Abendrot: Schönwetterbot – Morgenrot: schlecht Wetter droht. Dieser Spruch ist wenn auch nicht in allen, so doch in den meisten Fällen zutreffend. Am Mittwochabend, 24. Mai 2017, war in der Westhälfte der Schweiz ein für die Jahreszeit aussergewöhnlich farbenprächtiges Abendrot zu sehen. Ein derart rot ausgeleuchteter, von Cirren bedecker Himmel tritt sonst fast ausschliesslich im Winter auf. Doch weshalb ist dieses Schauspiel eigentlich vor allem auf die kalte Jahreszeit beschränkt?
Damit Wolken besonders farbig leuchten können, müssen sie von schräg unten von der bereits hinter dem Horizont verschwundenen Sonne angestrahlt werden. Je länger der Weg, den die Sonnenstrahlen durch die Atmosphäre zurücklegen müssen, umso stärker wird der Blauanteil des Lichts herausgefiltert und es überwiegen die Farben gelb bis rot. In der Luft vorhandene Aerosole wie Saharastaub oder Vulkanasche können diesen Filtereffekt verstärken und besonders farbenprächtige Dämmerungsszenarien herbeizaubern, in den allermeisten Fällen ist die Luft aber relativ sauber. Je höher die Wolken, umso länger können sie von der untergegangenen Sonne angestrahlt werden, die leuchtendsten Dämmerungswolken sind somit in der Regel Eiskristallwolken (Cirren) in 8 bis 12 km Höhe, wie im vorliegenden Fall. Dabei ist auch wichtig, dass keine weiteren Wolken die Sonnenstrahlen behindern. Möglichst grosse wolkenfreie Zonen werden durch kräftige Hochdruckgebiete geschaffen, sodass die Lage des Hochs darüber entscheidet, ob ein Morgen- oder Abendrot auftreten kann. Beim Morgenrot liegt das Hoch im Osten und die leuchtenden Wolken ziehen aus Westen auf, daher die Regel, dass Morgenrot schlechtes Wetter ankündigt. Beim Abendrot liegt hingegen das Hoch im Westen und die angestrahlten Wolken ziehen (in unseren Breiten meistens) nach Osten weg, es tritt also eine Wetterberuhigung ein. Dieser Umstand erklärt auch, weshalb farbenprächtige Morgenröte häufiger auftritt als das Abendrot: Cirren eilen den Fronten voraus, dahinter folgen tiefere Wolken. Eine aus Westen aufziehende Front versperrt somit dem Licht der untergehenden Sonne den Weg. Das Abendrot ist also viel häufiger an Wolken zu sehen, die für Frontrückseiten typisch sind: Der tief liegende Stratocumulus wird jedoch nur kurz angestrahlt und kann niemals so riesige Flächen in ein Farbenmeer verwandeln wie hohe Cirren.
Damit ist die Frage nach dem selteneren Auftreten von Abendröte im Sommerhalbjahr allerdings noch nicht beantwortet. Es sind nicht etwa witterungsbedingte Faktoren wie Lufttemperatur und -feuchte, welche das Abendrot im Sommer zu einem seltenen Ereignis machen. Nein, es ist schlicht und einfach die Stellung der Sonne zur Lage der Fronten. Man stelle sich vor, wie die meisten Fronten aus Westen nach Europa gelangen: Als langgezogenes, meist von Nord nach Süd oder von Nordost nach Südwest verlaufendes Wolkenband. Andere Ausrichtungen der Fronten sind Ausnahmeerscheinungen, und genau um eine solche handelt es sich in unserem Fall vom 24. Mai 2017:
Das Satellitenbild vom Abend zeigt die vom Hoch über Westeuropa geschaffene wolkenfreie Zone mit dem Weg der Sonnenstrahlen (gelber Pfeil). Eingezeichnet sind die Fronten (rot = Warmfront, blau = Kaltfront). Hierbei handelt es sich um die Grosswetterlage Nordwest antizyklonal, welche im langjährigen Schnitt 4 % aller Wetterlagen ausmacht. Im Bereich des Hochs werden durch Absinken die tiefen Wolken aufgelöst, von der Front bleiben einzig die Cirren übrig, die sich von der Schweiz über Ostfrankreich bis nach Belgien erstrecken. Dies sind die von der Sonne beleuchteten Eiskristallwolken, welche im Titelbild zu sehen sind. Ganz anders bei diesem jahreszeitlich bedingten Sonnenstand würde es aussehen, wäre der Frontverlauf so wie im folgenden Bild dargestellt:
Dies ist die weitaus häufigere (im Schnitt 18 %) auftretende Grosswetterlage mit von Nordost nach Südwest verlaufendem Wolkenband, in diesem Fall vom 23.12.2012 ein Übergang von einer Westlage zu Südwest zyklonal, dem typischen Weihnachtstauwetter. Eine wie im Sommer im Nordwesten untergehende Sonne hätte hier keinerlei Chancen, in der Schweiz ein Abendrot hinzuzaubern. Da die Sonne aber um die Wintersonnenwende im Südwesten untergeht, legen die Sonnenstrahlen den Weg durch die wolkenfreie Zone über Spanien und Südfrankreich zurück (die zu sehenden Wolken sind tiefe Nebel- und Hochnebelfelder, welche den Weg des Sonnenlichts nicht tangieren). Das Resultat:
Gleicher Standort wie im Titelbild, aber um 16:57 MEZ in Richtung Südwesten aufgenommen. Dies ist die typische Abendstimmung in Warmsektoren im Winter, hervorgerufen durch West- und Südwestlagen. Wir lernen daraus, dass die Kenntnis der Grosswetterlagen auch bei der Planung in der Landschafts- und Wetterfotografie nützlich sein kann. Wer im Sommer für die Umsetzung seines Fotomotivs einen möglichst kitschigen Himmel benötigt, muss auf antizyklonale Nordwestlagen oder die ebenso seltenen verwandten Nordlagen warten.
Christoph Käsermann am 17. Juni 2017 um 11:10 Uhr
Hoi Fabienne
Vielen Dank für die erhellenden Erklärungen. War mir so nicht bewusst. Ich dachte u.a. dass sie wegen dem flacheren Sonnenwinkel im Winter mehr auftreten, da dann die Chance für den feurigen Himmel länger dauert. Aber du hast natürlich recht. Meine Überlegung betrifft mehr die Länge des Spektakels.
Merci und Gruss Christoph