Aktuell bekommen wir wieder mal ein prägnantes Lehrstück präsentiert: Was passieren kann, wenn jener Teil der Wetterbranche, der auf Werbeeinnahmen durch Klicks angwiesen ist, aufgrund eines Major Sudden Stratospheric Warming (SSW) den grossen Märzwinter ausruft, dabei aber die fortgeschrittene Klimaerwärmung „vergisst“ und die Physik ihre Gesetzmässigkeiten ausspielt. Fazit: Auf den besagten Wetterkanälen ist es ruhig geworden oder man feiert die winterlichste Phase der Saison in Norddeutschland, bestehend aus ein paar Stunden Nassschnee – was angesichts des bisherigen Nichtwinters dort keine Kunst ist. Uns im Süden bleibt hingegen nur das Staunen, was die auf den warmen Atlantik sich ergiessende arktische Kaltluft in Bewegung setzt.
Obige Karte zeigt es eindrücklich: Der breite Kaltluftstrom, der sich vom Nordpol östlich von Grönland auf den Atlantik ergiesst, verursacht enorme Temperaturunterschiede, was wiederum die Zyklogenese in Gang setzt: Das Sturmtief, das sich über der Nordsee gebildet hat und nun über die Ostsee zieht, ist das eine Resultat davon. Schon vor einer Woche, als das sich jetzt westlich von Grönland befindliche Hoch noch blockierend über dem Nordmeer und den Britischen Inseln lag, strömte die Polarluft den gewohnten Weg über den Osten Kanadas und die Davisstrasse auf den westlichen Nordatlantik hinaus und setzte dort Tiefdruckbildung in Gang, die besagtes Hoch nun südlich unterläuft. Und genau dieser Tiefdruckkomplex ist es, der unseren Märzwinter nun verhindert und das genaue Gegenteil einleitet, indem er den schwächeren Kaltluftstrom über Nordeuropa einfach wegpustet. Dabei ist ihm das, was viel weiter oben in der Stratosphäre passiert, sowas von schnurz. Erfreulich ist, dass genau dieser Ablauf bereits in den Modellen vom 28. Februar recht gut abgebildet wurde, wie unsere Monatsprognose beweist. Was in der weiteren Folge passiert, wenn diese Westdüse in ungefähr zehn Tagen ihr Pulver verschossen hat, wird sich zeigen. Für echten Märzwinter ist es dann aber schon relativ spät.
Die Mischung, welche diese spezielle Konstellation herbeiführt, ist äusserst delikat. Man achte auf die Herkunft der Luftmasse über Zürich in der Nacht auf Samstag:
In den unteren Luftschichten (rot = 500 m, grün = 1500 m) wird subtropische Luft aus der Karibik und dem zentralen Atlantik herbeigeführt, während in höheren Luftschichten (blau = 3000 m) noch Polarluft vorherrscht. Die sich daraus ergebende Labilität ist die beste Zutat, die man sich bezüglich dynamischem Wetter im März vorstellen kann. Sowas bei höherem Sonnenstand wie etwa im Mai oder Juni, auweia…! Doch der Reihe nach:
Das am Dienstagabend über die Alpen ziehende Niederschlagspaket ist nur Vorgeplänkel. Vor allem in Richtung Osten kommt davon nicht viel an: Was in der trockenen unteren Luftschicht nicht verdunstet, fällt wahrscheinlich aufgrund der tiefen Taupunkte als leichtes Geflöckel bis in die Täler. Am Mittwochvormittag frischt der Südwestwind mit der aufziehenden Warmfront vor allem in der Höhe auf, dabei werden auf den dafür bekannten Spots im Jura schon mal erste schwere Sturmböen eintreffen. Im weiteren Tagesverlauf wird es eher wieder etwas ruhiger, im Flachland starke, in exponierten Lagen stürmische Böen sind das Maximum. Das damit verbundene Niederschlagspaket ist nicht zusammenhängend, also schwierig zu sagen wo wieviel runterkommt – etwas intensiver wird es am Abend und in der Nacht auf Donnerstag. Die Schneefallgrenze steigt von anfänglich etwa 1000 m bis zum Abend gegen 2000 m (v.a. Wallis, westliches Berner Oberland), und sinkt mit der schleifenden Kaltfront in der zweiten Nachthälfte wieder auf etwa 1500 m. Man mache sich darauf gefasst, mitten in der Nacht geweckt zu werden: Bei einer Temperaturdifferenz von etwa 30 Grad zwischen 850 und 500 hPa ist es extrem labil, die Kaltfront wird also ziemlich sicher elektrisch. Am Donnerstagnachmittag bringt ein schwaches Zwischenhoch eine kurze Beruhigung in Sachen Wind und Niederschlag, mitunter zeigt sich auch mal die Sonne und die Temperatur steigt in den Niederungen auf 12 bis 15 Grad.
