Gegensätzlicher könnte die Bilanz in Mitteleuropa nicht ausfallen: Während böse Zungen in Norddeutschland behaupten, der diesjährige Winter könnte am 3. und 10. Dezember stattgefunden haben, liegen in den Alpen rekordverdächtige Schneemengen. Gleichzeitig hat man mancherorts vergessen, wie man das gelbe runde Ding am Himmel nennt. Und vor allem in den westlichen Regionen sind die Böden nach dem sechsten deutlich zu nassen Monat in Folge derart gesättigt, dass sie von der Landwirtschaft kaum noch bearbeitet werden können. Als Krönung erlebten viele den wärmsten Jahreswechsel seit Messbeginn.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Dezember, erstellt am 30. November, lautete wie folgt:
Der November hat uns viele Nordwestlagen und Troglagen über Mitteleuropa gebracht, unterbrochen von kurzen Hochdruck- und Südwestlagen. Hauptverantwortlich für diese Erhaltungsneigung ist das Azorenhoch, das sich mal nach Norden, mal nach Osten verschiebt, aber immer wieder an seinen angestammten Platz zurückkehrt. Wir haben uns daher für einen Lauf entschieden, der uns auch im Dezember ähnliche Wetterlagen beschert. Gerechnet wird eine mässige positive Druckanomalie von den Azoren bis zur Iberischen Halbinsel sowie eine zweite etwas stärkere von Nordskandinavien bis Nordwestrussland. Dazwischen etabliert sich eine Tiefdruckrinne, die sich von Grönland/Island über die Britischen Inseln bis nach Osteuropa erstreckt. Auch diese Anomalie ist nicht besonders stark ausgeprägt, was darauf hinweist, dass diese Lage zwar häufig auftritt, den Monat aber nicht dominiert. Wahrscheinlich ist ein abwechslungsreicher Monat mit den bereits erwähnten Nordwestlagen, Trog Mitteleuropa, aber auch milderen Einschüben aus West bis Südwest und kurzen Hochdrucklagen. Die vom Modell gerechneten extremen Nord- bis Ostlagen sind einzelne Ausreisser und werden von uns daher als sehr unwahrscheinlich taxiert.
Auf die Temperaturverteilung hat dies folgende Auswirkung: Deutlich kälter als im langjährigen Schnitt wird es in Skandinavien, etwas weniger ausgeprägt ist die negative Temperaturanomalie im Alpenraum und im nördlichen bis westlichen Mittelmeerraum. Die tieferen Lagen Mitteleuropas können wahrscheinlich einen durchschnittlich temperierten Dezember erwarten. Deutlich zu mild wird es auf dem europäischen Festland einzig in Südosteuropa sowie in all jenen Gebieten, welche südlich eines Gebirges von häufigem Nordföhn profitieren. Nebst der erneut viel zu warmen Arktis fällt auch das völlige Fehlen negativer Temperaturabweichungen über dem gesamten Nordatlantik auf.
Der häufige Tiefdruckeinfluss bringt einem Streifen von den Britischen Inseln über Mittel- bis Osteuropa überdurchschnittliche Niederschläge, welche in hohen und mittleren Lagen in der Regel als Schnee fallen. Schneearmut ist also in den Alpen und den Mittelgebirgen in diesem Winter wahrscheinlich kein Thema. In den Niederungen fällt – wie in einem durchschnittlichen Dezember üblich – der Niederschlag etwa je hälftig in flüssiger und fester Form, eine dauerhafte Schneedecke wird sich somit unterhalb von etwa 500 m kaum ausbilden können. Auch im westlichen Mittelmeer wird überdurchschnittlicher Niederschlag gezeigt. Dafür reicht bereits eines bis zwei abgetropfte Tiefs in dieser Gegend, wobei das erste zum Monatsbeginn bereits gesichert ist. Skandinavien wird nicht nur einen kalten, sondern auch trockenen Monat erleben. Ursächlich dafür ist häufiger Ostwind nördlich der durch Mitteleuropa ziehenden Tiefdruckgebiete.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Bodendruckfelds gegenüber dem langjährigen Mittel:
Würde man nur die Südhälften der Karten miteinander vergleichen, wäre die Prognose perfekt. Im Norden jedoch haben die erwarteten Druckabweichungen genau die Plätze getauscht: Das über Osteuropa erwartete Tiefzentrum lag deutlich weiter im Norden über Skandinavien, während sich über Island eine positive Druckanomalie zeigt, die allerdings mehr auf das häufige Fehlen des üblichen kräftigen Islandtiefs zurückzuführen ist als auf stabile Hochdrucklagen. Wir haben es ja bereits öfters erlebt, dass trotz guten grossräumigen Druckprognosen das Wetter in Mitteleuropa aufgrund abweichender Details völlig anders eintraf als erwartet. Diesmal ist es anders: Trotz der schlechten Druckprognosen stellte sich die Witterung ungefähr so ein, wie wir uns das vorgestellt hatten. Das hat damit zu tun, dass aufgrund der nach Norden verschobenen Tiefs in Mitteleuropa statt der GWL Trog Mitteleuropa häufiger die GWL Nordwest zyklonal auftrat. Diese Wetterlagen sind nah miteinander verwandt und bringen Luftmassen aus denselben Regionen zu uns. Die Unterschiede waren daher nur regional deutlich spürbar, wie wir gleich bei der Temperatur sehen werden:
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Auch hier stimmt die erwartete Verteilung auf der Südhälfte der Karte: Warmer Zentralatlantik – kühles Südwesteuropa, warmes Südosteuropa. Im Norden ist die Temperaturverteilung ebenso verkehrt eingetroffen wie beim Luftdruck: Skandinavien wurde deutlich wärmer als erwartet, während sich ein Kältepol über Island ausbildete. Betrachtet man nur Mitteleuropa, so sieht man dass der Alpenraum noch recht gut getroffen wurde. Weiter nördlich wurde der Monat hingegen deutlich milder als erwartet. Dies hat mit dem bereits oben angedeuteten Unterschied zwischen den Grosswetterlagen Trog Mitteleuropa und Nordwest zyklonal zu tun: Die Luftmassen sind zwar gleicher Herkunft, jedoch sorgt der stärkere Druckgradient bei der Nordwestlage dafür, dass die Luft nicht zur Ruhe kommt. Der stetige Wind vom Atlantik her durchmischt die bodennahe Luft, es kann nachts nur selten richtig auskühlen. Die positive Temperaturabweichung im nördlichen und östlichen Mitteleuropa ist daher nicht auf höhere Tagestemperaturen, sondern hauptsächlich auf fehlende Nachtfröste zurückzuführen. Dieses hat offenbar in Island bei mehr Hochdruck als üblich weitaus besser funktioniert.
