Die wichtigste Frage, mit der wir Meteorologen ab Mitte November konfrontiert werden – nämlich ob es weisse Weihnachten gibt – kann die Saisonprognose nicht beantworten. Wohl aber, ob wir übermässig heizen und Strom verbrauchen müssen: Ein Punkt, dem in diesem Winter grössere Bedeutung zukommt als auch schon. Und auch, ob genügend Niederschläge fallen, um die Grundwasserspeicher wieder mal etwas aufzufüllen und ein ordentliches Schneedepot in den Alpen anzulegen, das ja in vielerlei Hinsicht bedeutsam ist.

Prognose gemittelte Abweichung der Temperatur über die Monate Dez22-Feb23 gemäss britischem Langfristmodell gegenüber der Periode 1993-2016
Die Ausgangslage ist wenig überraschend ähnlich wie in den vergangenen Jahren: Wer auf einen kalten Winter wettet, hat wahrscheinlich bereits jetzt verloren. Keins der acht Langfristmodelle rechnet irgendwo in Europa mit einem strengen Winter, nur ein einziges zeigt einen normal temperierten Winter in weiten Teilen West- und Mitteleuropas, der Rest rechnet mit positiven Abweichungen zwischen 0.5 und 1.5 Grad zur neuen Klimanorm 1991-2020. Wer sich die Prognose der einzelnen Modelle anschauen möchte, kann dies hier tun. In der Folge erkläre ich, warum mir die oben gezeigte Variante des britischen Modells am plausibelsten erscheint, zunächst soll aber noch die prognostizierte Abweichung der Niederschlagsmenge gezeigt werden:
Überdurchschnittliche Niederschlagsmengen sind nur in Teilen des Nordatlantiks zu erwarten, was für rege Tiefdrucktätigkeit dort hinweist, zudem im äussersten Norden sowie punktuell rund ums westliche Mittelmeer. Die grosse Fläche des europäischen Kontinents weist neutrale bis zu tiefe Werte auf, wobei vor allem Westeuropa heraussticht. Die Abweichung für die Genferseeregion würde bedeuten, dass ungefähr ein Drittel des Winterniederschlags oder eine ganze Monatsniederschlagsmenge fehlen wird. Mit Ausnahme des amerikanischen Modells CFS rechnen übrigens alle Langfristmodelle mit einem eher trockenen Winter in West- und Mitteleuropa. Die Ursache der Niederschlagsverteilung findet man bei der gemittelten Abweichung des Bodendrucks:
Der Charakter des bevorstehenden Winters wird also häufig durch ein blockierendes Hoch irgendwo zwischen West-, Nord- und Mitteleuropa geprägt, was den Einfluss der atlantischen Tiefs auf unser Wetter zwar nicht gänzlich (dafür ist die gerechnete Hochdruckanomalie zu gering), aber doch zu einem bedeutenden Teil zurückbinden wird. Da wir in den aussergewöhnlichen dritten La Niña-Winter gehen, ist die Temperaturverteilung der grossen Wasserflächen auf der Nordhemisphäre immer noch ähnlich wie vor einem Jahr. Die damals gezeigte Wirkungskette hat also immer noch Gültigkeit, nur mit einem leicht nach Osten verschobenen Trog-Rücken-Muster, wie wir es bereits über weite Teile des vergangenen Jahres gesehen haben: Austrogung über dem Nordatlantik bis zu den Azoren, dessen warme Vorderseite immer wieder hohes Geopotenzial über Westeuropa stützt:
Und wir sehen es auf dieser Karte: Die Wassertemperaturen rund um Europa werden den ganzen Winter deutlich über dem langjährigen Schnitt verharren. Was bedeutet: Egal aus welcher Richtung die Luftmassen kommen (ausgenommen Ost), sie werden immer durch das warme Oberflächenwasser gemildert. Das trifft natürlich in besonderem Mass auf polare Luftmassen aus westlicher bis nördlicher Richtung zu.
Der Charakter des bevorstehenden Winters kann also folgendermassen zusammengefasst werden: Häufiger Hochdruck über West-, Mittel- und Nordeuropa blockiert die Westwinddrift, die trotzdem (wahrscheinlich häufiger in der zweiten Winterhälfte, gemäss der Statistik der letzten Jahre) zeitweise durchbricht, dann aber nicht selten eher milde Luftmassen aus südwestlicher Richtung herbeiführt. Durchbrüche polarer Luftmassen aus Nordwest werden durch die warmen Meere gemildert, was nur selten für Schneefall bis in die tiefsten Lagen reicht. Überdies zielen solche Kaltluftausbrüche viel häufiger östlich an uns vorbei, was die neutrale Rechnung der Temperaturabweichung des Modells für Osteuropa erklärt. Die kälteste Phase des Winters könnte der Dezember liefern, hier zeichnet sich vorübergehend eine Phase mit Skandinavien-Hoch und folglich Ostlage in Europa ab. Diese Entwicklung wird bereits in der zweiten Novemberhälfte eingeleitet (Klimaregime “Block”, rote Phase im Diagramm unten). Nach den Erfahrungen der letzten Jahre dürfte diese Phase spätestens mit dem Weihnachtstauwetter enden. Die Hochdruckdominanz sorgt für häufige Inversionen, was die höhere positive Abweichung in den Alpen auf der Temperaturkarte erklärt. Wäre die Karte etwas höher aufgelöst, würden möglicherweise nicht nur die Ungarische Tiefebene, sondern auch das Böhmische Becken, das nördliche Alpenvorland und die Poebene mit einer neutralen oder zumindest nur sehr geringen positiven Abweichung dargestellt.
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Microwave am 17. November 2022 um 01:59 Uhr
Danke vielmal für die Vorhersage. Also werden die Speicher (auch die Energiespeicher) zwar nicht so gefüllt, aber wir würden auch nicht soviel Pfuus brauchen zum heizen. Schau’mer mal =) Grüsse – Microwave