Mit dem heutigen kalendarischen Frühlingsbeginn verlassen wir nun endgültig das Winterhalbjahr, ab heute sind die Tage wieder länger als die Nächte. Ein guter Zeitpunkt, um auf den vergangenen Winter zurückzublicken, unsere Winterprognose von Ende November kritisch zu begutachten und Lehren für die Zukunft zu ziehen. Wobei das mit dem Lernen in Zeiten sich rasant verändernder Ausgangsbedingungen vor allem in der Arktis so eine Sache ist. Bereits in der Prognose haben wir auf die daraus folgenden Unsicherheiten mehrfach hingewiesen, und entsprechend sind die Überraschungen in diesem Winter nicht ausgeblieben. Erfahrungen und Statistiken bringen einen nicht mehr allzu weit, wenn Verhältnisse vorherrschen, die noch kein Mensch (und kein Wettermodell) jemals gesehen hat. Man kann höchstens im Gewirr der vielen Einflussmöglichkeiten, positiven und negativen Rückkoppelungen physikalischer Gesetze versuchen, sich die Resultate zusammenzukombinieren. Dass dabei schlussendlich immer der Konjunktiv gewinnt, liegt auf der Hand…
Die mittlere Luftdruckverteilung über die drei Wintermonate Dezember, Januar und Februar auf der Nordhemisphäre von Amerika über den Nordatlantik bis Europa (Karte oben) beschert uns schon mal das erste Aha-Erlebnis. Vergleichen wir das Druckmuster mit dem vorjährigen Winter, so sieht es auf den ersten Blick fast gleich aus. Das mag erstaunen, hatten wir doch vordergründig einen anderen Winterverlauf. Aber: Dezember und Februar waren jenen des Vorjahres sehr ähnlich, einzig der Januar tanzt aus der Reihe. Wir müssen die Unterschiede in den Details suchen: In diesem Winter war der Hochdruck in Mitteleuropa dominanter als im Vorjahr, wo das Zentrum südlicher auf der Achse Kanarische Inseln bis östliches Mittelmeer lag. Und der mittlere Druck des Islandtiefs liegt um 5 hPa höher als im Vorjahr, also war auch die Tiefdruckaktivität über dem Atlantik etwas schwächer. Immerhin hier können wir schon mal einen Pluspunkt unserer Prognose verbuchen.

Abweichung der Wassertemperatur vom 20.11.2016 zum Klimamittel 1981-2010 (Originalquelle tropicaltidbits.com, Nachbearbeitung fotometeo.ch)
Vergleicht man das eingetroffene Muster mit unserer Prognose, so ist festzustellen, dass die Stärke des Aleuten-Tiefs überschätzt wurde, was wiederum eine Überschätzung des Hochdrucks über Nordamerika zur Folge hatte. Die prognostizierten Muster sind zwar vorhanden, aber bei weitem nicht so effektiv wie erwartet. Ob dies der Grund dafür ist, dass die Wirkungskette über den Atlantik hinweg bis nach Europa nicht übereinstimmt, sondern grössere Wellenlängen zustande kamen (der prognostizierte Nordwind zielte nicht nach Westeuropa, sondern nach Osteuropa, weil das Hoch statt über dem Nordatlantik häufiger über Mitteleuropa zu liegen kam), ist nicht schlüssig zu beantworten.
