In diesem Jahr wurde es wieder mal deutlich: Es ist nicht mehr der April, der macht was er will, sondern vielmehr der Mai. Genau genommen machen zwar beide, was sie wollen, indem sie die üblichen Rollen tauschen. Wie auch immer: Wenn ein Mai trotz Rekordsonnenschein in einigen Regionen Mitteleuropas kühler als das langjährige Mittel ausfällt, dann ist definitiv etwas schief gelaufen – insbesondere dann, wenn zuvor der April so warm war wie ein normaler Mai. So kam es zur kuriosen Situation, dass wir einen Monat lang typische Frühlingstemperaturen hatten, obwohl in der Vegetation der Frühling längst vorbei war. Etliche (Boden-)Frostnächte inbegriffen.

Wer noch etwas Frühling erhaschen wollte, musste bereits am 7. Mai hoch hinaus: 600-jährige Eiche auf 1100 m.ü.M. im oberen Emmental
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Mai, erstellt am 30. April, lautete wie folgt:
Den Wonnemonat hätten wir also bereits hinter uns… Fragt sich bloss, was danach kommt? Für richtigen Sommer ist es eigentlich noch zu früh, sodass eine Wiederholung von 2018 eher unwahrscheinlich ist. Vielmehr entpuppt sich der Mai in letzter Zeit als jener Monat, der “macht, was er will”. Ein so garstiges Exemplar wie im Vorjahr muss es allerdings auch nicht gleich werden. Die Spannweite der Möglichkeiten ist gross, entsprechend tischen uns auch die Langfristmodelle alles Zumutbare auf. Die Vertrauenswürdigkeit einer solchen Prognose ist also eher im tiefen Bereich anzusiedeln. Es bleibt uns somit lediglich, aus den spärlich erkennbaren Trends ein Gesamtbild zusammenzubasteln, das auch statistisch eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufweist.
Der von uns ausgesuchte Modelllauf zeigt im Druckfeld fast ausschliesslich positive Anomalien über Europa. Dabei bilden sich zwei auffällige Zentren aus: Das erste umfasst fast den gesamten Nordatlantik und hat sein Zentrum über Island, das zweite sitzt im zentralen Mittelmeerraum. Schwäche zeigt dieser Hochdruck einzig (ausgerechnet!) von den Azoren bis zu den Britischen Inseln, eine deutlich negative Anomalie bildet sich allerdings nicht aus. Interpretation: Wir haben es mit einer (für den Frühling typischen) meridionalen Zirkulationsform zu tun, in der Westwindlagen selten oder kaum vorkommen. Östlich des Hochdruckrückens, der sich vom Mittelmeer nach Norden aufwölbt, fliesst häufig kühle Luft aus Norden nach Osteuropa und kann gelegentlich Mitteleuropa streifen. Atlantische Tiefdruckgebiete ziehen weit südlich über die Azoren ostwärts und werden vor den europäischen Westküsten blockiert, sodass sich zeitweise sehr warme, mitunter aber auch feuchte Südwest- bis Südlagen in Mitteleuropa einstellen können. Dieser Kampf (trocken-kühle Luftmassen aus Nord bis Ost gegen feucht-warme aus Südwest bis Süd) wird häufig genau über Mitteleuropa ausgetragen, es liegt also ein durchaus abwechslungreicher Monat mit einigem Überraschungspotenzial vor uns. Einzig der überdurchschnittliche Luftdruck wird wohl dafür sorgen, dass es nicht allzu sehr ausartet.
Die häufigen Südlagen sorgen dafür, dass die höchsten Temperaturabweichungen nach oben im zentralen Mittelmeerraum zu finden sind, ein gutes Stück davon soll allerdings auch über Mitteleuropa bis nach Südskandinavien vorstossen. Ein etwa zwei Grad wärmerer Mai gegenüber dem langjährigen Mittel liegt somit drin, in den föhnigen Alpentälern kann dies allerdings auch noch mehr werden, im nördlichen Mitteleuropa eher etwas weniger. Leicht zu kühle Zonen muss man in Europa mit der Lupe suchen gehen, am ehesten sind sie in Westeuropa möglich. Eine etwas deutlichere negative Abweichung wird im äussersten Osten gerechnet, am ausgeprägtesten mit bis zu zwei Grad rund ums Schwarze Meer.
