Der Dezember 2015 setzt in der Klimageschichte Europas neue Massstäbe. Noch nie wies ein Monat eine derart extreme positive Abweichung zur Klimanorm auf. Bisherige Rekorde wurden regelrecht pulverisiert, so war in weiten Teilen Mitteleuropas der Dezember 2015 noch mal 1 bis 1.5 Grad wärmer als der bisherige Rekordhalter 2006. Damit solches zustande kommt, muss sehr vieles zusammenpassen. Nebst der globalen Erwärmung spielte wahrscheinlich auch El Niño mit rein, und dann war auch noch “General Zufall” beteiligt: Unser kalendarischer Monat ist ja eine willkürlich gewählte Zeitspanne. Dass eine lange Wärmeperiode nicht übergreifend auf zwei Monate verteilt wird und der Kälteeinbruch aus Osten erst zum 31. einsetzte, ermöglichte erst diese extremen statistischen Werte. Dennoch sind diese bemerkenswert, hier ein paar Beispiele: Im nördlichen Mitteleuropa waren die Monate Oktober, November und Dezember 2015 ziemlich genau gleich warm. Beispiel Monatsmitteltemperatur Hannover: Oktober 8.8 Grad, November 8.9 Grad, Dezember 8.9 Grad. In Potsdam, wo die Messreihe bis 1893 zurück reicht, würde der Dezember 2015 an 9. Stelle der wärmsten jemals gemessenen Märzmonate stehen. Und er war dort sogar um 0.1 Grad wärmer als das bisher kälteste Gesamtjahr 1940.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Dezember, erstellt am 30. November, lautete wie folgt:
Die prognostizierte mittlere Druckverteilung des Langfristmodells CFS für den Dezember sieht ein sehr starkes Islandtief, das sich über das europäische Nordmeer bis nach Spitzbergen erstreckt. Als Gegenpol wird eine stark positive Druckanomalie auf dem europäischen Kontinent berechnet, wobei das Zentrum über Osteuropa zu liegen kommen soll. Der Hochdruckgürtel erstreckt sich von Neufundland über die Azoren bis nach Europa, wobei er bei den Azoren eine Schwachstelle aufweist. Dies deutet darauf hin, dass sich das bisher starke Azorenhoch im Verlauf des Monats von Austrogungen des Islandtiefs öfters nach Osten abdrängen lässt. Daraus resultieren häufige Südwest- und zeitweilige Südlagen für Mitteleuropa, die bisher starke Westdrift kommt gelegentlich ins Stottern. Ob dies nur der Anfang eines El Niño-Einflusses darstellt, der die Nordatlantische Oszillation (NAO) im weiteren Winterverlauf schwächt, ist derzeit noch nicht sicher.
Der starke Einfluss atlantischer und subtropischer Luftmassen aus den Sektoren West bis Süd sorgt für einen weiteren milden Monat in weiten Teilen Europas. Für Mitteleuropa ist mit einer Abweichung von der Klimanormperiode 1981-2010 von ungefähr zwei Grad zu rechnen, in Nordeuropa sind Abweichungen von bis zu acht (!) Grad möglich. Das blockierende Hoch über Osteuropa versperrt kontinentalen Kaltluftmassen den Weg nach Europa, hier ist also maximal mit (seltenen) gemässigten Kälteeinbrüchen aus nordwestlicher bis nördlicher Richtung zu rechnen. Wie bereits im Vormonat zeigen sich der Nordatlantik wie auch Südosteuropa und der Nahe Osten kühler als normal.
Starker Hochdruckeinfluss spricht in fast ganz Europa für einen eher zu trockenen Dezember. Einzig Nordwest- und Nordeuropa ist davon ausgenommen, hier sollen die atlantischen Tiefdruckgebiete immer wieder für Regen und Schneefälle sorgen. Ebenfalls lokale positive Signale beim Niederschlag deuten darauf hin, dass die herbstliche Unwettersaison über dem immer noch zu warmen Mittelmeer noch nicht ganz abgeschlossen ist.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Bodendruckfelds gegenüber dem langjährigen Mittel:
Das grossräumige Druckmuster war für eine Monatsprognose erfreulich präzise. Abweichungen gibt es wie bereits im November beim Schwerpunkt des Hochdruckgebiets, der sich statt über Osteuropa nun über Italien einnistete. Auch war die Austrogungstendenz des Islandtiefs in Richtung Azoren stärker als erwartet. Dies hatte für Europa zur Folge, dass Südwestlagen ein noch stärkeres Übergewicht bekamen als prognostiziert. Der dadurch häufiger wehende Wind verhinderte besonders im nördlichen Mitteleuropa die Ausbildung hartnäckiger Inversionslagen mit kalten, nebligen Tagen. Kaltlufteinbrüche aus Nordwest bis Nord waren nicht wie erwartet selten, sondern blieben gänzlich aus. Erst zu den letzten beiden Tagen des Monats sickerte im äussersten Osten des deutschen Sprachraums kontinentale Kaltluft aus Osteuropa ein. Dies wirkt sich bei den Temperaturen so aus:
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Die etwas nach Südwesten verschobene Hochdruckzelle bewirkte dasselbe bei den Temperaturen: Der “Hitzepol” lag nicht wie prognostiziert über Skandinavien, sondern erstreckte sich von Norddeutschland bis ins Baltikum und erreichte Abweichungen von bis zu sieben Grad. Die alpennahen Gebiete mit nebelanfälligeren Tälern wiesen immer noch einen Wärmeüberschuss von drei Grad auf, während in Hochlagen durchschnittlich fünf Grad Abweichung erreicht wurden. Das Gebiet mit negativen Abweichungen über der Türkei und dem Nahen Osten wurde präzise lokalisiert, war allerdings weniger stark ausgeprägt als erwartet. Wenig überraschend war die exakte Prognose der Kälteanomalie von Grönland bis zu den Azoren, die sich dort bereits das ganze Jahr über mehr oder weniger ausgeprägt hält. Dennoch darf man mit der Temperaturprognose nicht zufrieden sein: Man stelle sich vor, der Monat wäre statt 4 Grad wärmer um 4 Grad kühler ausgefallen als prognostiziert, es würde eine negative Abweichung von 2 Grad in Mitteleuropa resultieren. Einzig dass die Richtung “deutlich zu warm” stimmte, macht aus der Prognose keine Katastrophe. Man darf von Langfristprognosen allerdings nicht erwarten, dass sie derart extreme statistische Ausreisser zu erkennen vermögen.
