Es kommt, wie es kommen musste: Bereits in unserer Winter- und in der Dezember-Prognose wurde auf das unausweichliche Tauwetter hingewiesen. Zum Zeitpunkt der Ausgabe dieser Prognosen war aufgrund der grossen Streuung in den Modellen nur noch nicht klar, wann genau dieser fast alljährlich wiederkehrende biologische Schneeräumdienst seine Arbeit verrichten würde. Wir schauen hier mal etwas genauer auf die Statistik des Dezember- oder Weihnachtstauwetters und was uns in den nächsten Tagen bevorsteht.
Häufigkeit warm-feuchter Grosswetterlagen zwischen Mitte November und Ende Dezember in den letzten 45 Jahren, aufgeteilt in drei Blöcke zu 15 Jahren
Um der Frage auf den Grund zu gehen, wie wahrscheinlich ein Tauwetter – wie auch immer man es nennen möchte – nach der ersten winterlichen Phase sein würde und zu welchem Zeitpunkt es bevorzugt auftritt, hilft uns die Häufigkeit zyklonaler Grosswetterlagen aus den Sektoren West bis Süd. Ausgenommen wurde die südliche Westlage, da diese zwar in den meisten Fällen in den Alpen ein Tauwetter bringt, aber eben auch für ergiebige Schneefälle direkt an der Luftmassengrenze verantwortlich ist. Diese kann irgendwo quer durch Mitteleuropa verlaufen, meist über Süddeutschland oder der Mitte, in machen Fällen aber auch direkt am Alpenrand. Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden antizyklonale Lagen, die zwar meist sehr mildes Wetter in der Höhe bringen, aber kein Tauwetter im klassischen Sinne, weil in der Regel der Niederschlag fehlt und durch fehlenden Wind die Kaltluftschicht am Boden nicht ausgeräumt wird.
Betrachtet man die Häufigkeit der letzten 15 Jahre, so erkennt man zwei Zeiträume für ein wahrscheinliches Tauwetter (etwa die Hälfte der Jahre), nämlich vom 6. bis 8. Dezember und vom 21. bis 23. Dezember. Während der Weihnachtsfeiertage selbst sinkt die Wahrscheinlichkeit solch warm-feuchter Wetterlagen auf knapp ein Viertel, nicht selten stellt sich aber dann eine antizyklonale, höhenmilde Inversionslage ein. Dasselbe gilt auch für den Zeitraum zwischen dem „Nikolaustauwetter“ und dem „Weihnachtstauwetter“: Der sich aktuell abzeichnende Verlauf 2023 dürfte dies bestätigen. Eine ähnliche Verteilung gab es auch schon in der Periode 1978-1992, damals allerdings mit der wahrscheinlichsten Zeitspanne für ein Tauwetter vom 17. bis 21. Dezember. Ein gänzlich anderes Muster zeigt sich in der Periode 1993-2007, als die Tage vor Nikolaus sowie der Bereich um den 11. bis 13. Dezember bevorzugt mild waren, sonst aber keine auffällige Häufung auftrat.
Interessant ist aber auch, wann diese warm-feuchten Wetterlagen am seltensten auftreten, nämlich zum Monatswechsel November/Dezember. Das war bereits 1978-1992 so, gar noch ausgeprägter als in jüngster Zeit mit nur zwei warm-feuchten Lagen vom 29. November bis 4. Dezember innerhalb der 15-jährigen Periode. Das völlig von den beiden anderen Perioden abweichende Muster in den Jahren 1993-2007 muss uns aber für die Zukunft vorsichtig sein lassen, falls man nun auf die Idee kommen könnte, die Langfristprognosen fix auf eine winterliche Phase Ende November bis Anfang Dezember mit anschliessendem Tauwetter zu trimmen. Was genau diese Schwankungen verursacht, dieser wahrscheinlich komplexen Frage auf den Grund zu gehen dürfte interessant, kann aber nicht Gegenstand dieses Artikels sein und muss somit auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.
Wenden wir uns also dem vorgezogenen Weihnachtstauwetter oder verspäteten Nikolaustauwetter Ausgabe 2023 zu:
Ausgangslage ist eine erstarkende Tiefdruckaktivität mit strammer Westströmung über dem Atlantik und ein mächtiges Hochdruckbollwerk über Russland, eine klassische Winter-Grosswetterlage namens winkelförmige Westlage. Der Druck des Atlantiks nimmt von Tag zu Tag mehr Raum ein, im Lauf des Sonntags wechselt die GWL zu West zyklonal und am Montag befindet sich der Winkel bereits über dem Baltikum:
Die wärmste Luftmasse erreicht uns am Dienstag mit +6 Grad in 1400 m und einer Nullgradgrenze zwischen 2600 und 3000 m in den Westalpen, die zu allem Übel auch noch extrem feucht ist:
Wir brauchen nicht lange um den äusserst warmen Brei herumzureden: Zwar ist der meiste Schnee im Flachland bereits in den letzten Tagen weggespült worden, in den Bergen liegen aber derzeit Schneemengen, die fast (und lokal sogar absolut) Rekordniveau für die Jahreszeit aufweisen. Und diese Mengen fallen zumindest unterhalb von 2000 m, zeitweise sogar bis 2500 Meter hinauf als Regen bis und mit Donnerstag:
Dabei ist dieses britische Modell noch halbwegs zurückhaltend, das noch etwas feiner aufgelöste deutsche ICON-EU rechnet sogar mit höheren Mengen im aktuell verfügbaren 120-Stunden-Zeitraum bis Mittwochmittag. Die Frage ist also nicht ob, sondern ab wann enorme Wassermengen in den Abfluss gelangen. Beeinflusst wird der Schmelzzeitpunkt nicht nur durch die Temperatur, die Windstärke und die Intensität des Regens, sondern auch wie viel und wie lange die vorhandene Schneedecke das Regenwasser noch wie ein Schwamm aufsaugt und zurückhält, dann aber plötzlich nicht mehr halten kann. Erfahrungsgemäss haben auch die heutigen Abflussmodelle mit diesem Prozess ihre liebe Müh und so wird es extrem spannend zu verfolgen sein, wie Modell und Realität anfangs nächster Woche zusammenpassen – oder eben auch nicht. Jedenfalls tun Anwohner in der Nähe von Schmelzwasser führenden Bächen und Flüssen gut daran, sich vorzubereiten. Auch Hochwasser an den grösseren Flüssen und Seen im Unterland ist sehr wahrscheinlich, auch wenn sich Ausmass und Hochwasserspitzen zum jetzigen Zeitpunkt noch unmöglich genau berechnen lassen.
Eine positive Nachricht gibt es aber auch: Der (wenige) Niederschlag, der ab Mittwochabend noch fällt, wird zumindest bis auf etwa 1000 Meter herunter die zuvor angerichtete Tristesse noch mit einem Schäumchen Schnee zudecken. Und danach ist auch an der Hochwasserfront Entspannung in Sicht:
Dies ist für ein Ensemble-Mittel in acht Tagen mal eine Ansage – auch das europäische und das deutsche Modell blasen ins gleiche Horn. Stellt sich also nur noch die Frage, was danach zu Weihnachten kommt. Diesem Orakel gehen wir seit dem 1. Dezember jeden Abend neu auf den Grund, zu sehen auf der fotometeo-Startseite und archiviert in diesem Blog.
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