Mit sieben Wochen des heutigen Wetters könnten viele hier im südlichen Mitteleuropa wahrscheinlich ganz gut leben: Wechsel aus Sonne und Wolken, hier und da ein kurzer Regenspritzer, sommerlich warm, aber nicht zu heiss. Die treue Leserschaft dieses Blogs weiss es natürlich längst, dass eine wörtliche Auslegung „Das Wetter am Siebenschläfertag sieben Wochen bleiben mag“ völliger Nonsens ist und moderner ausgelegt werden muss. Die grosse Kunst besteht darin, am Siebenschläfertag herauszufinden, ob die Regel für den bevorstehenden Hochsommer funktionert oder vielleicht auch nicht, und dies gut begründen zu können. Denn es ist die grossräumige Zirkulation im Zeitraum Ende Juni bis Anfang Juli, die massgeblich ist für den weiteren Verlauf, und nicht etwa ein einzelner Tag. Schaut man auf die Prognose ebendieses Zirkulationsmusters, dann ist man auf den ersten Blick versucht zu sagen: Vergessen wir’s in diesem Jahr. So einfach machen wir es uns jedoch nicht.

Dieses Bild vom 14. Juli 2015 in der Westschweiz beweist: Schläft der Siebenschläfer kopfüber, ist der Hitzesommer noch lange nicht vorüber
Gröber als mit den Regimes kann man das atlantisch-europäische Zirkulationsmuster nicht darstellen, es wäre also ein gutes Instrument für eine moderne Auslegung der Siebenschläfer-Regel:

Quelle: https://charts.ecmwf.int/
Die vier verschiedenen Regimes, in den Farben blau, rot, grün und violett gehalten sowie grau für unbestimmbares Regime stehen für unterschiedliche grossräumige Druckverteilungen zwischen dem Nordatlantik und dem europäischen Kontinent. Die Länge der Balken zeigt den prozentualen Anteil der modellierten Regimes in den Ensemble-Membern, die schraffierten Häuschen am unteren Ende das Regime des Ensemble-Mittels. Auf den ersten Blick müsste man sagen: Entweder beginnt die Siebenschläfer-Regel in diesem Jahr mit Verspätung, also nach Mitte Juli, oder sie funktioniert schlicht nicht, weil die Regimes im massgeblichen Zeitraum davor ständig wechseln. Wobei ehrlicherweise erwähnt werden muss, dass die „violette Phase“ um den 6. Juli herum auf sehr wackligen Füssen steht und womöglich schon heute im neuen Lauf wieder verschwinden kann. Es besteht aber durchaus noch eine weitere Möglichkeit, dass der diesjährige Hochsommer-Charakter von stark wechselnden Regimes geprägt sein könnte, ein Hitze- und Achterbahnsommer gleichzeitig. Solche Fälle gab es nämlich auch schon, und wenn man in jüngerer Vergangenheit nach Analogien sucht, muss man zwangsläufig auf das Jahr 2015 stossen:
2015 hatten wir im relevanten Zeitraum für die Siebenschläfer-Prognose dieselbe Grosswetterlagen-Abfolge WA-HM-SWA, wenn auch um ein paar Tage verschoben. Darauf folgten drei Tage NWZ, ähnlich wie derzeit von einigen Modellen prognostiziert, wenngleich noch mit einigen Unsicherheiten behaftet. Der grosse Unterschied zu 2015 besteht darin, dass damals nicht bereits die gesamte zweite Junihälfte extrem warm war und ganz Südeuropa in einen Backofen verwandelt hatte. Man beachte den weiteren Verlauf des Sommers 2015 mit sehr langen Hitzewellen und kurzen, aber prägnanten Kälteeinbrüchen. Für Interessierte gibt es in unserem Archiv eine detaillierte Siebenschläfer-Bilanz 2015.
Auch die Temperaturverteilung an der Wasseroberfläche des Nordatlantiks weist ein vergleichbares Muster auf wie vor zehn Jahren. Vergleich der identischen Zeiträume, 10-Tages-Schnitt vom 15. bis 24. Juni, oben 2025, unten 2015:
Man sieht hier sehr gut die ähnliche Verteilung der warmen und kalten Gebiete, heute allerdings auf 1 bis 1.5 Grad höherem Niveau (ja, es geht rasant aufwärts!). Die extremen Temperaturunterschiede, welche den Nährboden für die Tiefdruckentwicklung bilden, befinden sich an fast exakt derselben Stelle. Kühle Episoden bei Zufuhr aus West bis Nordwest vor allem im nördlichen Mitteleuropa werden somit nicht ausbleiben, wobei jene, welche sich noch an die Sommer 1977-81 erinnern können, sich ab den heutigen „Kälteeinbrüchen“ einen Schranz in den Bauch lachen werden. Im Gegensatz dazu haben die Phasen mit südwestlicher bis südlicher Anströmung aus den brühwarmen Gegenden das Potenzial für neue Hitzerekorde.
Entscheidend wird wie so oft also sein, was nach dem 4./5. Juli passiert. Eine kurze Abkühlung (wenn auch nur auf das Klimamittel = rote Linie) ist da relativ sicher:
Danach ist die Streuung zwar naturgemäss auf diese Zeitspanne hinaus gross, das Ensemble-Mittel der Temperatur in 1550 m Höhe (weisse Linie) bleibt allerdings über der Klimanorm 1991-2020, und zwar um ungefähr 3-4 Grad, während der Hauptlauf (dick grün) bereits wieder voll auf Hitze gebürstet ist. Ob sich dieser Trend bestätigt, könnt ihr schon am kommenden Dienstag in unserer Monatsprognose für den Juli nachlesen, da wird dann voll auf die numerische Prognostik abgestützt.
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