Sehen wir uns die Auswirkung dieser Luftdruckkonstellation auf die gemittelte Wintertemperatur (1. Dezember bis 28. Februar) im Vergleich zur Klimanorm 1981-2010 an:
Wir sehen Europa im starken Gefälle zwischen mildem Nordwesten (Südwestwind-dominiert) und kaltem Südosten (Nordwind-dominiert), wobei in Mitteleuropa die Abweichungen von der langjährigen Norm nur gering sind und regional variieren können, was diese grobe Karte nicht aufzulösen vermag. So war der Winter in den tiefen Lagen eher etwas unterkühlt, während in der Höhe häufiger überdurchschnittliche Temperaturen anzutreffen waren: eine typische Folge von häufigem Hochdruck und Inversionslagen. Das von uns in der Prognose gezeigte Ensemble-Mittel des Langfristmodells CFS lag zwar für Mitteleuropa (durchschnittlicher bis im Alpenraum leicht überdurchschnittlicher Winter) nicht schlecht, allerdings hat es das grossräumige Muster vor allem mit dem in Südosteuropa und im östlichen Mittelmeerraum deutlich zu kalten Winter nicht erkannt, ebenso wenig wie den deutlich zu milden Winter in Skandinavien. Fazit: CFS ist ganz klar durchgefallen.
Doch wie sieht es mit unseren Einschätzungen aus? Hier nochmal die Zusammenfassung der Prognose:
Anders als in den letzten zwei Jahren, wo die Mehrheit der Faktoren auf einen milden Winter hingewiesen hat, sind die Signale diesmal diffuser. Besonders die geringe Ausdehnung des Arktiseises könnte noch unbekannte Auswirkungen haben, die allerdings mit fortschreitender Jahreszeit abnehmen dürften. Mit Überraschungen ist also diesmal eher in der ersten Winterhälfte zu rechnen. Die neutrale, zeitweise negative und dann wieder positive nordatlantische Oszillation sorgt für einen abwechslungreichen Winter. Milde und stürmische Westlagen können sich jeweils nur für kurze Zeit durchsetzen, bevor sich aufgrund des schwachen Jetstreams und mangels Kältenachschub aus der kanadischen Arktis wieder meridionale Muster einpendeln. Eine besondere Aufmerksamkeit erhält diesmal die PDO, welche in ihrer Wirkungskette die NAO schwächt. Allerdings müssen sich die Atlantikhochs nicht jedes Mal an der selben Stelle bilden. Je nach Position rauschen die Kaltluftausbrüche mal über West- bis Mitteleuropa nach Süden, mal können sie auch weiter westlich über dem Atlantik niedergehen und Mitteleuropa eine warme Vorderseite (Südlage) bescheren, wie gerade aktuell der Fall. Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Westlagen im Kernwinter mehr Gewicht bekommen könnten, die Chancen für kalte Phasen also eher im Dezember und Februar zu verorten sind. Für einen durchgehenden Strengwinter müssten die Weichen bereits jetzt gestellt werden, um im ersten Dezemberdrittel in Europa wirksam zu werden. Mangels Kältereservoir auf der europäischen Seite der Arktis wäre dies nur durch Anzapfen der sibirischen Kaltluft zu bewerkstelligen. Für die dafür notwendige Nordostlage gibt es momentan allerdings keine Anzeichen, sodass die Wahrscheinlichkeit für ein solches Szenario eher niedrig einzuschätzen ist. Die geschwächte NAO kann allerdings auch für eine länger anhaltende Hochdrucklage sorgen, welche bodennah Kaltluft in Europa produziert. Dies wäre allerdings eine trockene Kälte ohne Schneedecke. Womit wir bei den Niederschlägen wären. Die sich wechselnden Grosswetterlagen dürften dafür sorgen, dass Niederschläge sowohl räumlich und zeitlich relativ gleichmässig verteilt werden. Dies ist zumindest für die höheren Lagen Mitteleuropas eine gute Voraussetzung für eine gute Schneelage. Im Flachland hingegen wird das Bestehen einer Schneedecke von vielen Zufällen in der Abfolge der Wetterlagen abhängen. Nach einem nahezu schneelosen Winter wie 2013/14 sieht es ebenso wenig aus wie nach dem alljährlich in der Glaskugel bemühten Schneewinter. Somit kann festgehalten werden, dass die eingangs präsentierte Prognose des Langfristmodells CFS möglicherweise doch auf dem richtigen Weg ist. Auf die Abbildung der Niederschlagsprognose dieses Modells verzichten wir diesmal, sie zeigt nämlich fast ausschliesslich weisse und graue Flächen in Europa, hat also keinerlei Aussagekraft bezüglich eines Trends hin zu einem trockenen oder nassen Winter 2016/17.
