Der lange Winter und der kalte sowie nasse Mai in den Alpen haben nachhaltige Auswirkungen auf die Wanderbedingungen im Frühsommer 2013. Die Situation präsentiert sich um etwa 3 Wochen verspätet, viele schattige Stellen in 2000 m Höhe sind nur erschwert oder gar nicht passierbar. Dafür entschädigen an heissen Tagen mit starker Schneeschmelze beeindruckende Wasserkaskaden für die Anstrengung. Dieser Bericht soll die Verhältnisse im Berner Oberland am 17. Juni 2013 dokumentieren. Er soll zudem aufzeigen, welche Risiken und Anstrengungen die Naturfotografie am Puls des Wetters mit sich bringt.
Noch wenige Tage zuvor war es deutlich zu kalt, Anfang Juni wurden die Nordalpen zum Teil bis in die höheren Mittelgebirgslagen noch mal mit einem halben Meter Schnee und mehr eingedeckt. Die kräftige Junisonne macht der weissen Pracht zu Unzeiten zwar schnell den Garaus, dennoch verzögern so späte Schneefälle das Ausapern besonders schattiger Stellen immer wieder. Die folgende Karte zeigt die Temperaturen in etwa 1500 m Höhe am 17. Juni 2013:
Aus Süden wird sehr warme bis heisse Luft zu den Alpen geführt, dabei stellt sich eine Föhnlage ein. An diesem Tag erreicht die Lufttemperatur in 3000 m Höhe +8 Grad, die Nullgradgrenze steigt auf 4600 m. Bei solchen Temperaturen kann es nicht verwundern, wenn die Schneeschmelze ihren Höhepunkt erreicht. Steine und Felsen werden von der Sonne so stark aufgeheizt, dass man sich daran fast die Hände verbrennt.
Bereits im Aufstieg vom Lauenensee (1380 m) ins Geltental (1600 m) macht der tosende Geltenbach darauf aufmerksam, dass in der Höhe ordentlich Schnee geschmolzen wird. Dabei erreicht der Abfluss am Vormittag bei weitem noch nicht sein Tagesmaximum. Beim Aufstieg muss man zur Kenntnis nehmen, dass sich das Wasser vielerorts gerade die Wanderwege als kürzesten Weg ins Tal aussucht. Wo das Queren von Wildbächen im Spätsommer keinerlei Probleme bereitet, ist nun ordentliche Turnerei angesagt. Glücklich, wer wasserdichte Schuhe besitzt! In 1800 m Höhe muss man sich als normal ausgerüsteter Bergwanderer erstmals ganz genau überlegen, was man sich zumuten soll:
Wo ist der Weg? Zunächst verläuft er über das abschüssige, aber zum Glück sulzige Schneefeld. Trotzdem gilt es jeden Schritt sehr gut zu setzen, um nicht abzurutschen. Hinten links führt der Weg der steilen Felswand entlang, wo sich hinter dem meterhohen Lawinenkegel direkt an der Wand ein knapp mannsbreiter Korridor gebildet hat. Zum Schluss darf man unter einem Wasserfall durchtauchen, der direkt aus dem Felsen schiesst und auf keiner Karte verzeichnet ist – er führt wahrscheinlich nur zur Schneeschmelze so viel Wasser, dass er ein ernst zu nehmendes Hindernis darstellt:
Hier darf man sich nach erfolgter Dusche aussuchen, ob man lieber auf dem Weg liegenden Schneekegel oder auf den nassen Steinen darunter ausrutschen möchte. Beides wäre fatal, denn es geht direkt runter in die Fortsetzung der Kaskade. Es folgen weitere Schneefelder, denn wir befinden uns am Nordhang. Hier rupfte ordentlich der Föhn an den Kleidern und trug auch nicht gerade zur Standfestigkeit bei. Belohnt wird man bei der Geltenhütte auf 2000 m mit dem Ausblick auf diesen wilden, wasserfallumkränzten Talkessel:
Hier wird die Situation in den Steilhängen der Nordseite zwischen 2000 und 2200 m besonders deutlich – sich weiter oben zu versuchen würde einem gar nicht erst in den Sinn kommen. Der Abstieg erfolgt nach genussreicher Rast zwischen Alpenblumenwiesen und Wasserfällen durch steile, teils felsige und ausgesetzte Westhänge. Hier haben Sonne und Regen den Schnee aus dem steilsten Gelände in riesige Lawinenkegel verfrachtet. Die Verschmutzung stellt klar: Erst rutschte der Schnee ab und danach wurden durch Starkregen Erde, Gras und Steine runtergespült:
Die nächste unliebsame Überraschung folgt in den ausgesetzten Felspassagen beim Gältetrittli, wo man auf teils weggerissene oder nur noch fussbreite und instabile Wege trifft. Auch die Halteseile waren stellenweise durch Lawinen oder Steinschlag ausgerissen. Für Wanderer ohne Trittsicherheit und Schwindelfreiheit wäre spätestens hier Schluss gewesen, doch auch mir wurden die Knie ganz ordentlich weich:
Hier wäre es für eine Umkehr definitiv zu spät gewesen, zumal der Weg auf derselben Strecke zurück im Abstieg noch gefährlicher gewesen wäre als beim Aufstieg, denn in den Nachmittagsstunden schwillt das Wasser noch mal deutlich an. Erst unterhalb von 1800 m waren die Wege wieder normal begehbar. Heilfroh, unbeschadet unten am Lauenensee angekommen zu sein, galt es dann um 18:00 Uhr noch vor einem aufziehenden Gewitter Schutz zu suchen:
Fazit: Bergwanderungen müssen in diesem Frühsommer wohl noch für einige Zeit sehr sorgfältig geplant werden. Am besten meidet man ausgesetzte Stellen und steile Passagen besonders an Nordhängen oberhalb von 1800 m. Angesichts der wieder deutlich zu kühlen Witterung bis mindestens in die ersten Julitage ist nicht mit einer raschen Verbesserung der Lage zu rechnen, auch müssen die beschädigten Wege erst noch ausgebessert werden. Wer es trotzdem wagen will, muss über ausreichende Kondition verfügen, denn die Hindernisse kosten nicht nur zusätzliche Kraft, sondern verlängern die Marschzeit abschnittsweise bis auf das Doppelte. Man rechne daher eine ausreichende Zeitreserve ein. An Tagen mit Gewittergefahr sollten lange Touren ganz gemieden werden, denn in solchem Gelände könnte eine nasse Überraschung von oben fatal enden.
Tour: Lauenensee-Geltental-Geltenhütte-Chüetungel-Lauenensee. Besonders eindrücklich während der Schneeschmelze, aber abenteuerlich. Reine Marschzeit normal ca. 4 Std., Zeitbedarf bei schwierigen Verhältnissen aber wesentlich länger! Auf- und Abstieg je 700 Höhenmeter. Letztes Postauto ab Lauenensee 17:10 Uhr, ab Lauenen 19:25 Uhr (zusätzlich 1 – 1.5 Std. und 150 m Abstieg)
Link zur Karte: http://s.geo.admin.ch/7b87e08e6
Weitere Bilder zur Tour befinden sich am Ende der Bildergalerie Frühlingserwachen 2013