Ein wahrlich kurioser Sommer war das. Im Juni stand das Wetter Kopf (kühler Süden, warmer Norden), im Juli erklärte man den Sommer im Norden für beendet und wurde genau dort im August mit der längsten Hitzewelle seit Beginn der modernen Aufzeichnungen überrascht (örtlich bis zu sieben Tage mit über 30 Grad am Stück). Im Alpenraum wurde er deutlich zu nass, während unweit davon (etwa in der Nordwestschweiz) eine Trockenheit wie noch selten herrschte, und das bereits im dritten Jahr in Folge. Hinzu kommt, dass der Siebenschläfer auf halber Strecke schlapp machte – er hatte es wohl im Juli allzu gut machen wollen und sich dabei zu sehr verausgabt – möge er in Frieden ruhen.

Das erste, den nahenden Herbst ankündigende Sturmtief in der letzten Augustwoche malte bezaubernde Wolkenstimmungen an den Himmel (Berner Mittelland, 27.08.2020)
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den August, erstellt am 31. Juli, lautete wie folgt:
Der von uns favorisierte Modelllauf zeigt eine deutliche, aber nicht extreme Hochdruckanomalie über Mitteleuropa, während sich die Tiefdruckanomalie auf den zentralen Atlantik zurückzieht. Die Abweichungen sind vom Betrag her nicht extrem, sodass davon ausgegangen werden kann, dass in der ersten Monatshälfte Hochdrucklagen in Europa dominieren werden, während die zweite Monatshälfte wahrscheinlich ungefähr im klimatologischen Mittel verläuft – also eher wieder wechselhaft mit verschiedenen Grosswetterlagen, wobei Westlagen und ihre nahen Verwandten wohl das Sagen haben werden. Erfahrungen aus ähnlich verlaufenden Augustmonaten in der Vergangenheit zeigen, dass dazu meist auch ein erster (vorübergehender) Kälteeinbruch gegen Ende des Monats dazugehört, bei dem die Schneefallgrenze erstmals etwas unter 2000 m fallen kann. Muss nicht sein, sollte man aber darauf gefasst sein.
Durch den permanenten Tiefdruck auf dem Nordatlantik und Hochdruck über Mittel- und Osteuropa wird vor allem in der ersten Monatshälfte häufig heisse Luft aus Südwest bis Süd in Richtung West- und Mitteleuropa geführt, was dort den Schnitt der Monatsabweichung auf ungefähr zwei Grad über das langjährige Mittel hebt. Wenn man von der einleitend erklärten Konstellation einer Zweiteilung des Monats ausgeht, so dürfte die Abweichung der ersten Monatshälfte bei etwa vier Grad liegen, während die zweite Hälfte im langjährigen Mittel 1981-2010 landet. Im Gegenzug zeigt sich eine deutlich negative Temperaturanomalie über dem zentralen Nordatlantik. Ob sich da bereits wieder das Muster für den kommenden Winter einstellt…?
Im Flachland Mitteleuropas dürfte auch der August vielerorts zu trocken ausfallen – zumindest in der ersten Monatshälfte ist da nicht mit nennenswerten Niederschlagsmengen zu rechnen. Ein Überschuss zeichnet sich im Bergland und insbesondere am Alpenhauptkamm sowie südlich davon ab – das Resultat von Gewittern bei südwestlicher bis südlicher Anströmung. Auch die Überschüsse in Nordspanien und Frankreich dürften hauptsächlich auf wenige, aber heftige Gewitterereignisse zurückzuführen sein. Das nasse Band in der Karte von den Azoren über die Britischen Inseln bis Norwegen zeichnet die wohl dominierende Südwestströmung und die häufigste Position der Polarfront in diesem Monat nach.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m gegenüber dem langjährigen Mittel:
Ein zonales Zirkulationsmuster mit für die Jahreszeit aussergewöhnlich südlichem und starkem Tiefdruckzentrum auf dem Nordatlantik und ein meridionales Zirkulationsmuster auf dem Kontinent – diese spezielle Konstellation hatte das Langfristmodell in keinem Lauf auf dem Schirm und es hätte auch viel Fantasie der Meteorologin benötigt, um auf sowas zu kommen. Sommerfreunde in Mitteleuropa können von Glück reden, dass sich der prognostizierte Hochdruck nur wenig nach Nordosten verschoben und dem Druck vom Atlantik gerade noch die meiste Zeit Paroli geboten hat – sich eine permanente südliche Westlage im Hochsommer vorzustellen, na besten Dank aber auch! Mit der Fehleinschätzung des Zirkulationsmusters (bei dem zumindest für die erste Augusthälfte auch immer noch ein bisschen die Siebenschläfer-Regel ein Wörtchen mitredet) war die Grundlage für eine vollkommene Prognosepleite gelegt. Das traf allerdings für den uns wichtigsten Bereich – nämlich für Mitteleuropa – überhaupt nicht ein, wie wir gleich sehen werden.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Mit einer krassen grossflächigen Unterschätzung der Wärme hat das Langfristmodell einen echten Bauchklatscher hingelegt, zumal die wenigen kalten Flecken auch noch am falschen Ort liegen. Dass der Betrag der positiven Abweichung über weiten Teilen Mitteleuropas recht gut passt, beruht mehr auf Glück als Verstand – wobei das Modell diesbezüglich noch weit schlechtere Läufe geliefert hatte mit Lösungen für einen leicht bis teils deutlich zu kühlen August. Immerhin wurden diese Kältefantasien zurecht ignoriert, womit die Prognose für Mitteleuropa doch nicht nur einfach Glücksache war. Sogar die Einschätzung, dass die erste Monatshälfte heiss und die zweite nahezu normal temperiert wird, hat recht gut hingehauen. Schauen wir uns die Auswirkung am Boden noch etwas genauer an:
Der Wärmepeak mit knapp drei Grad über dem langjährigen Mittel lag ausgerechnet über Nordwestdeutschland, nur schon das alleine lässt einen verwundert die Augen reiben. Allerdings liegt die Klimanorm in dieser sonst maritim geprägten Ecke derart niedrig, dass krasse Ausreisser die Folge sein müssen, wenn sich dort dank kontinentaler Luftmassen doch mal ordentlicher Sommer einstellt. Einerseits lag Norddeutschland die meiste Zeit am nächsten beim Hoch (die absolut wie auch relativ sonnigsten Stationen dieses Monats liegen rund um Nord- und Ostsee), andererseits sorgten Föhneffekte von den Mittelgebirgen bei häufig südöstlicher Anströmung für zusätzliche Wärme. Den kalten Fleck im zentralen Nordatlantik werden wir wohl so schnell nicht wieder los. Wie wir inzwischen wissen, ist er nicht Folge, sondern Ursache der dortigen Tiefdruckbildung, was zu einem sich selbst erhaltenden System beiträgt und unsere Grosswetterlagen nachhaltig prägt.
