Nun ist sie also doch endlich in Schnappreichweite geraten, die Winter-Modellmöhre, die uns schon seit mehr als zwei Wochen vor dem Maul herumbaumelt. Doch selbst am Tag zuvor sind noch nicht ganz alle davon überzeugt, dass es mit dem Wintereinbruch bis ins Flachland der Alpennordseite auch so richtig klappen mag, zeigen doch einzelne Modelle, dass die Schneefallgrenze bis gegen 1000 Meter steigen soll: Pflotsch allenthalben. Doch wie sagte ich bereits am 19. September auf einer Velotour mit klammen Fingern, als ich fluchte weil die Handschuhe zuhause blieben: Der Taupunkt macht’s, du Esel!
Der obligate Blick auf die grossräumige Druck- und Windverteilung (diesmal in rund 1500 m über Meer) zeigt uns heute den Übergang von einer zyklonalen Nordlage (Dominanz des Tiefs über Skandinavien) in eine südliche Westlage (Dominanz der Tiefs, die aus Südwesten direkt über uns ziehen):
Noch vor wenigen Tagen sah es danach aus, dass diese Tiefdruckgebiete subtropischen Ursprungs auf etwas nördlicherer Zugbahn daherkommen sollen, wir wären dann voll in den Warmsektor geraten mit einer im Berner Oberland bis auf über 1500 m steigenden Schneefallgrenze. In einem solchen Fall hätte man auch nicht lange darüber diskutieren müssen, ob und wann der Niederschlag in den tieferen Lagen in die flüssige Phase übergeht. Mit der Zugbahn direkt über uns hinweg ist das aber extrem auf Kante genäht, weil die Luftmassengrenze ebenfalls direkt über uns schleift, statt ein paar Kilometer weiter nördlich. Zum Glück fliegen derzeit keine Schmetterlinge, sonst wäre das Chaos perfekt, aber ein Eisvogel tut’s vielleicht auch…? Schauen wir uns die Luftmassen-Prognose für den Freitagvormittag an:
Da wird einem schon auf den ersten Blick ganz schwindlig bei all den Verwirbelungen – typisch wenn ein Tief direkt über einen hinweg zieht. Zu sehen sind Theta-E (ein Parameter, der die Energie einer Luftmasse zum Ausdruck bringt, ein Gemisch aus Temperatur und Feuchtigkeit) und Windströmung in rund 1500 m. Man erkennt, dass aus Südwesten energiereichere (also wärmere und feuchtere) Luft herangeführt wird und im Nordosten kältere und trockenere Luft entgegenhält. Wer wird gewinnen? Es gilt die Faustregel: Bei einem Theta-E von 24 Grad liegt die Schneefallgrenze bei 1000 Meter, bei 18 Grad 500 Meter. Theoretisch müsste also im Lauf des Vormittags die Schneefallgrenze zwischen 700 m im Osten und 1200 m im Westen liegen (die roten Peaks ignorieren wir, weil dort die Berge über die Modellfläche hinausragen und den Wert verfälschen). Und warum nur theoretisch? Nun, weil unterhalb der Modellfläche ein Kaltluftsee liegt, der sich in der zumindest noch weitgehend klaren ersten Nachthälfte ausbildet. Und genau da beginnt die Rätselraterei: Wie hoch hinauf ragt dieser Kaltluftsee? Und wie schnell wird er vom in der Höhe auffrischenden Südwestwind erodiert? Gibt es Föhneffekte? Man kann nun stundenlang verschiedene Modelle wälzen und sich darüber den Kopf zermartern: Ganz genau wissen tun wir es erst, wenn wir es messen können. Denn das eine Modell hat die Zugbahn des Tiefs ein paar Kilometer nördlicher, das andere etwas südlicher drin. Da nützt es auch nichts, wenn man auf Erfahrung pocht: Modell X liegt beim Wind immer zu hoch und Modell Y bei der Schneefallgrenze immer zu tief etc. blabla. Nein, bei einer schleifenden Luftmassengrenze mit darunter liegendem Kaltluftpolster ist die Schneefallgrenze im Winter etwa so unprognostizierbar wie die Gewitteraktivität im Sommer, wenn man nicht weiss wo sich die Konvergenzen bilden. Ist einfach so, da können manche Exponenten unserer Branche noch so sehr tun, als ob sie es besser wüssten – schlussendlich ist es wohl eher Glück oder Pech, auf welches Pferd (bzw. Modell) man gewettet hat.
