Der Dezember 2021 hat geliefert, was man von einem Dezember im neuen Klima erwarten kann. Ordentlich Winter in den Bergen, ein bisschen im Flachland, aber nur in den ersten zwei Dritteln des Monats. Das Weihnachtstauwetter kam im Alpenraum pünktlich wie die SBB (also mit ein paar Minuten Verspätung) oder in Norddeutschland wie die DB (mit ein paar Tagen Verspätung). Als Sahnehäubchen auf der Wettertorte 2021 endete das Jahr mit teilweise fulminanten Wärmerekorden, nachdem es zuvor noch bis auf über 2500 Meter geregnet hatte. Und so wurde auch aus diesem bisher noch “normalen” Dezember ein milder, wenn auch nach der neuen Klimanorm 1991-2020 nur knapp, aber deutlich gegenüber den früheren Referenzperioden.

Echten Winter gab es auch in diesem Dezember – zumindest auf über 700 m (östlich von Bern, 13.12.2021), weiter unten bleib es meist bei Matsch
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Dezember, erstellt am 30. November, lautete wie folgt:
Der zu unserer Idealvorstellung zwar nicht perfekt, aber zumindest annähernd passende Lauf zeigt eine Hochdruckanomalie über dem Ostatlantik mit Aufbuckelungstendenzen nach Norden. Ein blockierendes Hoch liegt über Westrussland, dazwischen eine sich von Island über Mittel- nach Südosteuropa erstreckende Rinne, wo die Tiefdruckanomalie am stärksten ausgeprägt ist. Dieses Muster kommt durch eine starke Austrogung über Mittel- und Osteuropa zu Beginn des Monats zustande, während sich die Verhältnisse über dem Nordatlantik (starkes Islandtief und starkes Azorenhoch) zur Monatsmitte normalisieren sollen und eine etwas mildere Westwindphase bringen (vorgezogenes Weihnachtstauwetter). Das letzte Monatsdrittel soll laut dem europäischen Modell eher hochdruckbestimmt verlaufen, also entweder Hoch Mitteleuropa oder eine Hochdruckbrücke mit einem Schwerpunkt eher über dem nördlichen Mitteleuropa auf der Achse Britische Inseln bis Ostsee, die Alpen somit wahrscheinlich in einer östlichen Anströmung. Das Problem dabei, und daher wohl das Gewackel der Modelle: Rutscht das Hoch zu sehr nach Norden, ist einem markanten Kaltlufteinbruch aus Nordost Tür und Tor geöffnet, diese Option ist also durchaus auf der Menükarte enthalten.
Die Karte mit der Temperaturabweichung zeigt den Kampf zwischen mildem Westen und kalten Osten recht eindrücklich – wer gewinnen wird bleibt offen. Im Idealfall kommt für Mitteleuropa ungefähr ein normal temperierter Monat heraus, in dem sich kältere und mildere Phasen in etwa ausgleichen. Das Schwarze Meer liegt auf der Vorderseite des Troges im ersten Monatsdrittel und somit für längere Zeit in einer milden Südströmung, was die hohen Abweichungen nach oben in dieser Region erklärt. Die tiefrote Zone am nördlichen Rand der Karte bringen wir nicht mehr weg, die ist inzwischen mehr oder weniger fix und eine Folge des arg geschrumpfen Arktis-Eises.
Mitteleuropa erlebt nördlich des Alpenbogens einen nassen Dezember, wobei der Grossteil des Niederschlags im ersten Monatsdrittel unter dem Einfluss der Nordwestlage fallen soll. Das bedeutet eine ordentliche Ladung Schnee in höheren Lagen, der für eine Weile reichen dürfte: Jahreszeitliche Höchststände liegen hier durchaus drin. Ganz anders südlich des Alpenhauptkamms: Mangels Südwest- und Südlagen bleibt es hier weitgehend trocken.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Bodendrucks gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die Ausrichtung der prognostizierten Tiefdruckrinne war deutlich zonaler als erwartet – nicht zuletzt wegen des fehlenden Hochdrucks bei den Azoren. Die Umstellung auf eine südliche Westlage zu Weihnachten war brachial und hat die ganze Monatsbilanz auf dem Atlantik über den Haufen geworfen. Für Kontinentaleuropa ist die Prognose hingegen gut, der Monat war wie erwartet überwiegend tiefdruckbestimmt mit einer Woche Hochdruck um die Monatsmitte und noch mal drei Tagen zum Schluss.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur 2 Meter über Boden zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Manchmal staunt man wie genau die Temperaturprognosen regional sein können, wenn man beispielsweise Skandinavien im Speziellen und Osteuropa im Allgemeinen betrachtet. Mitteleuropa wurde dank der Karibik-Wärme zum Monatsende noch milder als erwartet, ganz klar daneben lag die Prognose aber vor allem in Grönland.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Erstaunlich gut gepasst haben die Niederschlagsprognosen in weiten Teilen Europas, insbesondere in Südosteuropa. Völlig daneben lag sie aber im zentralen Nordatlantik, was aufgrund der gezeigten Abweichung beim Luftdruck nicht weiter erstaunt. Das nördliche Mitteleuropa wurde nicht ganz so doll bewässert wie prognostiziert, insbesondere ein Streifen quer durch die Mitte Deutschlands war sogar deutlich zu trocken. Hingegen war die Prognose im Alpenraum mit der deutlichen Wetterscheide viel besser als es die grob aufgelöste NOAA-Analyse zeigt. Sichtbar wird dies mit den detaillierten Analysen der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Gerade mal zwei Tage haben das Kriterium für einen zu kalten Tag knapp geritzt, und selbst das nicht in allen Regionen. Die meisten der “normalen” Tage waren aber leicht unter dem Mittel 1981-2010, in Bern waren es zum Beispiel deren 17. Die sehr warmen Tage in der Altjahrswoche haben aber den Monatsdurchschnitt deutlich über das Mittel gehoben. Mit je der Hälfte trockene und feuchte Tage ist diese Bilanz unauffällig. Die schiefe Verteilung von kühlen und warmen Tagen zeigt sich in der Bilanz der Grosswettertypen, waren doch 17 Tage unter dem Einfluss von Luftmassen aus dem Nordsektor. Hochdrucklagen sind im Winter in den Niederungen auch meist unterkühlt, während sie im Gebirge das Monatsmittel der Temperatur in der Regel deutlich nach oben treiben.
