, womit die Tür für Kaltluft aus Osten weit geöffnet wäre. Die meisten Läufe, zu denen auch der von uns bevorzugte gehört, zeigen jedoch zwei Hochdruckanomalien: Eine sehr starke über Nordosteuropa und eine ebenfalls recht ausgeprägte von den Azoren bis zur Iberischen Halbinsel, dazwischen eine etwas schwächere Hochdruckbrücke über Mitteleuropa hinweg. Eine negative Druckanomalie ist über Island zu finden und eine neutrale Zone über dem östlichen Mittelmeer. Die Hochdruckbrücke Mitteleuropa dürfte somit wie bereits im November die häufigste Wetterlage sein, unterbrochen von (einem?) abtropfenden Tief, das über Mitteleuropa ins zentrale bis östliche Mittelmeer zieht (Grosswettertyp Nordwest bis Nord). Dieses ist in den Mittelfristkarten für den 2. Advent recht prominent vertreten. Danach sieht es nach Grosswetterlagen des Typs West bis Südwest aus – das Weihnachtstauwetter lässt grüssen.
Negative Temperaturabweichungen von der Klimanorm werden in unserem Lauf nur von Grönland bis Island und in kleinerem Ausmass im äussersten Norden Skandinaviens sowie in Nordafrika gerechnet. Dazwischen sehr viel Milde, am ausgeprägtesten von Mittelschweden über das Baltikum hinweg weiter nach Südosten. West- bis Mitteleuropa ist mit einer durchschnittlichen Abweichung von +2 Grad auch ganz gut dabei, wenn es darum geht, den Grundstein für einen weiteren Mildwinter zu legen.
Bei häufigen Hochdrucklagen wird Mitteleuropa eher auf die trockene Seite fallen. Ausnahmen gibt es am ehesten am nördlichen Alpenrand, falls das Tief zum 2. Advent auch genügend Feuchtigkeit im Nordstau ablädt (lokal grosse Schneemengen sind durchaus wieder möglich). Entsprechend geschützt ist die Alpensüdseite, hier und auf der Iberischen Halbinsel werden die grössten Niederschlagsdefizite gerechnet. Nasser als im Schnitt wird es wahrscheinlich von Irland bis zur Westküste Südnorwegens, wo das Westwindband wohl im Schnitt am häufigsten zu liegen kommt. Das abgetropfte Tief gleich jetzt zu Monatsbeginn und ein zweites gegen Monatsmitte sind wohl für die überdurchschnittlichen (bis wieder hin zu katastrophalen?) Niederschläge verantwortlich. Nach jetzigem Stand dürften die Abweichungen vom Modell rund um die Ägäis und an der türkischen Südküste wohl zu niedrig berechnet sein.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Bodendrucks gegenüber dem langjährigen Mittel:
Im Groben ist die Prognose stimmig, das dominante Hoch über dem Nordatlantik installierte sich allerdings etwas nordwestlicher und das zweite Hoch über Nordosteuropa war inexistent. Der Tiefdruck über Island wurde nach Osten verdrängt, ziemlich genau dorthin, wo eigentlich das zweite Hoch hätte sitzen sollen. Diese Verschiebung hatte allerdings nur geringe Auswirkungen auf Mitteleuropa, das wie prognostiziert mehrheitlich unter Hochdruckeinfluss stand – bis auf die Westlage um Nikolaus und die West- und dann Nordlage kurz vor Weihnachten, welche die Wintersportorte in den Alpen jubeln liess.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Das eisig kalte Grönland drückt diesem Winter den Stempel auf, wie bereits in unserer Winterprognose erwartet und so ziemlich die zuverlässige Konstante in den Prognosen. Ebenfalls recht gut getroffen, wenn auch etwas übertrieben, war die Prognose für das unterkühlte Nordafrika und den zentralen Mittelmeerraum. Der hartnäckige Kaltlufttropfen zwischen Azoren und Kanaren im letzten Monatsdrittel zog dort das Mittel nach unten. Relativ am wärmsten war es von der Nordsee bis ins Baltikum, wo die beiden Westlagen am wirksamsten waren. Weiter südlich beschränkte sich der Wärmeüberschuss vor allem auf erhöhte Lagen, während manche Station in Muldenlagen gerade so knapp über dem langjährigen Mittel landete. Leider sind die Bodenanalysen des NCEP unbrauchbar geworden und werden daher nicht mehr gezeigt, dort verhunzt immer noch ein Datenfehler in der Klimanorm irgendwo in Frankreich die Karte.