Die aufmerksame Leserschaft dieses Blogs weiss es bereits, aber für Neuankömmlinge soll es noch mal erläutert werden: Bauernregeln stammen oft aus dem Mittelalter vor der Zeit der Kalenderreform und müssen sowohl was den Zeitpunkt wie auch die beschriebene Witterung anbelangt unserer modernen Zeit angemessen ausgelegt werden. So ist der Spruch: “Ist’s an Lichtmess hell und rein, wird ein langer Winter sein. Wenn es aber stürmt und schneit, ist der Frühling nicht mehr weit.” nicht streng auf den 2. Februar anzuwenden, sondern soll vielmehr die Witterung in der ersten Februarwoche umfassen. Zudem ist die Sache mit dem Schnee grosszügig auszulegen, denn wir wissen nicht genau, welcher geografischen Region und somit Höhenlage die Regel ursprünglich entstammt. Unter Berücksichtigung all dieser Unschärfen wollen wir mal auseinanderdröseln, wie die Regel auf den Frühlingsbeginn 2016 anzuwenden ist.

An günstigen, sonnenscheinreichen Lagen blüht und spriesst es bereits wie im März
Stürmische Tage hatten wir bereits am letzten Januar-Wochenende, recht windig geht es auch in den nächsten Tagen weiter. Und überhaupt: …ist der Frühling nicht mehr weit? Am 1. Februar wurden in Mitteleuropa verbreitet Höchstwerte zwischen 12 und 18 Grad gemessen, im Tessin reichte es sogar für 20 Grad. Die Nullgradgrenze steht irgendwo zwischen 3000 und 3500 Meter und der Regen am Sonntag hat bis in Höhen von etwa 2000 m ordentlich Schnee mit runtergespült. Ein echter Winter sieht anders aus. Würde man sich streng auf das Wetter am heutigen Lichtmesstag beziehen, hätte man ein Problem: Schneien und stürmen tut es zwar nicht, aber hell und rein ist es auch nur bedingt, ziehen doch immer wieder dichte Wolkenfelder vorbei. Schauen wir also, was uns die grossräumige Wetterlage für die nächsten Tage verspricht, denn berücksichtigt man die gregorianische Kalenderreform von 1582, so muss man je nach Alter der Regel auf den 2. Februar noch ein paar Tage (maximal zehn) draufschlagen, um den eigentlichen Lichtmesstag nach damaligem Sonnenstand zu treffen.
Die Druckverteilung über Europa und dem Nordatlantik zeigt uns heute rege Tiefdruckaktivität im Norden und ein stabiles Hoch im Süden, dazwischen eine recht stramme Westströmung von Neufundland über den gesamten Atlantik hinweg bis weit in den europäischen Kontinent hinein. Diese Konstellation ist typisch für milde Winter mit positiver Nordatlantischer Oszillation (NAO+), welche von überdurchschnittlich starken Islandtiefs und einem gesunden Azorenhoch ausgeht. In unserer Winterprognose von Ende November haben wir diese Druckverteilung für einen insgesamt milden Winter vorhergesagt und wurden mit dem bisherigen Winterverlauf darin bestätigt. Unsicher waren wir uns bezüglich der zweiten Winterhälfte (ab Mitte Januar) vor allem wegen des Einflusses von El Niño, der in vielen Fällen die NAO schwächt. Aber auch Einflüsse von der Stratosphäre, die einen Polarwirbelsplitt verursachen und die Westwindzirkulation unterbrechen, können nur schwer vorhergesagt werden. All diese Einflussfaktoren wären dazu geeignet, um uns doch noch eine ordentliche Winterphase zu bescheren. Die Wettermodelle zeigen in rund 30 km Höhe um den 7. Februar herum ein starkes Minor Warming, eventuell sogar ein Major Warming. Dabei steigt die Temperatur in einem grösseren Bereich in Nordpolnähe innerhalb weniger Tage um etwa 70 °C an, was einen Impuls in die tieferen Luftschichten auslösen kann, aber nicht zwingend muss. Die Ursachen und Wirkungsketten sind von der Forschung noch nicht restlos verstanden und derart komplex, dass wir hier nicht näher darauf eingehen können. Stellen wir uns vielmehr die Frage, ob wir diese Einflüsse für einen Polarwirbelsplitt überhaupt brauchen und ob sie uns doch noch einen strengeren winterlichen Abschnitt bescheren können. Dazu schauen wir uns die Prognose für den 8. Februar an. Die Karte zeigt den Nordpol von oben, Europa liegt unten, Amerika links und Asien rechts:
