Auch der Dezember 2020 wurde seinem neuen Ruf als vollwertiger Spätherbstmonat vollkommen gerecht. Zwar gab es zu Beginn und zum Ende des Monats durchaus winterliche Tage, zumindest ab leicht erhöhten Lagen. Im Tiefland hingegen musste man Schneeflocken und Frost mit der Lupe suchen gehen. Dafür glänzte dieser Monat wieder mal mit Rekorden: Sei es als trübster Monat seit Messbeginn (etwa auf der Alpensüdseite) oder als niederschlagsreichster Dezember seit über 150 Jahren (ebenfalls auf der Alpensüdseite, insbesondere in Friaul, in Süd- und Osttirol sowie Teilen Kärntens). Auch wurden regional neue Schneehöhenrekorde für Dezember erreicht (natürlich nur in Gebirgslagen südlich des Alpenhauptkamms). In den Niederungen sorgte die erneute Verweigerung des Dezembers hingegen dafür, dass das Kalenderjahr 2020 als Jahr ohne Winter in die Geschichte eingeht. Regional, vor allem in Teilen Norddeutschlands sowie generell in erhöhten Lagen stiess 2020 die bisher wärmsten Jahre 2018 und 2019 gleich wieder vom Thron. In den tieferen Lagen wurde der Rekord verpasst, wenn auch oft nur um wenige Hundertstel Grad.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Dezember, erstellt am 30. November, lautete wie folgt:
Noch selten sahen wir die Läufe der Langfristmodelle für den kommenden Monat so einig. Egal, was man sich anschaut: Überall ist dasselbe Muster zu finden. Blockierendes Hochdruckgebiet über Ost- bzw. Nordosteuropa, stabiles und nach Norden aufsteilendes Azorenhoch und dazwischen von Island bis ins westliche Mittelmeer Tröge und abtropfende Tiefs. Das war mal das typische meridionale Zirkulationsmuster des Novembers, nun verschiebt es sich also mehr und mehr in den Dezember. Wann sich das Dezember-typische Westlagenmuster einstellen soll, bleibt anhand dieser Karten ein Rätsel. Vielleicht zum Jahreswechsel oder noch später – wir werden sehen…
Die Qual der Wahl für unsere Prognose liegt also für einmal nicht in unterschiedlichen Grundszenarien, sondern im Detail, wie stark ausgeprägt Blockadelage sowie Stärke und Häufigkeit der westeuropäischen Tiefdruckgebiete sein werden. Taktisch ist es klüger, sich nicht auf Extremrechnungen einzulassen, daher haben wir einen Lauf rausgepickt, der die ganze Sache gemässigt angeht. Damit soll aber auch gleich vorausgeschickt werden, dass das Gefälle der Temperaturabweichung von Ost nach West durchaus stärker auftreten kann als dargestellt. Dass die Grosswetterlage mehr oder weniger den ganzen Monat persistent bestehen bleibt, liegt also zumindest im Bereich des Möglichen. Südlagen aller Art werden also dominieren, insbesondere Trog Westeuropa, Tief Britische Inseln und Süd zyklonal, aber auch Südostlagen sind zu erwarten. Tropft ein Tief nach Süden ab, kann sich für einige Tage eine Hochdruckbrücke über Mitteleuropa bilden, bevor sich das nächste Tief von Island in Richtung Biskaya bewegt. Für andere Grosswetterlagen bleibt bei der aktuellen Kartenlage wenig Platz, Ausnahme bildet gleich der Monatsbeginn mit Trog Mitteleuropa – eine zum Grosswettertyp Nord zugehörige Lage, die uns kurz etwas Winter bringt.