Die Prognose der Niederschlagsverteilung war sehr gut. Einzig der Mittelmeerraum war trockener als erwartet, auch dies eine Auswirkung des verschobenen Hochdruckkerns:
Der niederschlagsreiche Streifen über die Britischen Inseln hinweg bis nach Skandinavien ist stärker auf dieses Gebiet konzentriert, laut Prognose hätte er auch den Nordwesten des europäischen Festlands tangieren sollen. Mit nur einer einzigen kurzen Nordwestlage wäre dies auch eingetreten, doch blieb diese wie schon oben erwähnt aus:
War der November bereits ein Kuriosum, so wird der Dezember 2015 wohl als einmaliger Ausreisser in die Statistik eingehen. Nur drei normal temperierte Tage stehen 28 deutlich zu warmen Tagen gegenüber, Kaltphasen blieben gänzlich aus. Die Grosswetterlage war nur von den drei Typen West, Südwest und Süd geprägt, wobei fast die Hälfte auf das Konto von Südwest geht und alle Tage mit Ausnahme des 1. Dezembers antizyklonal (hochdruckbestimmt) geprägt waren.
Die Langfristprognose für den Januar findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
Jahresbilanz 2015
Zum Schluss noch ein paar Karten zum gesamten Jahr 2015:
Auffällig ist die extreme Verteilung von kaltem Atlantik und warmem Kontinent, wobei Ost- und Nordeuropa regional Wärmeüberschüsse von mehr als 2 Grad gegenüber der Klimanormperiode 1981-2010 aufweisen. Im deutschen Sprachraum liegt die Abweichung meist zwischen 1 und 1.5 Grad, womit 2015 oft mit 2014 als wärmstes Jahr der modernen Wetteraufzeichnungen gleichauf liegt. Regional war 2014 ein wenig wärmer, was vor allem auf die deutlich milderen Monate Januar bis April zurückzuführen ist, während in Gebieten mit extrem warmem November und Dezember sowie dem deutlich wärmeren Hochsommer 2015 knapp die Nase vorn hat.
Die Abweichung der Niederschlagsverteilung gegenüber dem Klimamittel 1981-2010 zeigt einen deutlich zu trockenen Streifen von Portugal über das nördliche Mitteleuropa hinweg bis nach Osteuropa, der die nassen Gebiete im Mittelmeerraum und in Nordeuropa voneinander trennt. Dabei ist eine deutliche Südwest-Nordost-Ausrichtung zu erkennen, was auf eine Abweichung von der normalerweise westwindgeprägten Klimazone Europas hinweist. Diese wird in der Statistik der Grosswettertypen ersichtlich:
Südwestlagen waren mit 19 % deutlich übervertreten, im langjährigen Schnitt tritt dieser Grosswettertyp (GWT) nur zu 5 % auf. Auch Südlagen waren häufiger (10 % statt 8 %), während Nordwest- (5 % statt 8 %) und Westlagen (24 % statt 27 %) seltener waren. Auch der Grosswettertyp “Hoch”, bestehend aus Hoch Mitteleuropa und Brücke Mitteleuropa war mit insgesamt 9 % statt 17 % deutlich untervertreten. Dies wird aber dadurch relativiert, dass häufiger antizyklonale Wetterlagen auftraten als üblich (z.B. Verhältnis West zyklonal zu West antizyklonal je 11 %, normal wären Wz 16 % und Wa 6 %, ähnlich sieht es bei den Südwestlagen aus). Keine Auffälligkeiten weisen die GWT Nord und Ost auf, beide zusammen liegen im langjährigen Schnitt, wobei die 2 % die bei Ost fehlen, von Nord kompensiert wurden.
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