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Die Verteilung von trockenen und nassen Gebieten war mehrheitlich sehr gut getroffen. Sowohl der zentrale und östliche Mittelmeeraum wie auch der Streifen von Schottland bis Südnorwegen waren die nassesten Zonen. Allerdings bekam auch der Norden der norwegischen Küste anders als erwartet die volle Breitseite der feuchten Nordwestströmung ab, dies die augenscheinlichste Folge der Ostverschiebung der Tiefdruckanomalie. Die Situation in Mitteleuropa präsentiert sich wesentlich komplexer, vor allem deutlich trockener als in obiger grober Karte dargestellt, aber mit lokal feuchten Einsprengseln: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Obwohl die mittlere Abweichung im südlichen Mitteleuropa nur leicht positiv war, fehlten deutlich zu kalte Tage hier komplett – wobei diese Bilanz über alle Höhenlagen gemittelt ist. Würde man Hochlagen und Stationen unterhalb der Inversion trennen, sähe es etwas anders aus. Bemerkenswert ist, dass auch eine zyklonale Nordlage wie kurz vor Weihnachten keine Kälteanomalie mehr zustande bringt: Die Luftmasse wird bodennah durch die viel zu warmen Meere rund um Nordeuropa derart gemildert, dass sie zwar noch ordentlich Schnee bis in tiefe Lagen bringt, dies aber bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, was der langjährigen Norm entspricht. Vielleicht für die Alpenbewohner etwas erstaunlich mag die Tatsache sein, dass die Hälfte des Monats von Westlagen geprägt war. Neun Tage davon gehen auf das Konto von West antizyklonal, was in den Alpen im Winter schlicht perfektes Hochdruckwetter bedeutet, zusammen mit den vier Tagen Hoch Mitteleuropa und den vier Tagen antizyklonaler Ostlage sind das 17 Tage Sonnenschein pur – entsprechend vermelden die Skigebiete einen Rekord-Dezember.
Die Langfristprognose für den Januar findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
Jahresbilanz 2024
Nichts verdeutlicht den Charakter des Jahres 2024 so sehr wie die Abweichung der Luftmassentemperatur in rund 1500 m Höhe. Osteuropa als Hitzepol mit bis zu +2.5 Grad zur ohnehin schon warmen Klimanorm 1991-2020 ist eine völlig neue Kategorie. Entsprechend wurde in Österreich der Vorjahresrekord als wärmstes Jahr seit Messbeginn geradezu pulverisiert. Ebenfalls hauptsächlich durch die Wärme der östlichen Bundesländer vermeldet auch Deutschland einen neuen Rekord. In der Schweiz lag man schon etwas zu weit von der Herdplatte entfernt: In den Niederungen der Deutschschweiz landet 2024 „nur“ auf Rang 3 hinter 2023 und 2022. Allerdings verzeichnet der Säntis in der Nordostschweiz auf 2500 m einen neuen Rekord, 0.2 Grad über dem alten aus dem Jahr 2022. Im Oberengadin (Station Samedan, 1709 m) fehlten vier Hundertstel zum Rekord aus dem Vorjahr. Im Westen und Süden der Schweiz war der Abstand zu den bisher wärmsten Jahren mit 0.5 bis 0.8 Grad schon etwas deutlicher. Eine negative Anomalie findet man einzig in einem Streifen von Grönland bis Island, die Ursache werden wir in der Druckverteilung weiter unten finden.
Fast schon widersprüchlich mutet es an, dass die Rekordwärme gleichzeitig mit vielerorts unterdurchschnittlicher Sonnenscheindauer und vor allem verbreitet deutlich überdurchschnittlichen Niederschlagsmengen einherging. Der Donut und insbesondere das Loch in der Mitte ist eine amerikanische Erfindung, verursacht durch einen Datenfehler in der Klimanorm irgendwo in Süddeutschland. Schaut man sich das engmaschige Netz der Niederschlagsmessung an, so findet man nur wenige Stationen mit unterdurchschnittlichen Summen. Dass der Feldberg wie schon im Vorjahr bei der relativen Abweichung an der Spitze der zu trockenen Stationen steht, könnte eine Erklärung für die verhunzte NCEP-Karte sein. Die komplexe Verteilung in der Schweiz sieht man sich am besten hier an, auffällig ist die trockene Insel in Nord- und Mittelbünden, erklärbar durch überdurchschnittlich viele Föhntage. Womit wir beim Thema wären: Auffällig sind vor allem die abnormal häufigen Südlagen.