Die Langfristprognose für den Januar findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
Jahresbilanz 2021
Selbst in der Jahresbilanz der Temperaturabweichung tritt es zutage: In diesem Jahr konnte es fast überall zu warm sein, aber im Dreiländereck CH/DE/FR ist alles ganz anders. Hier bilanzieren sechs Monate unter dem langjährigen Schnitt (April, Mai, Juli, August, Oktober und November), wobei vor allem die Frühlingsmonate stark zu Buche geschlagen haben. Der kalte Fleck wird allerdings in dieser Karte viel zu gross angezeigt, an den meisten Stationen auf der Alpennordseite betrug die Abweichung zwischen 0.0 und +0.3 Grad zu 1981-2010. Gespürt haben wir die Kapriolen dieses Jahres vor allem am mickrigen Angebot von einheimischem Obst und Gemüse: Wo nicht die Fröste im Frühling alles vernichtet haben, gaben ihm Hagel und Überschwemmungen im Sommer den Rest.
Apropos Überschwemmungen: Das viel zu nasse Jahr in weiten Teilen Europas wird hier gut sichtbar. Man kann bereits anhand der Niederschlagsverteilung erahnen, dass immer wieder Tröge über West- und Mitteleuropa zwischen den beiden Hochdruckzellen auf dem Nordatlantik und über Osteuropa eingeklemmt waren. Die Verteilung der Grosswettertypen über das Gesamtjahr gibt Aufschluss:
Als erstes sticht bei den Grosswettertypen der hohe Anteil an Nordwestlagen besonders deutlich ins Auge (Norm 2001-2020: 9.7%), Nordlagen traten etwa im erwartbaren Rahmen auf (Norm: 15.7 %). Auch die nass-kühlen Tiefdrucklagen waren stärker vertreten als sonst (Norm: 2.1 %). Der Trend zu abnehmenden Westlagen wurde fortgesetzt (Norm: 23 %), damit im Gleichschritt einher geht auch die Abnahme der Hochdrucklagen (Norm 15.4 %). Entgegen dem langjährigen Trend waren Südwestlagen diesmal schwächer vertreten (Norm: 10.6 %), hingegen waren Südlagen stark übervertreten (Norm: 10.7 %), wahrscheinlich auf Kosten der Ostlagen (Norm: 12 %). Insgesamt setzte sich der Trend der letzten 20 Jahre zu weniger zonaler und mehr gemischter Zirkulationsform fort, ebenfalls der Trend zu mehr Lagen aus dem Südsektor, vor allem befeuert durch die starke Zunahme von Trog Westeuropa, aber auch Tief Britische Inseln (hingegen blieben die beiden anderen Südlagen, SA und SZ, in diesem Jahr vollständig aus, was aber nicht sehr aussergewöhnlich ist, sie gehörten schon immer zu den seltensten GWL überhaupt).
In diesem Kontext ist auch die Gesamtjahresabweichung des Geopotenzials interessant:
Anders als in den letzten Jahren blieb 2021 diesbezüglich über Mitteleuropa unauffällig – wir hatten ja zuletzt immer mehr mit dem Aufwölben des subtropischen Hochdruckgürtels und damit einhergehender Trockenheit zu kämpfen. Schaut man sich diese Karte an, so könnte man zum Schluss kommen, dass die Nordatlantische Oszillation (NAO) in diesem Jahr negativ war. Dies ist jedoch ein Trugschluss: Eine Abweichung dieses Ausmasses bedeutet noch nicht die völlige Umkehr, sondern nur die Schwächung der positiven NAO. Sichtbar wird dies mit der Karte des realen durchschnittlichen Luftdrucks 2021:
Hier wird klar, dass die normale zonale Zirkulationsform immer noch einigermassen intakt ist. Der Druck auf Island war allerdings um etwa 3 hPa höher als normal, jener auf den Azoren um etwa 1 hPa tiefer. Die regelmässig von den West- und Mitteleuropatrögen abtropfenden Tiefs ins Mittelmeer werden aber sogar auf dieser Jahresmittelkarte sichtbar, ebenso die sich regelmässig dahinter aufbauende Hochdruckbrücke Mitteleuropa. Und: Die Westwindzone kippt im Mittel auf dem Atlantik allmählich etwas nach Südwest. Es wird spannend zu beobachten sein, wie sich dieser Trend in den nächsten Jahren weiterentwickelt.
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Kurt Nadler am 13. Januar 2022 um 17:35 Uhr
interessant die (großräumigen) jahresbilanzkarten, danke, kriegt man als laie nicht so mir nix dir nix.
bei der t-abweichungskarte kommt eine gravierende, weit verbreitete drucksteigerung zum ausdruck. nie von so was gehört. was hat die für bewandtnis in sachen klimawandel??
mit besten grüßen!