Die farbigen Flächen zeigen uns die Verteilung von kalten Tiefdruckgebieten (blau bis violett) und warmen Hochdruckgebieten (gelb bis rot) in 5000 bis 5500 m Höhe. Die Tiefdruckgebiete in der Höhe sind die steuernden Zentren, nach denen sich die Bodendruckfelder zu richten haben (mit weissen Isobaren dargestellt). Die schwarze Linie markiert die Achse, welche den Polarwirbel in zwei Teile trennt. Statt eines einzigen Polarwirbels haben wir es mit zwei Zentren zu tun: Eines liegt über Ostasien, das zweite – für uns wetterbestimmende – liegt im Bereich Nordostkanada/Grönland bis Europäisches Nordmeer. Um diese beiden Zentren drehen sich gegen den Uhrzeigersinn die grossräumigen Strömungen, die mit roten (warm) und weissen (kalt) Pfeilen hervorgehoben sind. Eine solche Konstellation ist in der Regel recht langlebig (mehrere Wochen). Läge die Achse anders, könnte Europa für längere Zeit in einer kalten Strömung liegen. So wie die Dinge aber jetzt stehen, bekommen Ostasien und Teile Amerikas die Kälte, während Europa auf der warmen Seite liegt. Der beständge Zustrom kalter Luftmassen auf den Nordatlanik befeuert zudem die Tiefdruckproduktion, sodass wir trotz Polarwirbelsplitt in einer permanenten starken Westwindströmung liegen. Dabei wechseln sich bei uns in kurzer Folge sehr milde subtropische Luftmassen mit Polarluft ab, die jedoch auf dem langen Weg über den Atlantik deutlich entschärft wird. Schauen wir uns an, wie sich dies im Schnitt über die nächsten sieben Tage auf die Temperaturen am Boden auswirkt:

Prognostizierte Temperaturabweichung gegenüber der Klimanorm 1981-2010 vom 02.02. bis 08.02.2016 (Bildquelle: karstenhaustein.com)
Die Auswirkungen der oben dargestellten warmen und kalten Luftströmungen sind gut wiederzuerkennen, wobei besonders deutlich der warme Bereich von Europa bis Westsibirien heraussticht. Auch ist die gesamte Arktis deutlich wärmer als normal. Somit können wir mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass selbst wenn die Zirkulation in der zweiten Februarhälfte noch komplett umstellen würde, uns keine extrem kalten Luftmassen mehr erreichen können. Bezogen auf die Lichtmessregel dürfen wir also konstatieren: Der Frühling ist nicht nur “nicht mehr weit”, sondern bereits da. Doch jeder Frühling bringt gelegentlich noch Kaltlufteinbrüche mit Schneefällen bis in tiefe Lagen, lange liegen bleiben wird der Schnee allerdings unter diesen Voraussetzungen nicht. Anders sieht es hingegen im Gebirge aus: Die starke Tiefdrucktätigkeit über dem Atlantik sorgt für häufige Niederschläge, die in höheren Lagen zu einer überdurchschnittlichen Schneeakkumluation führt.
Zum Schluss werfen wir noch einen Kontrollblick auf die Ensemble-Prognosen des amerikanischen Wettermodells GFS, der Gitterpunkt bei Stuttgart ist recht repräsentativ für das gesamte nördliche Alpenvorland:
Auch hier ist die weiter oben abgeleitete Witterung für die nächsten zwei Wochen nachvollziehbar: Kurze, mässig kalte Phasen mit Schnee bis in tiefe Lagen werden abgelöst von Tauwetter, ein typisches Muster von milden Westwindlagen. Die prognostizierte Durchschnittstemperatur (dargestellt sind die Werte in ca 1500 m Höhe) liegt ungefähr drei Grad über dem langjährigen Schnitt. Damit sind wir nicht allzu weit von normalen Märztemperaturen entfernt, womit der Bogen zum Titelbild geschlossen wäre.