Die Gesamteinschätzung der Lage (eher durchschnittlicher Winter mit wechselnden Kalt- und Mildphasen) wurde erkannt, jedoch der zeitliche Ablauf völlig verkehrt prognostiziert. Grob gesagt war der Dezember hochdruckgeprägt mit einer kurzen Westwindphase (Weihnachtstauwetter), der Januar nur zu Beginn mit einer Westwindphase und danach kalt, der Februar hingegen wieder zunächst hochdruckgeprägt mit einer milden Westwindphase in der zweiten Monatshälfte. Man kann das darauf zurückführen, dass die warme Arktis viel länger die Tiefdruckproduktion auf dem Atlantik hemmte als erwartet. Die von uns vermutete Normalisierung der nordhemisphärischen Zirkulation trat mit einem Monat Verspätung ein (im Februar statt im Januar). Das passt auch gut mit dem zeitlichen Ablauf des Vereisungsgrades der Arktis zusammen, die auf den langjährigen Schnitt einen Monat hinterherhinkte. Das Flächendefizit des Arktiseises im Herbst wurde also durch den gesamten Winter mitgezogen, sehr schön auf folgender Grafik zu sehen:
Zumindest aus diesem Präzedenzfall dürfen für die Zukunft Lehren gezogen werden, denn man muss leider damit rechnen, dass auch im nächsten Winter die Eisfläche der Arktis deutlich unter dem Schnitt bleibt – es sei denn, im kommenden Sommer geschieht ein meteorologisches Wunder.
Werfen wir noch einen Blick auf die Niederschlagsbilanz des vergangenen Winters in Europa:
Unter häufigem Hochdruckeinfluss erstaunt das über weite Gebiete deutlich zu trockene West- und Mitteleuropa nicht. Nur in Nord- und Ostdeutschland vermochte die nasse zweite Februarhälfte das Defizit des Winters nahezu auszugleichen. Damit lag das Langfristmodell CFS auch bezüglich seiner Aussage eines verbreitet durchschnittlich nassen Winters daneben.
Zum Schluss noch die Statistik über die Witterungsphasen und die Grosswettertypen des Gesamtwinters:
Auch hier tritt die Dominanz der trockenen Tage im Verhältnis 60:30 deutlich zutage. Die Bilanz der deutlich zu kalten zu den deutlich zu milden Tagen ist mit 19:19 genau ausgeglichen, 52 Tage fielen in den Normalbereich. Ein temperaturmässig völlig unauffälliger Winter also. Bei den Grosswettertypen fällt der relativ grosse Anteil der Hochdrucklagen auf. Wie in der Prognose erwartet, konnte keine der Zirkulationsformen Überhand nehmen: Die Bilanz von 26 Tagen zonal (West), 38 Tagen gemischt (NW, SW, Hoch) und 26 Tagen meridional (Nord, Ost, Süd) entspricht den Erwartungen bei neutralem NAO-Index zwischen -1 und +1 (Dez. 0.48, Jan. 0.48, Feb. 1.00, Quelle: http://www.cpc.ncep.noaa.gov/products/precip/CWlink/pna/norm.nao.monthly.b5001.current.ascii.table).
Diese Seite ist bewusst werbefrei gehalten, um die Unabhängigkeit des Informationsgehaltes zu gewährleisten und nicht von den Inhalten abzulenken. Mit einer freiwilligen Spende unterstützen Sie die Arbeit von fotometeo.ch in einem schwierigen Marktumfeld und sichern das Fortbestehen des Blogs. Vielen Dank!
Falls Sie kein PayPal-Konto besitzen, können Sie direkt auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten einzahlen.