14 % Südlagen im Vergleich zu 8 % im Mittel 1881-2008 und 8 % Südwestlagen (Norm 5 %) sowie zusätzlich aus dem GWT Ost 33 Tage Südost ergeben insgesamt 117 Tage mit Luftmassen aus dem Sektor Süd, das sind 31 % des Jahres und somit eine eindrückliche Bestätigung des Trends der letzten beiden Jahrzehnte. Dabei stossen offenbar die Tröge und CutOffs immer weiter nach Süden vor und holen so tropische Luftmassen nach Mitteleuropa, wo sie eigentlich nach Lehrbuch gar nichts zu suchen hätten. Das Gegenstück, der GWT Nord, war mit nur 7 % deutlich untervertreten (Norm 16 %). Die anderen GWT West, Nordwest, Hoch und Tief lagen ungefähr in der langjährigen Norm. Noch eindrücklicher liesse sich nicht aufzeigen, dass die rasante Erwärmung Europas nicht nur durch den globalen Klimawandel, sondern zu einem gewichtigen Teil auch durch veränderte Strömungsmuster zustande kommt. 2024 scheint hier neue Massstäbe gesetzt zu haben, wie die Abweichung beim Geopotenzial in rund 5500 m Höhe zeigt:
Die Hochdruckanomalie über Osteuropa ist ein sich selbst verstärkendes System: Es wird angefacht durch die Zufuhr warmer Luftmassen aus den Subtropen, und weil es die Westdrift blockiert, werden atlantische Tiefdruckgebiete vor Westeuropa nach Süden gezwungen, erkennbar am grünen „Sack“ über den Britischen Inseln und der Biskaya. Was wiederum die Südströmung vom Mittelmeer in Richtung Osteuropa ankurbelt und so weiter und so fort. Mitteleuropa wird so immer häufiger zum Frontenfriedhof, weil sich die Westströmung in der Höhe am hohen Geopotenzial totläuft. Mehr als ausgeglichen wird der geringere Niederschlag aus West bis Nord durch umso höhere Feuchtigkeit aus Südwest bis Süd, denn trotz höherem Geopotenzial sehen wir im Bodendruckfeld mehrheitlich Tiefdruckanomalien:
Anders gesagt: Die über Westeuropa austrogenden Tiefs tanken ordentlich Energie in Form von Wärme und Feuchtigkeit über dem subtropischen Atlantik und dem Mittelmeer, die sie dann in Form von wenigen, aber verheerenden Extremniederschlagsereignissen in verschiedenen Gebieten Süd- und Mitteleuropas abladen. Nicht wie früher hauptsächlich auf die Herbstmonate konzentriert, sondern inzwischen fast über das ganze Jahr verteilt. Dieses Druckmuster in den unteren Schichten ist stark an die neue Verteilung der Wassertemperaturen bzw. an deren Temperaturgradienten gekoppelt:
Tiefdruckgebiete entstehen mit Vorliebe dort, wo starke Temperaturgegensätze herrschen. Und da erkennen wir eine klare Übereinstimmung über dem europäischen Nordmeer, wo einerseits das arktische Eis immer weiter zurückweicht und so auch ein starkes Temperaturgefälle zwischen Wasser und Land (Grönland mit seinem Eisschild ganzjährig, Nordskandinavien mit Schneebedeckung im Winter) entsteht. Durch den häufigen Tiefdruck über dem Nordmeer bei gleichzeitigem Hochdruck über dem Kanadischen Archipel und Südgrönland entstehen häufige Nordwestströmungen, welche die eisige Luft vom Grönland-Eisschild in Richtung Island fliessen lassen und dort recht kleinräumig eine negative Wassertemperatur-Anomalie entstehen lassen, was wiederum mit dem starken Temperaturgradienten zum sonst zu warmen Nordmeer die dortige Zyklogenese anfacht – ebenfalls ein sich selbst verstärkendes System. Die zweite Auffällige Anomalie entsteht zwischen dem zu warmen subtropischen Atlantik und dem eher kühlen Gebiet vor Neufundland. Dies ist die Geburtsstätte von Tiefdruckgebieten westlich der Azoren, welche die nordatlantischen Hochdruckblöcke unterlaufen und auf südlicherer Zugbahn mit viel Subtropikluft und neuerdings auch tropischen Luftmassen das südliche Mitteleuropa „beglücken“. Gleiten solche Luftmassen auf eine über Mitteleuropa liegende kalte bodennahe Schicht auf, entstehen ergiebige Schneefälle wie Ende November oder grossflächig gefrierender Regen wie soeben am 4./5. Januar geschehen. Man darf gespannt sein, wie lange sich diese Anomalien halten und was danach kommt. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass auch die Analyse 2025 wieder viel Interessantes zu bieten haben wird.
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