Die oben beschriebene Druckkonstellation sorgt offenbar für eine wiederholt über Westeuropa liegende Luftmassengrenze, an der es zu häufigen Niederschlägen kommt (an deren Vorderseite, also dem östlichen Rand, in Form von kräftigen Gewittern). Entsprechend erstreckt sich eine nasse Zone im südwest-nordöstlicher Richtung von Spanien über Frankreich und Norddeutschland bis nach Schweden. Der Rest Europas dürfte eher zu trocken bleiben, Ausnahme bilden wohl hauptsächlich Gebirge, wo sich Gewitter entladen können – am deutlichsten wird dies in der Karte in Osteuropa sichtbar, das nur randlich vom Hochdruck profitiert.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m gegenüber dem langjährigen Mittel:
Autsch! – das können wir besser. Nach der perfekten April-Prognose zeigt uns der Mai, wo im Frühling das Problem liegt: Meridionale Zirkulationsformen sind immer für Überraschungen gut. Da ist es zwar beruhigend, wenn man in der Prognose einleitend die grossen Unsicherheiten und die tiefe Vertrauenswürdigkeit der Modelle erwähnt, zufriedenstellend ist ein solch schlechtes Ergebnis schlussendlich trotzdem nicht. Diesmal ist die Strategie, bei grosser Unsicherheit auf die Prinzipien Persistenz und Statistik zu setzen, ganz und gar nicht aufgegangen. Nach dem kurzen West- Einschub lief es mit der Hochdrucklage vom 6. bis 9. Mai zwar noch wunschgemäss, doch dann dominierten für den Rest des Monats nur noch drei Grosswettertypen: Nordwest, Nord und ganz zum Ende noch etwas Ost. Mit dem Resultat, dass Mitteleuropa von den kühlen Luftmassen nicht nur “gelegentlich gestreift”, sondern voll erwischt wurde. Im Osten zwangsläufig mehr als im Westen, sodass schlussendlich ein markantes Gefälle entstand.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Entsprechend den Druckzentren wurden auch die Temperaturfelder massiv nach Westen verschoben. Die permanente Zufuhr polarer Luftmassen aus nördlichen Richtungen bescherten Osteuropa einen deutlich zu kalten Monat – dies, nachdem der gesamte Herbst und Winter dort rekordwarm verliefen. Besonders interessant wird der Verlauf des Gefälles über Mitteleuropa, wenn man die Höhentemperaturkarte mit jener der Bodentemperaturen vergleicht:
Auffällig ist, wie der Gradient über dem westlichen Mitteleuropa in der Bodenkarte auffächert. Dies ist auf den überwiegenden Hochdruckeinfluss zurückzuführen, der im Sommerhalbjahr durch starke Besonnung die Luftmasse bodennah viel schneller erwärmt als die Höhenluft. So resultierte in Westdeutschland schlussendlich ein durchschnittlicher Mai und in der West- und Südschweiz sogar ein Plus von einem bis zwei Grad, während mehr Wolken im Osten die bodennahe Erwärmung stärker behinderten. Interessant ist auch das weisse Loch in der Region Stockholm: Es ist bei permanenter Nordwestströmung hauptsächlich auf Föhneffekte hinter dem Skandinavischen Gebirge zurückzuführen.
Und so sieht die Niederschlagsbilanz aus:
Wenn die Druckverteilung völlig verkehrt prognostiziert wird, so kann auch beim Niederschlag kein gutes Resultat rauskommen. Erwartet wurde ein nasser Streifen über Frankreich und Nordwestdeutschland, geworden ist es das genaue Gegenteil: Die Trockenheit hat sich hier weiter verschärft. Einzig in Südfrankreich und Nordspanien sind ungefähr die erwarteten Regenmengen gefallen. Der Alpenraum ist zwischen den trockenen Zonen Nordwest- und Südosteuropa etwas eingequetscht, daher lohnt sich wie so oft der Blick in die feiner aufgelösten Karten der Landeswetterdienste: (Schweiz, Deutschland, Österreich).
Am deutlichsten werden Überraschungen stets im Vergleich zwischen Grosswettertypen und Witterungstypen sichtbar. Im Idealfall müssten sich die Farbverteilungen ungefähr annähern. Hier wird wieder mal deutlich, dass Luftmassen aus nördlichen Richtungen nicht zwingend auch viel Kälte bringen müssen. Im Winter sind sie häufig durch das warme Meerwasser gemildert, im Sommerhalbjahr werden sie wie im aktuellen Beispiel durch Hochdruck und Sonnenschein entschärft. Wobei wir hier den starken Gradienten zwischen West und Ost noch mal vertiefen wollen: Obiges Diagramm ist ein Kompromiss, der bei stark persistenten Nordlagen wie in diesem Monat die regionalen Unterschiede nicht auflösen kann. Nehmen wir als Beispiel für Nordösterreich die Station Linz, so kommen wir auf 9 kalte und 2 warme Tage. In Basel ist das Verhältnis kalt zu warm hingegen 4 zu 9, das in der Mitte in den schützenden Alpen liegende Innsbruck weist 4 kalte und 5 warme Tage aus.
Die Langfristprognose für den Juni findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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