Auch die Niederschlagsverteilung wurde nicht sonderlich gut modelliert:
Statt einer Südwest-Nordost ausgerichteten nassen Zone finden wir eine in West-Ost-Richtung und einen grossen Cluster, der das östliche Mitteleuropa, die Südalpen und den Balkan bedeckt. Diese enormen Regenmengen sind zum grössten Teil auf die Unwetterlage in den letzten Augusttagen zurückzuführen. Wie immer lohnt sich für die grossen regionalen Unterschiede ein Blick in die feiner aufgelösten Karten der Landeswetterdienste – spätestens dann wird allen klar, was auch die Ortsansässigen längst bemerkt haben, nämlich dass es im Ruhrgebiet und am Niederrhein alles Andere als zu nass war: (Schweiz, Deutschland, Österreich).
Nur zwei deutlich unterkühlte Tage stehen 17 warmen gegenüber, während sich die trockenen und nassen Tage den Monat brüderlich aufgeteilt haben, so gut es eben bei ungerader Anzahl Tage geht. Interessant ist der bunte Mix an Grosswettertypen, bei denen einzig Nordwest und Tief (Mitteleuropa) fehlen. Völlig korrekt war unsere Prognose dahingehend, dass die Wetterlagen im Südsektor zusammen mit dem GWT Hoch 18 Tage verbuchen konnten und sich West erst gegen Ende des Monats zurückmeldete, was angesichts der verworrenen Modellrechnungen eigentlich erstaunt. Manchmal ist das Bauchgefühl der Meteorologin eben doch den Langfristmodellen überlegen 😉 Womit wir noch ein paar Worte zu unserer Siebenschläfer-Prognose verlieren möchten. Wie der Grosswettertypen-Mix im Vergleich zu jenem vom Juli zeigt, waren die beiden Monate völlig unterschiedlich geprägt. Oder anders ausgedrückt: Aus dem Siebenschläfer wurde ein Vierschläfer. Gerade mal gut vier Wochen hat nämlich die Persistenz des zonalen Zirkulationsmusters gehalten, genauer gesagt vom 30. Juni bis zum 29. Juli:
Man kann daraus den Schluss ziehen: Selbst wenn die Siebenschläfer-Regel nur halb hinhaut, für den Juli ist sie extrem zuverlässig. Ob man das Jahr 2020 nun zu den etwa 70 % zählen darf, in denen die Regel für das südliche Mitteleuropa zutrifft???
Die Langfristprognose für den September findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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Microwave am 8. September 2020 um 13:48 Uhr
Hoi Fabienne, danke für die Verifizierung!
Eine kleine Frage habe ich noch:
<>
Käme das nicht recht witzig? Ok, ich stelle mir jetzt grad eine
feucht-heisse Witterung vor, aber vielleicht würde ja auch etwas
anderes geschehen…
Grüsse – Microwave
Microwave am 8. September 2020 um 13:50 Uhr
Das Zitat hat nicht geklappt.
Das sollte das Zitat sein:
“sich eine permanente südliche Westlage im Hochsommer vorzustellen, na besten Dank aber auch!”
Hoffe jetzt versteht man es besser 🙂
Grüsse – Microwave
Fabienne Muriset am 8. September 2020 um 16:49 Uhr
Hallo Microwave
Man kann es sich schlecht vorstellen, weil die GWL “südliche Westlage” (Abk: WS) vor allem ein Phänomen des Winters ist. Ihr Auftreten im Sommer deutet auf ein gestörtes Zirkulationsmuster hin. In den letzten 130 trat diese GWL in den Sommermonaten in weniger als 2 % aller Tage auf, am ehesten noch im Juni (zuletzt 2014 und 2012, siehe auch https://www.orniwetter.info/wetterlagenkalender/ ). Die Auswirkung im Sommer ist eine sehr nasse und eher kühle Witterung, und selbst wenn sie meist nur kurz auftritt, so mündet sie doch nicht selten in andere Sauereien wie Tief Mitteleuropa, Trog Mitteleuropa oder Nordost zyklonal.
Grüsslis
Fabienne