Ein paar Dinge helfen aber schon, um zu erraten in welche Richtung es gehen könnte: Da ist einerseits die bereits erwähnte Ausstrahlung in den noch klaren Abendstunden, dank dem Umstand, dass sich der Nebel am Nachmittag weitgehend aufgelöst hat und sich die hohen Wolken aus Südwesten noch etwas Zeit lassen:
Die bodennahe Schicht kühlt also gut aus und auch die mittlere Luftschicht ist noch kalt und trocken genug, dass beim Einsetzen des Niederschlags in den frühen Morgenstunden kein Zweifel besteht, dass dieser als Schnee bis ganz runter fallen wird. Eine Ausnahme bilden die grossen Seen, dessen warmes Wasser die Luft in der Umgebung wärmt und auch Feuchtigkeit abgibt: Am Genfersee wird es wohl von Beginn weg regnen, an den Seen weiter nordöstlich ist es nicht ganz so klar, also tippe ich mal auf Schneeregen. Alles Weitere ist dann eine knifflige Kombination aus Niederschlagsintensität und Niederschlagsabkühlung, Anfeuchtung der Luft und Anstieg der Taupunkte sowie Durchgreifen des Windes. Gut möglich, dass direkt am Alpenrand föhnige Effekte auftreten, die einerseits die Niederschlagsintensität reduzieren und andererseits wärmere Luft runtermischen. In solchen Fällen kann es in Thun, Luzern, Wädenswil und Rorschach regnen, während es in Bern, Zürich und Frauenfeld durchgehend schneit. Wobei wir schon auch festhalten müssen, dass die Niederschlagsintensität nach Osten hin deutlich nachlässt, hier mal anhand der modellierten Niederschlagssumme bis zum frühen Freitagabend gezeigt:
Wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass der grösste Teil dieses Niederschlags im westlichen Mittelland und in der Nordwestschweiz bis Mittag fällt und die Modelle durchgehend schwachen Ostwind oder Windstille am Boden zeigen, dann gehe ich davon aus dass dies alles in fester Form runterkommt. Wie warm es dann am Nachmittag und Abend wird, wenn der Niederschlag nachlässt und der Südwestwind vielleicht doch noch bis ganz runter durchgreift, also die Sache in den tiefesten Lagen zu tauen beginnt, das wiederum ist dann eine ganz andere Frage… Im schlimmsten Fall sacken dann 10 cm Schnee in 5 cm Pflotsch zusammen, denn so starken Regen, dass gleich alles wieder weggespült wird, hat kein Modell für den Abend drin. Und am frühen Samstagmorgen dreht ja der Wind bereits auf Nordwest und eine kältere Luftmasse übernimmt die Regie.
Nun ist das immer so eine Sache mit den Kaltfronten bzw. den Tief-Rückseiten: Die Luftmasse wäre zwar kalt genug für Schnee bis in die Niederungen, aber oft schon wieder zu trocken für flächigen Schnee. Es schneit dann also vor allem im Stau der Berge:
Direkt am Alpennordhang kommt da also genug zusammen. Doch auch im Flachland bestehen gute Chancen, dass der Pflotsch noch mal durch eine dünne Neuschneeschicht zugedeckt wird. Dass es irgendwo komplett grün bleibt, halte ich unter all den geschilderten Umständen derzeit für unwahrscheinlich. Denn gerade die östlichen Gebiete, die am Freitag wahrscheinlich (fast) leer ausgehen, bekommen am Samstag noch etwas ab.
Das Schneepolster wäre schon mal eine Basis für eine kalte Periode in der nächsten Woche, denn in klaren Nächten wird es dann so richtig kalt – sofern es denn auch welche gibt. Das amerikanische Modell sagt ja und meint es bleibe bis und mit Dienstag ziemlich sicher trocken, das europäische und das deutsche Modell halten dagen und zeigen bereits am Montag die nächsten Niederschläge, wahrscheinlich als Schnee bis ganz runter. In der Folge ist dann alles wieder Kaffeesatzleserei auf höchstem Schwierigkeitsgrad: Von tiefstem Winter open end bis vorgezogenem Weihnachtstauwetter ist alles möglich:
Ich sage ja immer: Auf das Weihnachtstauwetter ist Verlass. Wer also auf Nummer sicher gehen will, sollte die kommenden winterlichen Tage präventiv mit Verstand geniessen.
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