Beim Niederschlag ist die Bilanz für Mitteleuropa hingegen fast überall stimmig:
Egal ob Trog Mitteleuropa oder West- bis Nordwestlage: Feuchte Atlantikluft – mehr oder weniger polaren Ursprungs – ist nun mal feuchte Atlantikluft. Dass es in Skandinavien unter Tief- statt Hochdruckeinfluss zu nass wurde, erstaunt nicht weiter. Auch wenn die Abweichungen über der Schweiz, Westdeutschland und Frankreich auf der Karte relativ harmlos aussehen: 1-2 mm pro Tag mehr bedeuten auf den Monat aufsummiert 30 bis 60 mm Überschuss. Das sind im Flachland 50 bis 100 % mehr als in einem durchschnittlichen Dezember. Im östlichen Mitteleuropa war die Niederschlagsmenge hingegen vierorts leicht unterdurchschnittlich, lokal wie im Thüringer Becken und im nördlichen Niederösterreich mit teilweise unter 50 % der Klimanorm sogar deutlich zu trocken: Diese Gegenden lagen fast permanent im Lee der nordwestlich gelegenen Mittelgebirge. Die Ursachen werden durch die Grosswettertypen-Statistik verdeutlicht:
Insgesamt 25 Tage vereinnahmten die GWT Nordwest und West je hälftig für sich. Trog Mitteleuropa (zum GWT Nord zugehörig) war nur an den ersten drei Dezembertagen vorherrschend, Trog Westeuropa (GWT Süd) über Weihnachten. Deutlich kälter als die Klimanorm, (gleichbedeutend mit Winter in den tiefsten Lagen) waren denn auch nur der 1. bis 3. und der 9. Dezember. Dass 23 von den 31 Tagen in die Kategorie nass fielen, sagt alles über den Charakter dieses Monats aus.
Die Langfristprognose für den Januar findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
Jahresbilanz 2017
Zum Schluss noch ein paar Karten zum gesamten Jahr 2017:
Auffällig ist das nahezu gänzliche Fehlen von Regionen mit negativer Abweichung zur Klimanorm. Immerhin darf man erfreut feststellen, dass die positive Abweichung im Hohen Norden nicht mehr so extrem ausfällt wie in den beiden Jahren zuvor, wo die Skala von +2.5 Grad grossflächig gesprengt wurde. Über Europa sind die Abweichungen relativ homogen verteilt, einzig Südspanien und die Ukraine stechen mit recht hohen Werten heraus. Interessant ist die Auffälligkeit im südlichen Mitteleuropa, die zum grössten Teil auf das Konto des regional begrenzt kalten Januar geht.
Die deutlich zu trockenen Regionen sind weitgehend identisch mit den Regionen mit deutlich zu hohen Temperaturen. Das ist vor allem in Gegenden, wo der normale Jahresniederschlag bei rund 500 mm liegt, ein Problem: In der Ukraine fehlen im Jahrestotal 2017 stellenweise bis zu 400 mm! Da darf man das Wort Dürre schon mal in den Mund nehmen… Ganz anders sieht es weiten Teilen Mitteleuropas aus, hier verzeichnen wir das nasseste zweite Halbjahr seit Jahrzehnten. Etwas salopp ausgedrückt, haben die Vogesen und der Schwarzwald der Ukraine die Niederschläge geklaut. Das ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, wenn man sich die Verteilung der Grosswettertypen anschaut:
Wir haben es mit einem typischen Jahr der überwiegend gemischten Zirkulation zu tun, sogar noch stärker als 2016. Während die Westlagen mit 25 % leicht unter dem langjährigen Soll von 27 % (Referenzperiode 1881-2008 nach Hess & Brezowsky) bilanzieren, sind die GWT der gemischen Zirkulation deutlich übervertreten: Nordwest mit 21 % (Norm: 8 %), Südwest mit 13 % (5 %) und Tief mit 4 % (2 %) schneiden das grösste Stück vom Kuchen ab, während Hoch mit 8 % statt der üblichen 17 % auch in diesem Jahr deutlich zu kurz kam. Von den GWT der meridionalen Zirkulation kann nur Süd mit 11 % statt 8 % einen Überschuss vermelden. Nord mit 10 % (Norm: 16 %) und Ost mit 7 % (15 %) waren deutlich untervertreten. Damit ist der in Wetterforen oft gelesene Verweis auf die gehäuft auftretenden meridionalen Lagen klar widerlegt. Die in der Karte aufscheinende positive Temperaturabweichung zeigt sich auch in der Verteilung der Witterungstypen: Mit 128 waren deutlich zu warme Tage doppelt so häufig wie die deutlich zu kalten Tage mit 63.
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