Eine nächste schwache Niederschlagsfront zieht am Freitagmorgen durch, Schneefallgrenze um 1200 m. Tagsüber gibt es noch mal eine trockene Phase, allerdings frischt der Südwestwind wieder auf und bringt gegen Abend Sturmböen bis ins Flachland und Orkanböen auf den Bergen. Die grosse Schütte setzt am Freitagabend mit dem Eintreffen einer Welle ein, deren genaue Zugbahn und somit der Frontverlauf noch nicht im Detail gesichert ist, hier mal ein Beispiel:
In der linken unteren Ecke erscheint die oben erwähnte Karibikluft mit einem Theta-e von 42, was eine Schneefallgrenze von 2500 m bedeutet, sollte diese Luftmasse die Westalpen erreichen. Wahrscheinlicher ist aber aus heutiger Sicht, dass die Kaltfront aus Norden die wärmste Luftmasse etwas nach Süden abdrängt. Den südlichsten Verlauf zeigt das französische Modell Arpege mit nur einem Streifschuss der warmen Luftmasse in den südlichen Walliser Alpen und einem Kaltluftvorstoss, der am Samstagmorgen die Schneefallgrenze in der Nordschweiz bis in die Niederungen sinken lassen würde:
Auch wenn dies eine Extremvariante in der Modellwelt darstellt, so zeigt sie doch, dass da noch einige Überraschungen in der Luft liegen. Dies gilt auch für eine allfällige gewittrige Einlage, je nachdem wie sich Höhenkaltluft und Warmeinschub in den tiefen Schichten überlagern. Jedenfalls ist entlang dieser schleifenden Luftmassengrenze mit intensivem Dauerregen zu rechnen, in den Alpen bis etwa 2000 m hinauf, wenn nicht sogar etwas höher. Was das genau für die Abflüsse bedeutet, wird auf jeden Fall spannend. Wie viel mögen die trockenen Böden aufnehmen, und wo sind sie noch gefroren und leiten das Wasser sofort ab? Wie viel Schneeschmelze gelangt zusätzlich in den Abfluss? Ein Hochwasser am einen oder anderen Fluss ist nicht auszuschliessen, was angesichts des bisher extrem trockenen Winterverlaufs fast schon wieder ein Hohn, aber leider nicht erstaunlich ist, haben doch diese zeitlich und räumlich extrem ungleich verteilten Niederschlagsereignisse in den letzten Jahren markant zugenommen.
Der Samstag bleibt angesichts der oben erwähnten Modellunsicherheiten vorerst noch eine Wundertüte: Wahrscheinlich gibt es vor allem entlang des Alpennordhangs und inneralpin weitere kräftige Niederschläge, die sich bis in den Sonntagmorgen ziehen. Die Schneefallgrenze sinkt zumindest im Schwarzwald und an den östlichen Voralpen recht weit runter (Möglichkeit bis in die Niederungen wurde bereits erwähnt). Noch völlig offen ist, was im Mittelland und an den westlichen Voralpen sowie inneralpin passiert, abhängig davon wie weit die Kaltluft vordringen kann. Nach aktuellen Unterlagen ist die wahrscheinlichste Variante, dass die Schneefallgrenze inneralpin über 1000 m verbleibt – in einem Prognosezeitraum von vier Tagen ist dies allerdings recht spekulativ, lassen wir uns also überraschen. Etwas weniger weit auf die Äste wagt man sich bei der Aussage, dass es am Samstag windmässig in den Niederungen relativ ruhig wird. Auf den Gipfeln und Pässen sieht es anders aus, und damit ist auch starker Nordföhn auf der Alpensüdseite wahrscheinlich. Am Sonntagnachmittag sollte sich die ganze Geschichte allgemein beruhigen. Allerdings soll bodennah der Wind wieder auf Südwest drehen und etwas auffrischen, damit wird die nächste Milderung in Gang gesetzt.
Werfen wir noch einen Blick auf den Niederschlag, der bis Sonntagmittag fallen soll (die Mengen dieses Modells werden auch durch EZ und GFS gestützt):
Damit wäre bereits fast das gesamte normale Märzmittel noch vor der Monatsmitte erreicht, und man darf gespannt sein, was danach noch folgt. Denn wie oben erwähnt endet die Westwindphase aus aktueller Sicht erst etwa um den 20. März, da steht also noch einiges bereit auf dem Atlantik draussen. Womit wir uns noch etwas mit dem Glaskugelbereich beschäftigen dürfen, wobei sich zumindest für den Wochenbeginn eine recht sichere Warmsektor-Phase abzeichnet:
Das ist zwar noch nicht nachhaltiger Frühling, aber zumindest mal einen Tag lang dran schnuppern soll erlaubt sein bei Tageshöchstwerten im Mittelland zwischen 15 und 20 Grad. Ob es dabei auch trocken bleibt und wie lange sich die Sonne zeigt, ist auf diesen langen Zeitraum hinaus naturgemäss offen: Derzeit sieht es eher nach recht dichten hohen Wolkenfeldern und ein paar Tropfen Regen bei mässigem bis lebhaftem Südwestwind aus. Wie die Streuung im Ensemble-Diagramm auch zeigt, dürfte bereits im Lauf des Dienstags die nächste Kaltfront reinkommen, der etwas kühler gerechnete Mittwoch deutet darauf hin. Und danach wird’s sowieso extrem spekulativ: In der zweiten Wochenhälfte ist beim TMax von 5 bis knapp 20 Grad alles möglich und selbst strenge Nachtfröste sind nicht ausgeschlossen. Die Märzwinter-Heraufbeschwörer können sich also noch an einen winzigen Strohhalm klammern…
Diese Seite ist bewusst werbefrei gehalten, um die Unabhängigkeit des Informationsgehaltes zu gewährleisten und nicht von den Inhalten abzulenken. Der kostenlose Zugang zu Informationen ohne boulevardeske Verzerrungen beim Thema Wetter und Klima ist uns sehr wichtig. Mit einer freiwilligen Spende unterstützen Sie die Arbeit von fotometeo.ch in einem schwierigen Marktumfeld und sichern das Fortbestehen des Blogs. Vielen Dank!
Noch besser, weil für die Empfängerin spesenfrei, sind direkte Einzahlungen auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten.
Spendenbarometer (fotometeo und orniwetter zusammen, Erklärung siehe hier):
Microwave am 9. März 2023 um 10:06 Uhr
Hoi Fabienne
Danke vielmal für diese Analyse. Endlich geht mal wieder ein bisschen mehr am Himmel =D