Als ältester Urner wird in der Zentralschweiz der Föhn bezeichnet. Dieser warme Südwind wird im Urner Reusstal und insbesondere am Urnersee zwischen den steilen Seitenwänden des Tals derart kanalisiert, dass er hier oft Sturmstärke erreicht. Für jeden wetterbegeisterten Menschen ist es daher ein Muss, einmal bei Föhnsturm eine Wanderung durch das Reussdelta bei Flüelen und anschliessend eine Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee zu unternehmen. Dieser Beitrag dokumentiert ein solches Unterfangen vom 22. Oktober 2013 und soll auch kurz etwas zum Verständnis der lokalen Besonderheiten des Föhns in der Wiege der Schweiz beitragen.

Blick vom Kapuzinerkloster über Altdorf nach Süden zur Föhnmauer über dem Gotthardgebiet, 22.10.2013 13:40 MESZ
Damit der Föhnwind überhaupt zustande kommt, muss die Wetterlage stimmen: Die Höhenströmung streicht aus südöstlicher bis südwestlicher Richtung über die Alpen. Dies alleine reicht aber noch nicht, um den Wind stürmisch bis in die Täler vordringen zu lassen. Entscheidend sind dafür die Druckverhältnisse und die Temperaturverteilung am Boden. Besonders im Winterhalbjahr, wenn die Auskühlung während der Nächte die Erwärmung durch die Sonne am Tag übersteigt, bildet sich bodennah eine Kaltluftschicht. Hier gibt es zwei Möglichkeiten die dazu führen, dass der Föhn bis in die Täler vordringt:
– Die Sonne muss die bodennahe Luftschicht derart stark erwärmen, dass diese aufsteigt (fast ausschliesslich von April bis September der Fall).
– Die Kaltluft muss von einem Tief nördlich oder nordwestlich der Schweiz aus den Alpentälern gesogen werden.
Wird keine dieser Bedingungen erfüllt, gleitet die warme (und somit leichtere) Föhnluft einfach über den Kaltluftsee hinweg und ist nur auf den Bergen spürbar, in den Tälern bleibt es kalt. Diese Bedingungen sind bei eher hochdruckbestimmten Föhnlagen gegeben, also wenn die Druckdifferenz am Boden zwischen Alpennord- und -südseite zu gering ist. Als ungefährer Grenzwert gilt eine Druckdifferenz von 4 hPa zwischen Lugano und Zürich. Doch auch die Lage von Hoch und Tief ist entscheidend: Bei Südostlagen (Tief über der Biskaya und Hoch über Ost- bis Nordosteuropa) herrscht im Mittelland oft eine Bisenströmung vor, welche die Kaltluft vom Mittelland in die Alpentäler drückt. Einzig das Wallis und das Berner Oberland profitieren bei solchen Lagen aufgrund des Ost-West-Verlaufs der Täler vom vordringenden Föhn (Guggiföhn in der Jungfrauregion). Bei Südwestlagen (Tief über Nordwesteuropa und Hoch über Südosteuropa) wird die im Mittelland lagernde Kaltluft hingegen vom Alpennordhang weggesogen, wodurch dem Föhn das Vordringen in die Süd-Nord verlaufenden Täler und bei Druckdifferenzen von über 8 hPa zwischen Süd und Nord sogar bis ins angrenzende Mittelland ermöglicht wird.
Eine solche optimale Lage herrschte am 22.10.2013 vor, man beachte die Lage von Hochs und Tiefs und das typische “Föhnknie” auf der Alpensüdseite:
Die Windkarte in ungefähr 1500 m Höhe verdeutlicht die Kraft der Strömung in mittleren Lagen zum Zeitpunkt des Höhepunkts des Föhnsturms in den Abendstunden (maximale Druckdifferenz zwischen Süd und Nord ca. 12 hPa):
Da die Alpen in die modellierte Fläche hineinragen, wird der Wind direkt über die Alpen hinweg zu schwach dargestellt. Das gezeigte Windmaximum am Westrand der Alpen kann ungefähr repräsentativ für gesamten West- und Zentralalpenraum hergenommen werden. Lokale, orografisch bedingte Düseneffekte können den Wind sogar noch verstärken.
Um die nachfolgenden Bilder geografisch einordnen zu können, hier zunächst eine Übersicht über die Region Vierwaldstättersee. Rote Pfeile zeigen die Hauptströme des Föhns an, besonders sei hier auf die von der Rigi-Südflanke nach unten umgelenkten Winde hingewiesen (Rotor), welche den Vierwaldstättersee von Norden her erreichen und auf dem See Turbulenzen mit dem direkt aus Süden wehenden Sturm verursachen. Blau umrahmt ist die ungefähre Lage des Kaltluftsees, der zum Zeitpunkt der Aufnahmen dem Föhn noch nicht gewichen ist (örtlich konnte der Föhn in den späten Abendstunden noch weiter vorstossen).

Im Lauf des Nachmittags nahm die Windstärke konstant zu, besonders eindrücklich am Südrand des Urnersees. Schloss und Kirche in Seedorf, Blickrichtung Südost, 14:50 Uhr

Auffällig nebst der Föhnmauer ist die dichte hohe und mittelhohe Bewölkung. Das Föhnfenster lag zu diesem Zeitpunkt etwas nördlich über dem Urnersee.

Bald riss der Föhn aber wieder Löcher in diese Wolkendecke und es entstanden die typischen Föhnlinsen bzw. Föhnfische. Reussdelta, 15:30 Uhr

Der Urnersee ist bei hartgesottenen Windsurfern beliebt. Mittlere Windstärke 7-8 Beaufort mit Böen 90-100 km/h. Isleten, 16:10 Uhr

Nach dem Knick des Sees beim Schillerstein wird der Blick nach Westen frei. Gut unterscheiden kann man den vom Föhn aufgewühlten Teil des Sees mit der Gischt und den ruhigen Kaltluftsee dahinter mit dem Dunst. Brunnen, 16:40 Uhr

Der Abschnitt zwischen Brunnen und Gersau war der turbulenteste. Von Süden stürzt der Föhn direkt aus dem Choltal herunter auf den See, während von der Rigi-Südflanke nach unten umgelenkter Wind aus nördlicher Richtung auf den See strömt. Das Resultat sind immer wieder Verwirbelungen, Staubteufeln ähnlich (hier darf man sie wohl Seeteufel nennen). Gersau, 17:05 Uhr
So richtig deutlich wird die Dynamik aber erst auf dem Video (man mag mir die mangelnde Standfestigkeit auf dem fahrenden Schiff bei annähernd 100er-Böen verzeihen 😉

Nach den Seeteufel-Duschen ein Blick nach Osten auf die fünfstöckige Föhnlinse über dem Druesberg (2282 m). Gersau, 17:20 Uhr
Kurt Nadler am 8. Februar 2018 um 01:09 Uhr
verwunderlich die vielfach/verbreitet fehlenden besucherkommentare – bei einer so kommunikationswilligen seitenbetreiberin!
ich wünsch dir also mehr kommentierer, aber nur so viele wie du bewältigen kannst.
unglaublich breites infoangebot von dir (an die etwas ignorante welt).
super fotos, super rübergebrachte dynamische stimmung hier!
kurt