Wie aussergewöhnlich warm dieser Mai war, zeigen Rekorde mehrerer Stationen in der West- und Südschweiz, die Messreihen von teils über 150 Jahren aufweisen. Da wurde die bisherige höchste Mitteltemperatur um etwa 1 Grad überboten (Grächen im Wallis, sowie im Oberengadin), an den Stationen Genf und Lugano wurde die bisherige Rekordzahl an Sommertagen um einen Tag überboten, in Locarno-Monti sogar um drei Tage. Hinzu kommen neue Höchstwerte für den Mai: Besonders eindrücklich ist der neue Rekord von 16.4 Grad auf dem Grossen St. Bernhard (2472 m) am 22.05.2022, das bisherige Maximum vom 28. Mai 1868 lag bei 14.8 Grad. Je weiter man in Mitteleuropa nach Norden oder Osten schaut, umso weniger deutlich war die positive Abweichung von der Norm. Zudem war der Mai 2022 verbreitet überdurchschnittlich sonnig und deutlich zu trocken. Ausnahmen gibt es vor allem am östlichen Alpenhauptkamm, im bayerischen Alpenvorland sowie in Norddeutschland.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Mai, erstellt am 30. April, lautete wie folgt:
Der von uns bevorzugte Lauf zeigt eine markante Hochdruckanomalie mit Zentrum über den Britischen Inseln, die sich von Island bis zum Balkan erstreckt. Gegenpart spielen vor allem die ebenso markante Tiefdruckanomalie über Nordosteuropa und eine schwach ausgeprägte über Nordafrika und dem östlichen Mittelmeer. Es gibt also häufige Austrogungen über Osteuropa sowie eine Schwachstelle zwischen dem Azorenhoch und dem Block über Nordwesteuropa, durch welche Tiefs in Richtung Iberische Halbinsel und Marokko abtropfen können. Die häufigsten Grosswetterlagen sind somit Nordwest bis Nord (in Mitteleuropa oft antizyklonal geprägt) sowie die Hochdruckbrücke Mitteleuropa, wobei diese häufig etwas nördlich liegt und somit der Alpenraum in einer Ostströmung mit teilweise Einfluss von Mittelmeertiefs verbleibt. Zwischendurch sind auch Südlagen möglich, verursacht durch kleine Tiefs im Raum Iberische Halbinsel bis Marokko – die in diesem Jahr extreme Saharastaub-Saison ist also wahrscheinlich noch nicht vorbei.
Deutlich wärmer als normal mit etwa 3 Grad über dem langjährigen Mittel werden weite Teile Westeuropas gerechnet, etwas weniger deutlich (1-2 Grad) Mitteleuropa und Südskandinavien. Dies dürfte seltener auf warme Luftmassen, als vielmehr auf starke Sonneneinstrahlung zurückzuführen sein. Deutlich zu kühl wird Nordskandinavien bis Osteuropa gerechnet, aber auch der östliche Mittelmeerraum dürfte unter dem langjährigen Mittel bleiben.
Sehr trocken werden die Bereiche rund um Nord- und Ostsee gerechnet, aber auch das übrige Mitteleuropa bleibt wahrscheinlich niederschlagsmässig unter der Klimanorm, wenn auch weniger deutlich. Vor allem in Alpennähe und in den Mittelgebirgen darf man immer wieder mit Schauern und Gewittern rechnen, noch viel mehr ist dies am Alpensüdhang der Fall durch den gelegentlichen Einfluss von Mittelmeertiefs. Deutliche Niederschlagsüberschüsse sind von Island bis Norwegen zu erwarten, wo die für die Jahreszeit weit nördlich zu liegen kommende Westdrift verläuft. Punktuell kommt es auch im Mittelmeerraum und in Nordafrika zu überdurchschnittlichem Niederschlag, wobei die Schwerpunkte aufgrund der schwierig zu prognostizierenden CutOff-Tiefs nicht unbedingt genau dort auftreten müssen, wo es die Karte zeigt.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Drucks in ca. 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Nahezu perfekt wurde die Zirkulationsform mit dem blockierenden Hoch getroffen. Abweichungen gibt es durch die leichte Verlagerung der Druckzentren nach Süden und somit auch der Frontalzone. Dadurch kam der Norden Mitteleuropas häufiger in den Genuss von atlantischen Luftmassen, Westlagen waren nicht ganz so selten wie prognostiziert. Dennoch dominierten wie erwartet Hochdrucklagen und Grosswettertypen aus dem Nord-/Nordwestsektor. Die Hochdruckdominanz in Westeuropa war so deutlich, dass die immerhin sieben Tage Südwest- und Südlage völlig überdeckt wurden.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur ca. 1500 Meter über Boden zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Mit der Südverlagerung des Hochdrucks gab es eine ebensolche bei den hohen Temperaturen. Dadurch muss die Prognose für den Bereich der Britischen Inseln und der Iberischen Halbinsel als missglückt bezeichnet werden: Hier wurde es deutlich wärmer, dort deutlich kühler als erwartet. Das gilt auch im Osten Europas: Der Kaltluftkörper liegt doch einiges südlicher als prognostizert.
