Winterfreunde müssen jetzt sehr, sehr tapfer sein! Wobei diese hier wahrscheinlich gar nicht mehr mitlesen, im Wissen dass ihnen sowieso immer reinen Wein eingeschenkt wird und sich lieber auf den einschlägigen Videokanälen veräppeln lassen, die einem auch in diesem Jahr wieder das Weisse vom Himmel herunter versprechen. Wie auch immer: Im nördlichen Alpenvorland kann man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der Winter 2024/25 an drei Tagen im November stattgefunden hat – eine solch weisse Pracht wie aktuell wird man so schnell nicht wieder zu sehen bekommen. Die Chancen dafür steigen erfahrungsgemäss ab März bis Anfang Mai wieder, also ausserhalb des Prognosebereichs dieses Blogs, der nur die klimatologischen Wintermonate Dezember bis Februar umfasst.
Jährlich grüsst das Murmeltier also, denn auch diesmal wird von den Langfristmodellen alles Andere als ein kalter Winter in Europa gerechnet. Wie die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt hat, lagen selbst die Prognosen mit den höchsten Temperaturabweichungen zu tief – warum sollte dies ausgerechnet heute anders sein? Ein einziges von den acht Langfristmodellen (MétéoFrance) rechnet für Mitteleuropa einen Winter im Durchschnitt der letzten 30 Jahre, alle anderen sind deutlich im Plus. Wer sich die Berechnungen der einzelnen Modelle im Detail ansehen möchte, kann dies hier tun. Dieser eindeutige Trend ist wenig erstaunlich, sind doch die Meere rund um Europa immer noch deutlich zu warm, insbesondere der subtropische Atlantik und das Mittelmeer. Es gibt jedoch einen Unterschied zum Vorjahr, der die Prognose deutlich zuverlässiger macht, und zwar eine völlig andere Ausgangslage im europäischen Nordmeer und in den Gewässern rund um Grönland und Island:
Grönland ist in diesem Herbst deutlich rascher ausgekühlt als im Vorjahr, in dem Skandinavien als Eiskammer Europas das Rennen machte und den Grundstein für den Charakter des europäischen Winters legte. Die vom grönländischen Eisschild auf die benachbarten Meere ausfliessende Kaltluft hat das Oberflächenwasser derart stark ausgekühlt, dass eine – verglichen mit den Vorjahren – grossflächige negative Wassertempraturanomalie entstehen konnte. Der scharfe Temperaturkontrast zum übrigen, viel zu warmen Nordatlantik wird die Brutstätte für Tiefdruckgebiete sein. Etwas Anderes als ein ausgeprägter NAO-plus-Winter kann dabei kaum herauskommen, und genau das modellieren die Langfristmodelle durchs Band. Hier die gemittelte Abweichung des Bodendrucks über die kommenden drei Monate:
Mit Ausnahme von Nordeuropa werden also für unseren Kontinent deutlich mehr Hochdrucklagen gerechnet als üblich. Das Azorenhoch wird nördlicher liegen als im langjährigen Schnitt, die Islandtiefs ziehen ebenfalls auf nördlicherer Zugbahn – das ist eine komplett verkehrte Situation zum letzten Winter. Daraus folgt ein milder und nasser Westlagen-Winter für Nordeuropa und mit Abstrichen auch für das nördliche Mitteleuropa. Die alpennahen Gebiete „profitieren“ häufiger von bodenkalten Hochdrucklagen und antizyklonalen West-, Südwest- und Nordwestlagen, was die Wahrscheinlichkeit für einen Winter mit unterdurchschnittlichen Niederschlägen erhöht – Rekordschneemengen wie im letzten Jahr dürften somit nur in den Wunschträumen fallen. Das zeigt auch die Niederschlagsprognose gemittelt über alle Langfristmodelle:
Die Westküsten Nordeuropas bis an die Nordseeküste werden von den Modellen fast durchgängig zu nass gerechnet, ebenso Südwesteuropa deutlich zu trocken. Im Mittel aller Modelle wie oben gezeigt gibt es für Mitteleuropa nördlich der Alpen kein deutliches Signal, hier sind auch die Modelle etwas uneins zwischen leicht zu nass und leicht zu trocken. Deutlicher hingegen ist der Tend zu einer zu trockenen Alpensüdseite, dafür wird der häufige Nordföhn der oben erwähnten Grosswetterlagen sorgen. Grosse Differenzen zwischen den einzelnen Modellen gibt es im Bereich des zentralen Mittelmeers: Offenbar gibt es keine Einigkeit darüber, wie viele von den nordeuropäischen Tiefdruckgebieten nach Süden abtropfen und über dem warmen Mittelmeer für Furore sorgen werden. Besonders forsch wird diese Möglichkeit vom kanadischen Modell gerechnet, wie die Abweichung beim Geopotenzial zeigt:
Zwar liegt auch hier die Gesamtabweichung des Winters immer noch im Plus, aber eben: Die Wahrscheinlichkeit für einzelne abtropfende Tiefs ist gegeben, und was nur schon eins davon bei den aktuellen Wassertemperaturen anrichten kann, haben wir ja in den letzten Wochen und Monaten gesehen. Die Gefahr nimmt allerdings im Verlauf des Winters mit der Abkühlung des Mittelmeers ab, daher ist es vielleicht etwas beruhigend, dass diese CutOffs bei Betrachtung der einzelnen Monate erst im Januar und Februar gerechnet werden.
Was sich jetzt bereits sagen lässt: Der in den letzten Jahren obligate, sonst meist zum Monatswechsel November/Dezember stattfindende Wintereinbruch hatte in diesem Jahr einen Vorsprung von etwa zehn Tagen, jetzt folgt ein brachiales Tauwetter (letztes Jahr ab dem 5. Dezember). Es würde nicht erstaunen, wenn sich dieser Vorsprung im Fahrplan so fortsetzt, somit kann das ebenfalls obligate Weihnachtstauwetter in diesem Winter definitiv nicht mehr als solches bezeichnet werden. Derzeit deutet vieles auf eine Hochdrucklage zu den grossen Feiertagen hin – ob sich dieser Trend festigt, erfahrt ihr bereits in einer Woche in der Dezember-Prognose im orniwetter-Blog.
So oder so: Flachland-Murmeltiere wie ich können getrost wieder aus ihren Löchern kriechen, vorerst lauert keine Gefahr mehr… 😉
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Thierry Feuz am 25. November 2024 um 01:24 Uhr
Ich habe viele Bezahlapps von so Rechnmodelle Burnair, Xctherm, soaringmeteo.org usw. So schlechte Prognosen wei dieses Jahr hatte ich noch nie. Früher war weniger mehr.
Ist meine Erfahrung, Meinung
Fabienne Muriset am 25. November 2024 um 02:54 Uhr
Deshalb lautet ja das Motto unseres Wetterdienstes: „Lass dich nicht verAPPeln!“ 🙂
Microwave am 2. Dezember 2024 um 23:37 Uhr
Danke wie immer für diese Prognose.
Ja, vielleicht könnte man noch ChatGPT in die Apps einbauen und sie würden noch schlechter xD.
Naja, ich brauche den Chabis ohnehin nicht, fotometeo.ch + wetter3 + metradar reichen schon seit 13 Jahren.
Liebe Grüsse, Microwave