Diese Konstellation verursacht ein – wenig überraschend – stark überwärmtes Nordeuropa, aber auch weite Teile Mittel- und Südeuropas werden einen deutlich zu milden Dezember erleben. Eher unterdurchschnittlich wird es an den Westküsten Europas von Irland bis nach Portugal und sogar noch weiter nach Süden bis Westafrika, ein zweiter Kältepol wird nordöstlich des Schwarzen Meers gerechnet. Interessant ist die Verteilung im Alpenraum: Bis zu +4 Grad inneralpin deutet auf häufigen Föhneinfluss hin, während im nördlichen Alpenvorland ein durchschnittlicher Monat gerechnet wird – der Hochnebel lässt also weiter grüssen, der warme Südföhn gleitet einfach darüber hinweg.
Durch die dominierenden Südlagen wird die Alpensüdseite und überhaupt der westliche und zentrale Mittelmeerraum deutlich überdurchschnittliche Niederschlagsmengen erhalten. Aufgrund des nach wie vor zu warmen Mittelmeers ist mit Unwettern und Überflutungen zu rechnen. Mitteleuropa, aber insbesondere Nord- und Osteuropa bleiben deutlich zu trocken. Ausnahme bildet in fast allen Modellrechnungen das Gebirge in Südnorwegen, wo sich südöstliche Winde stauen. Die extrem trocken gerechnete norwegische Küste deutet darauf hin, dass Westlagen in diesem Monat keine Chance haben.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Bodendrucks gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die grossräumig blockierte Zirkulation stand bei der Prognose ja ausser Frage, daher überrascht die gute Übereinstimmung wenig. Abstriche muss man bei der Position der Tiefdruckanomalie hinnehmen, die etwas nach Norden gerutscht ist, und beim geringeren Einfluss des Russlandhochs auf Skandinavien. Und weil wir bei Extremprognosen wenig risikofreudig sind, war das Tief doppelt so beständig als erwartet: Es dominierte fast den ganzen Monat, wie wir bei der Grosswetterlagenstatistik noch sehen werden.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur am Boden zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Erwischt man im Winter die richtige Prognose bei der Druckverteilung, kann auch bei der Temperatur nicht allzu viel schiefgehen. Die über der Ukraine gerechnete Kälte wurde gleich wie das Hoch etwas nach Osten abgedrängt, die kühlere Region zwischen dem sehr warmen Skandinavien und dem ebenso warmen Südosteuropa ist aber auch in der Analyse zu erkennen, wenn auch nicht mit negativen Abweichungen. Verblüffend exakt war die Prognose in Nordeuropa, während in Westeuropa die Wärme ebenfalls regional etwas Boden gutmachen konnte, was wohl hauptsächlich der Südwestlage zur Monatsmitte bis Weihnachten zuzurechnen ist. Mehr Details und einen weiteren Ausschnitt nach Osten bietet diese Darstellung.
Auch bei der Niederschlagsprognose kann nicht viel passieren, wenn die Zirkulationsform so persistent gerechnet wird. West- und Südeuropa waren wie erwartet deutlich zu nass, wobei die lokalen Rekorde im Südstau der Alpen auf dieser groben Karte nicht aufgelöst werden können. Dazu konsultiert man besser die Karten der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Die kühlen Tage zu Beginn und Ende des Monats lagen im überregionalen Schnitt innerhalb der normalen Schwankungsbreite (+/- 1 Sigma vom gleitenden 30-jährigen Mittel), sodass erneut kein einziger Tag das Kriterium „kalt“ erfüllte. Demgegenüber stiessen zehn Tage in den Bereich „warm“ vor. Abgesehen von fünf Tagen des Grosswettertyps Nord war der ganze Monat von Wetterlagen des Südsektors dominiert, denn die vier Tage des GWT Ost gehen auf eine Südostlage zurück. Unsere Theorie, dass sich mit schrumpfender Arktis-Eisfläche die Meridionalität des Herbstes insbesondere mit seinen Südlagen immer mehr nach hinten verschiebt, wurde somit eindrücklich bestätigt. Ebenso, dass unter diesen Voraussetzungen Westlagen komplett abgemeldet sind.