Die gemessenen Abweichungen der Monatsmitteltemperatur 2 Meter über Boden:
Hier hier wiederum zeigt sich, dass am Boden kühle Luftmassen aus dem Norden unter Hochdruckeinfluss im Mai sehr stark erwärmt werden, sodass die gemessenen Abweichungen im nördlichen West- und Mitteleuropa höher waren als es die Luftmassenanalyse erwarten liesse. Die Wirkung klarer Nächte ist im Mai durch deren Kürze eben nicht mehr so ausgeprägt wie noch im April und vor allem März. In dieser Analyse tritt – anders als bei der Druckverteilung – die Zufuhr heisser Luftmassen aus Nordwestafrika über die Iberische Halbinsel bis ins südwestliche Mitteleuropa deutlich in Erscheinung. Entsprechend wurden auch wieder mehrere Saharastaub-Ereignisse in Mitteleuropa detektiert.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Durch die Südverlagerung der Frontalzone traf die prognostizierte Trockenheit insbesondere rund um Nord- und Ostsee nicht ein, stattdessen traf es den Westen der Iberischen Halbinsel, zusätzlich verstärkt durch die Hitze. Angesichts des nassen Winters dort kann man das (noch) verkraften, ganz anders als im östlichen Mitteleuropa, wo die Trockenheitsprognosen in erschreckender Zuverlässigkeit eintreffen. Der Alpenraum wurde nasser als erwartet, dies aber vor allem durch rege Gewitteraktivität und somit auch nicht flächendeckend. Das hier deutliche Ost-West-Gefälle kommt in der grob aufgelösten Karte nicht zum Vorschein, daher empfehlen wir wie üblich einen Blick auf die detaillierten Karten der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland. Zu erwähnen ist hier noch, dass der Gesamtfrühling (März, April, Mai) in weiten Teilen Ostdeutschlands der trockenste war seit Beginn der modernen Aufzeichnungen.
Nicht zum Tragen kommt diese Trockenheit in der Witterungsanalyse, die sich auf die Regionen in Alpennähe konzentriert:
Mit 20 nassen Tagen entsprach der Mai 2022 hier den Erwartungen, wenn auch hervorgehoben werden muss, dass nicht an allen 20 Tagen alle Regionen gleichsam beglückt wurden, das liegt bei konvektiven Niederschlägen in der Natur der Sache. Auffällig ist das Ungleichgewicht von 14:2 bei den Tagen, die temperaturmässig deutlich von der Norm abweichen. Oder anders gesagt: Nur gerade die Hälfte des Monats bewegte sich innerhalb der normalen klimatischen Schwankungsbreite. Bei den Grosswettertypen haben wir die erwartete Vielfalt dadurch, dass sich das Hochzentrum trotz Konzentration auf Westeuropa stets etwas verlagerte. Einzig Ostlagen waren – sehr aussergewöhnlich im Frühling – in diesem Monat völlig abgemeldet, die hatten ihr Pulver offenbar im April bereits verschossen.
Die Langfristprognose für den Juni findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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Stefan D. am 9. Juni 2022 um 16:36 Uhr
Karstquellen sind aber keine verlässlichen Indikatoren, was die Niederschläge auf längere Sicht anbelangt. Je nach Veränderungen im Untergrund können sie auch auf einmal versiegen. Oder das Wasser tritt an anderer Stelle zutage.
Der Mai war zwar warm und trocken, dennoch zeigt die langfristige Tendenz eine Zunahme der Niederschläge im Alpenraum an, gemäss den Messungen von MeteoSchweiz. Vielleicht sollte man einfach einmal die ideologische Brille abnehmen und das Klima von verschiedenen Seiten betrachten. Denn dass, was wir klimatisch jetzt haben, gab es auch schon im Mittelalter, damals ohne Industrialisierung. Die politisch einseitig gefärbten Medien berichten gerne in Flammenwerfer-Rhetorik von neuen Rekorden, sodass die breite Masse glaubt, die Erde und die Menschheit stehe am Abgrund, dabei geht es uns so gut wie nie zuvor!
Fabienne Muriset am 9. Juni 2022 um 17:37 Uhr
Hallo Stefan
Vielleicht einfach mal die ideologische Brille abnehmen und den ganzen Bericht inkl. die Beschreibung zum Foto als das lesen, was es ist: Eine völlig neutrale Schilderung der Verhältnisse im Mai 2022 aufgrund von Messungen und Beobachtungen. Was jeder einzelne Leser daraus macht, ist seine Sache. Offenbar ist das genau eine Auswirkung der Tatsache, dass es uns so gut geht wie nie zuvor: Dass ständig jemand meint etwas widerlegen zu müssen, was gar nicht behauptet wurde.
Danke und Gruss
Fabienne