Die Langfristprognose für den Januar findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
Jahresbilanz 2020
Der Trend der letzten Jahre, dass sich vor allem Osteuropa stark erwärmt, hat sich fortgesetzt und sich weiter nach Norden gefressen. Die negative Anomalie auf dem Atlantik hat sich mit einer erneuten Abkühlung des Meerwassers in dieser Region wieder vergrössert. Dies verstärkt die Tendenz zu Austrogungen über dem östlichen Nordatlantik und Westeuropa und die Stützung von Hochdruckgebieten über Osteuropa, wie sich in den Abweichungen des Geopotenzials gegenüber dem langjährigen Mittel deutlich abzeichnet:
Die nächsten Jahre werden zeigen, ob es sich hierbei um einen positiven Rückkoppelungseffekt handelt, sich dieses System also selbst erhält und laufend verstärkt. Der Trend seit 2014 lässt dies zumindest vermuten.
Wenig erstaunlich bei zunehmendem Hochdruckeinfluss ist die Tatsache, dass auch in diesem Jahr Osteuropa erneut unter einer starken Trockenheit gelitten hat. Auch das trockene Deutschland (inkl. Nordschweiz sowie Teile Westösterreichs) inmitten sonst eher nassen Regionen ist auffällig. Ein Grund hierfür dürfte sein, dass bei zunehmenden Süd- und Ostlagen die Gebirge (Alpen, Böhmerwald, Erzgebirge) einen Grossteil der Feuchtigkeit auffangen und somit viele Regionen Deutschlands im Lee verbleiben. Westlagen hingegen bringen weniger Niederschlag, weil sich hohes Geopotenzial und Hochdruck von Süden her bemerkbar machen und atlantische Fronten in ihrem Südteil abschwächen, bzw. die ganze Frontalzone nach Norden verschoben wird.
Der Anteil kalter Tage ist mit 42 exakt auf dem tiefen Vorjahresniveau gleich geblieben, während die warmen Tage noch mal um zehn zugelegt haben. Dabei ist bemerkenswert, dass keiner der kalten Tage auf die Wintermonate Januar, Februar und Dezember fiel, alle anderen Monate aber zumindest ein paar kalte Tage aufzuweisen haben. Letztes Jahr haben wir uns über den neuen Tiefstwert-Rekord in Bern-Zollikofen von -8.1 °C gewundert, dieser wurde 2020 noch mal deutlich übertroffen: Es wurde im ganzen Jahr nie kälter als -6.0 °C. Wenn das so weitergeht, dürfen bald einmal Wetten abgeschlossen werden, wann auf dem Festland erstmals ein Jahr frostfrei bleibt. Auf der Nordseeinsel Helgoland war dies 2020 bereits der Fall (Messbeginn Mai 1952): Hier beträgt die Tiefsttemperatur des Jahres +1.1 °C.
Die Abweichungen der Grosswettertypen zur langjährigen Statistik (1881-2008) zeigen: West-, Nordwest- und Ostlagen waren 2020 genau in der Norm, Hoch und Tief Mitteleuropa sowie Südlagen weisen nur eine Abweichung von einem Prozentpunkt auf. Deutlicher untervertreten waren Nordlagen (Norm: 16 %), während sich der steigende Trend bei den Südwestlagen (Norm: 5 %) erneut verstärkt hat. Auch der Trend, dass innerhalb des GWT Ost die Südostlagen zunehmen, hat sich bestätigt: Sie traten 2020 mit 26 Tagen doppelt so häufig auf wie im langjährigen Schnitt. Die Verschiebung fand also einmal mehr nicht etwa weg von zonalen Lagen zu mehr Meridionalität statt, sondern geschah innerhalb der meridionalen und gemischten Lagen weg vom Nord- hin zum Südsektor, was wiederum gut zu den gezeigten Temperatur-, Niederschlags- und Geopotenzialabweichungen passt.
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